Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 2, 1982

Kunst der Gegenwart ihre Erinnerung, ist das innere Bild vollkom men, dann stimmt auch die Probe. Das ge schieht irgendwann, oft außerhalb der Sit zung, wenn die Künstlerin allein ist mit ihren inneren Bildern. Wenn das Bild des Menschen stimmt, dann wird es auch im Menschen etwas anstimmen. Die Stimmigkeit der Roppoltschen Men schenbilder- sie nennt sie nicht Porträts, son dern ,,Köpfe" - ist eine innere und daher von anderer Beschaffenheit als die äußere ,,Ähn lichkeit", die oft von Oberflächlichkeiten abge leitet wird. Als beispielsweise Kokoschka Karl Kraus porträtiert hatte, bemerkte dieser: „Schon möglich, daß mich die nicht erkennen werden, die mich kennen. Aber sicher werden mich die erkennen, die mich nicht kennen." Persönliches Erleben erlaubt mir, dieses Phä nomen zu bestätigen. Als ich erstmals das Aquarell, das Lydia Roppolt nach mehreren Zeichnungen von meinem Kopf geschaffen hatte, sehen durfte, war ich bestürzt von der künstlerischen Größe dieses Werkes. Aber ich konnte nicht recht glauben, daß mein Gesicht, das ich ja aus dem Badezimmerspiegel und von zahlreichen, auch,,gut getroffenen" Fotos restlos zu kennen glaubte, mehr als bloß der Anlaß für diesen geheimnisvollen Kopf voll Kraft und Zartheit gewesen sein sollte. Meine Familie erkannte wohl die Schönheit des Bil des, nicht jedoch, wen das Bild darstellt. Als ich aber auf dem Weg zur Eröffnung der Atterseer Ausstellung, wo das Bild 1980 erstmals präsentiert wurde, in Vöcklabruck vom Zug abgeholt werden sollte, wurde Ich schon beim Aussteigen inmitten der Menge erkannt, noch ehe Ich nach dem mir bis dahin fremden Helfer Ausschau halten konnte, der das Bild beim Aufbau der Ausstellung bereits gesehen hatte, im Jahr darauf wurde ich auch bei der Eröff nung der Grazer Ausstellung von mehreren mir noch unbekannten Personen auf das Bild hin angesprochen, obwohl es nicht namentlich bezeichnet war. Das hat mir doch viel zu den ken gegeben über das Verhältnis von Sein und Erscheinen. Die Köpfe Lydia Roppolts sind Monumente der menschlichen Seele. Groß, blattfüllend drän gen sie bis zum Äußersten, bis an die Grenzen vor. Für Passepartout oder Rahmen bleiben kaum Millimeter Spielraum. Kein dekoratives Beiwerk hätte neben ihnen Bedeutung oder Bestand. Die Bildnisse des Kirchenhistorikers Univ.- Prof. Dr. Franz Loidi, eine Kreidezeichnung und ein großes Ölbild von 1970, übertragen die Heiterkeit und Lebensfreude des Darge stellten auf den Betrachter. Gleichzeitig lassen sie die fröhliche Spannung, die sich zwischen der Künstlerin und ihrem Modell entwickelt hatte, ahnen. Die strahlend hellblauen Augen des Professors charakterisierte sie einfach als Vergißmeinnicht und umgab seinen Kopf mit blühenden Bumen. Solche Blldelemente sind jedoch nicht beliebige Dekoration, sondern stehen in engstem Zusammenhang mit der Entstehung des Kopfes. Als Lydia Roppolt 1980 den Arbeiterdichter Eduard Christoph Heinisch porträtierte, hat sie auf den Blättern immer wieder Fragmente sei ner kritischen Stellungnahmen zu Fragen der Kirche notiert, die während der Sitzungen das Gesprächsthema waren. Auch die Namen mancher Köpfe sind so zu verstehen. Als sie 1981 den Theologiestudenten Wolfgang zeichnete, der Ihr Immer wieder begeistert von seiner Reise ins Heilige Land erzählte, nannte sie die Zeichnung eben Wolfgang Jerusalem, und auch das Pseudonym Johannes sagt mehr über das Wesen als über die Identität des um 1970 porträtierten jungen französi schen Priesters und Musikers aus. Die großartige Kreidezeichnung ihrer liebsten Mutter, zweifellos ein Hauptwerk von Lydia Roppolt, entstand 1981 als Abschluß einer langen Reihe von Bildnissen der Mutter, die von einem tiefen menschlichen Einverständ nis Zeugnis geben. Die von der Künstlerin ausgewählten und wie Inschriften angebrach ten Schiller-Zitate verleihen dem überaus lieb reich und zärtlich gestalteten Bildnis den Cha rakter eines Denkmals und heben es über das Individuell Empfundene hinaus ins allgemein Bedeutende. Auch die Hände, welche den Ausdruck man cher Köpfe ergänzen und unterstreichen, be wahren etwas vom Zauber des Augenblicks in der zeitlosen Ruhe der Bilder und tragen nicht unwesentlich zu ihrer Veriebendigung bei. Die Köpfe Lydia Roppolts sind der archai schen und der frühkiassischen griechischen Monumentalskulptur verwandt, deren Körper lichkeit den architektonischen Raum erfüllt. Mancher erinnert an die rätselhaft ergreifend lächelnden Kuroi, auch in der absoluten Be vorzugung der strengen Frontaiität, die an sich schon die stärkste Beziehung zum gegen überstehenden Betrachter herstellt und zum Dialog herausfordert. Auch die romanische Monumentalkunst zeugte ein ausdruckstark verwesentllchtes Menschenbild, in dem das Individuelle hinter das Chrakteristische zurücktrat, unterstützt durch die redende Gebärde. Dadurch wird das Kunstwerk zum Sender geistiger Kraft Im menschlichen Ringen um den Glauben an die göttliche Wahrheit. ,,Der Künstler muß etwas zu sagen haben, da nicht die Beherrschung der Form seine Auf gabe ist, sondern das Anpassen der Form dem Inhalt", sagte Wassily Kandlnsky über das Geistige in der Kunst. Dieser Inhalt ist für Lydia Roppolt Seele und Geist des Menschen. Nicht die äußerlich be deutenden und ehrenreichen Leute wecken daher ihre Aufmerksamkeit, sondern jeder Mensch, der sie begeistert, erscheint ihr be deutungsvoll, würdig und schön. Wer geliebt wird, ist schön. Schönheit ist ein Teil des Geiiebtwerdens und Gellebtwerden Ist die Wurzel der Schönheit. Dies ist vielleicht die Ursache für das bemerkenswerte Phänomen der völli gen Abwesenheit des Banalen und des Häß lichen Im Werk von Lydia Roppolt. Jedes Thema, dessen sie sich annimmt, wird Ge genstand der vollkommenen Hinwendung und Zuneigung der Künstlerin. Dies gilt ohne jeden Unterschied, ob sie den Herrn malt, die Mutter Gottes oder den helligen Konrad, oder ob sie Blumen malt, die Landschaften ihrer Heimat oder eben Köpfe, immer stimmen die Bilder und sie bringen bei manchem eine Saite zum Erklingen, die lange verstummt war, lange, vielleicht seit Kindertagen oder seit jenen Ta gen, da unsere Kultur noch jung war und die Heiligen nach Ikonen malten, in den letzten Jahren entstanden Bildnisse von Anneliese Ratzenböck, der Gattin des oberösterreichischen Landeshauptmannes, der aparten Indonesierin A Man K., der zier lichen Enkelin des früheren Landeshaupt mannes, Ella Gleißner, und von P. Dr. Ludwig Keplinger, dem Direktor des Schlierbacher Stiftsgymnasiums, der Lydia Roppolt bei der großartigen Ausmalung des Schlierbacher Meditationsraumes sehr unterstützte. Das 1979 entstandene große ölbildnis des Wiener Erzbischofs Dr. Franz Jachym strahlt bei extremer Konzentration der malerischen Mittel eine geistige Kraft aus, die nicht nur Zeugnis ablegt von der Persönlichkeit des Dargestellten, sondern auch von der Vereh rung durch die Künstlerin. Im Vergleich zu den äußerst sparsamen Bleistiftzeichnungen zeigt das Gemälde monumentale Vereinfachung der Form und reiche Farbigkeit. Das Bild war in der Ausstellung Lydia Roppolts In der Galerie Internationale in der New Yorker Madison Avenue im November 1979 erstmals ausge stellt worden. Der damals bei der UNO wellende Bundes kanzler Dr. Bruno Krelsky zeichnete die Künstlerin durch seine Teilnahme an der Aus stellungseröffnung aus. Er zeigte sich insbe sondere vom Bildnis Dr. Jachyms stark beein druckt und erlaubte Lydia Roppolt, Ihn zu por trätieren. Nach einer großen Anzahl sehr sub tiler Skizzen entstand erstmals ein monumen tales Bildnis Dr. Krelskys. Es zeigt den Bun deskanzler in sehr typischer Haltung. Die große künstlerische Herausforderung, das Bild eines Menschen, der täglich am Bild schirm erscheint und auch durch die Banalität der Karikatur verzerrt wird, unversehrt, kunst voll und gültig zu gestalten, hat Lydia Roppolt mit großem Einfühlungsvermögen gemeistert. 30

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