Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 1, 1982

Literaturbeilage der Kulturzeitschrift Oberösterreich 1/1982 Herta Staub Alles hat Stimme und alles Gesicht kommt kommt ... Macht hat nur Dauer, wenn sie Leben hüten kann! Dazu doch wurde sie, vom Leben selbst verliehen. Herta Staub: Honoria Auswahl und Einführung Aldemar Schiffkorn ,, Alles hat Stimme und alles Gesicht - kommt . . . kommt". Diese Verszeilen aus Herta Staubs Titelgedicht ihres Lyrikbandes ,,Der Feenrufer" (1958) hatte Heimito von Doderer immer wieder zitiert, wenn er der Dichterin begegnete; so nachhaltend war er von ihnen berührt worden. Er wuläte um die Dynamik von Herta Staubs Wort magie, die auch dem Sprachelosen unseres Innersten Stimme verleiht - ja selbst das Dunkel, das unsere Seele zuweilen befällt, auszuloten vermag. Wort für Wort legt sie prüfend in die Waagschalen, sorgsam bedacht, daß nicht eins von allen das Gleichgewicht störe. Dem klas sischen Equilibrium von Inhalt und Gestalt verpflichtet, gewinnt ihre Aussage poetisches Gesicht. Eine gebürtige Wienerin, ist Herta Staub vom Vater her alemanni scher Abstammung, mütterlicherseits als Urenkelin des von Adalbert Stifter so sehr geförderten Bildschnitzers Johann Rint Linz sehr ver bunden. ,,Die künstlerische Begabung habe ich wohl von dieser Linie her. Das Gestalten von Figuren - wenn auch nicht in Holz oder Stein, sondern in Roman und Drama - ist mir einfach im Blut; alles drängt mich dazu" (an Else Engländer, 2. September 1953). Am 21. Dezem ber 1908 geboren und nüt der Wende von 1938 ins Abseits gedrängt, waren jene drei Jahrzehnte und die folgende Kriegszeit von Verhält nissen geprägt, an denen manche ihrer literarischen Gefährten schei terten. Ihr erster Gedichtband ,,Schaukelpferd" (1933) hatte schon ,,einen ei genen Ton" angeschlagen, wie Friedrich Schreyvogel vermerkte. Mehrere Gedichte daraus wurden vertont. Das Kinderbuch ,,Flori und die Weltflieger" erscheint 1934. In den österreichischen und deutschen Lyrik-Anthologien der dreißiger Jahre finden wir Herta Staub unter anderem mit Richard Billinger, FeUx Braun, Hermann Broch, Hans von Hammerstein, Alexander Lernet-Holenia, Hans Leifhelm, Erika Mitterer, Robert Musil, Heinrich Suso Waldeck, Guido Zernatto und Julius Zerzer vertreten. Sie werde bald schon in der ersten Reihe deutscher Autoren stehen, hieß es damals. Ohne - der Not gehor chend- auf ,,Brotberufe" verzichten zu können, ist sie ,,nebenher", doch umso engagierter, bei der,, Wiener Zeitung" als Kulturjournali stin tätig, wirkt als Auslandskorrespondentin, arbeitet für Coudenhoves ,,Paneuropa-Union", ist Mitglied der avantgardistischen ,,Gruppe der Jungen" (mit Hochwälder, Kreisky, Thieberger u. a.), an deren ,,Literarischen Monatsheften" sie mitarbeitet. Alles Leid und die Bitternis der Zeit nach dem Zusammenbruch der Monarchie, Elend und sittlichen Verfall im Wien von 1919, österreichische Kin der, die aus dem gastlichen Holland nicht mehr heimkehren wollen, schildert der 1937 erschienene Roman ,,Blaue Donau ade" in ebenso fesselnder wie beklemmender Weise. Claudio Magris sieht die Ver fasserin in enger Beziehung zur österreichischen Tradition, die nicht Epigonentum, vielmehr,,persönliche Wiedererarbeitung" des Ererb ten bedeutet.,,Honoria", das Drama einer Friedensstiftung, entsteht 1943. Am Gleichnis der Kaisertochter Honoria, die Attila bezwingt, offenbart sich die Liebe als einzige Kraft, die selbst Urgegensätze zu überwinden vermag. Im Kriege beim Denkmalamt verpflichtet, wirkte Herta Staub dann ab 1945 an der Seite des Wiener Kulturstadt rates Dr. Viktor Matejka als Kunstreferentin im Kulturamt der Stadt Wien. Eine auf Grund tragischer Kriegserlebnisse erlittene psychi sche und physische Krise erschließt in der Folge vertiefte philoso phisch-theologische Einsichten. Sie entschließt sich, als freie Schrift stellerin im geistigen Wiederaufbau Österreichs einen ihr gemäßen Beitrag zu leisten. Zur 150-Jahr-Feier des Linzer Landestheaters ver faßt sie den lyrischen Prolog ,,Drei Wände im Licht", der preisgekrönt wird; aus gleichem Anlaß wird 1954 ihr Schauspiel,,Söhne der Frei heit" mit einem Preis des Landes Überösterreich ausgezeichnet. Ein Zeitgenosse - vor Entscheidungen stehend - erlebt in visionärer Schau die der unseren ähnliche Epoche um die Wende von Antike zum Mittelalter und das Wirken St. Benedikts. ,,Die Worte unserer Zeit Idingen in diesen Traum . . ." (an E. E., 2. September 1953). ,,Licht für Ninive" (1955), als Freilichtspiel im Blick auf den Propheten Jonas konzipiert, wendet sich gleichfalls an die Menschen unserer Tage. Die fünfziger und sechziger Jahre gelten vorwiegend dem selbstlosen Dienst am literarischen Erbe Rudolf Kassners. Editorische und publizistische Arbeit, Vorträge u. a. in Wien, Paris, London oder etwa in Sierre beim Rilke-Kongreß sowie die Mitarbeit und Endredaktion an Gerhard Baumanns (Universität Freiburg i. Br.) Werk über Robert Musil weisen Herta Staub als litera rische Expertin von Rang aus. In den Almanachen und Anthologien, die seit 1945 erschienen, finden wir sie jeweils repräsentativ vertre ten. Der Gedichtband ,,Welt als Versuch" (1978) zeigt uns die Dichterin ,,auf der Höhe ihrer Kunst" (Viktor Suchy). Hier wie im ,,Feenrufer" wird europäische Spiritualität im weitesten Sinne transparent. Rudolf Henz sieht in Herta Staub eine,, Dichterin des ganzen Menschen: also seiner immer wieder zerbrochenen, immer wieder auferstehenden Hoffnungen". Claudio Magris widmet den mediterranen Einflüssen in der Lyrik von Herta Staub im Literarturorgan ,,11 Veltro" (Rom, 4/1966) eine eingehende Studie. Er würdigt die äußerst suggestive Weite ihrer ,,geistigen Geographie" und sieht in Herta Staub eine ,,Erbin jener höchst besonderen, plurinationalen und kosmopoliti schen Wesensart, die ein Kennzeichen der im habsburgischen Impe rium blühenden Zivilisation gewesen ist". Mehrfach mit Literatmrpreisen ausgezeichnet und zu Recht vom Bundespräsidenten mit dem Berufstitel Professor belehnt, hat sich Herta Staub die wahren Künst85

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2