Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 1, 1982

lern eigene Bescheidenheit und Zurückhaltung bewahrt. Auf „Jahr märkten" der Literatur sucht man sie vergebens. Als dispositiver Schreibtyp will sie erst alles innerlich klar wissen das Ziel kennen, ehe sie an die Arbeit geht. Das Klarwerden über Grundriß und Aufriß und fertige Gestalt ist die eigentliche Hauptarbeit. Diese Methode scheint ihr mit Recht der Plastik und Architektur verwandt. Herta Staubs große Empfänglichkeit, ohne die sie keine Dichterin wäre, kann sie nur mit strengster Konzentration zügeln. ,,Zeiten der Welt offenheit", der Meditation und der konzentriertenausführenden Arbeit wechseln einander ab . . . wenn ich sehr intensiv arbeite, schließe ich die irdische Welt völlig aus, die Dichtung ist dann ,da' wie eine Hallu zination, sie ist das Lebendige" (an E.E., 11. 9. 1955). Aus diesem ,,Lebendigen" brechen der Dichterin immer neue Visio nen auf, die Herta Staub in der Drangsal leidvoller Erfahrungen zum mahnenden Gewissen ihrer Zeitgenossen heranreifen ließen: Zwing uns unter deine Flügel,, daß wir lieben lernen, lieben, grenzenlos anheimgegeben schöpferischer Urgewalt! Chor der Schaukelpferde Wir dachten erst, wir könnten Vieles ändern, wir müßten uns ein bißchen nur bemühn. - Die Welt schleift weiter in den alten Rändern, wir stehen hinter rostigen Geländern, sehr hübsch lackiert, rot, blau und braun und grün. Wir dachten dann, wir könnten vorwärts kommen, wir haben Mut und Disziplin gehabt. - Von unbekannten Reitern in Besitz genommen sind wir gerast, die Pferdeaugen glommen, und eigentlich sind wir im Kreis getrabt. Wir haben schließlich die Balance verloren und wackeln aufgeregt nach rechts und links. Wir sind in eine tolle Zeit hineingeboren, und halten wir auch noch so steif die Ohren, wir sind Gelenkte ihres Peitschenwinks. Aus: ,,Engel der Liebe" Zwischenruf der Mädchen Man liebt uns heftig, keinesfalls auch echt. Man nimmt sich grad die Mühe, uns zu nehmen. Man sagt uns, daß das weibliche Geschlecht ganz gleiche Pflichten habe, gleiches Recht, und daß es aus sei mit dem dummen Schämen. Man prüft uns sachlich, nämlich die Gestalt, denn schmale Schenkel sind viel mehr als Güte. Wer Sexappeal hat, braucht nicht inneren Gehalt, Gefühle komplizieren nur den Sachverhalt, Gedanken machen Falten, Gott behüte! Man spricht zwar mit uns, oft sogar gescheit, nur darf ein Auftakt meist nicht lange währen. Heut herrscht doch überall verkürzte Arbeitszeit und scheinbar kann man unser bißchen Menschlichkeit ganz gut, viel leichter noch als je, entbehren. Aus: Schaukelpferd. Gedichte von Herta Staub Augartenverlag Stephan Szabo, Wien-Leipzig (1933) 86

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