Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 1, 1982

Oberösterreich aktuell Das ehemalige Rathaus von Enns, Hauptplatz Nr. 19, jetzt Stadtmuseum, Im Kern gotischer bzw. renaissancezeitlicher Bau mit barockisierter Fassade, 1982 Ort der oberösterreichischen Landesausstellung ,,Severin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung". - Foto: Hartlauer Zu Beginn des 10. Jahrhunderts war es auch, daß sich der wehrpoiitische Schwerpunkt ge gen Osten richtete, von wo die Gefahr der Ungarneinfäile drohte. Auf der Hochterrasse des Georgenberges über der Ennsmündung ent stand als Bollwerk und Festung gegen die Ma gyaren die ,,Anisapurch". In ihrem Schutz und zu ihren Füßen entwickelte sich der Marktflekken ,,Ense", der nun mehr Sicherheit bot als das allmählich unbedeutend werdende Lorch. Enns und die Ennsburg erlebten hingegen im Mittelalter eine hochgemute Zeit. Von der Burg aus konnten sowohl der Enns- als auch der Donauübergang bewacht werden, und die Ennser Jahrmärkte zogen Kaufleute aus na hezu ganz Europa an. Die politische Bedeu tung der Ennsburg gipfelte im Georgenberger Vertrag von 1186, der den Babenbergern nach dem Aussterben der Otakare die steirische Mark sicherte, und die Machtsteilung der Enn ser Bürger manifestierte sich dadurch, daß Herzog Leopold Vi. dem Markt 1212-tausend Jahre, nachdem Lauriacum municipium ge worden war - das Stadtrecht verlieh, womit Enns zur ältesten Stadt Österreichs wurde. Ein ähnlicher Höhepunkt in seiner Entwicklung war Enns im Zeitalter der Renaissance und Reformation beschieden. Wenn auch die Hochblüte von Handel und Gewerbe, von Bür gerstolz und optimistischem Zukunftsglauben nur wenige Jahrzehnte anhielt, so bescherte sie der Stadt doch unschätzbare Zeugnisse einer Baugesinnung, die die Im Kern gotischen Häuser mit so eigenwilligen Fassaden schmückte, daß man versucht ist, vom ,,Enn ser Baustil" zu sprechen und die im Wahrzei chen von Enns, dem Stadtturm, entstanden zwischen 1554 und 1568, gipfelt. Etwa zur selben Zeit wurde die mittelalterliche landes fürstliche Ennsburg zum weithin dominieren den Schloß Ennsegg umgebaut. Dennoch war Enns bis in unser Jahrhundert eine Kleinstadt, die nur wenig aus dem Gürtel der ab 1193 errichteten Ringmauer mit Befe stigungstürmen und Toren hinauswuchs. Lei der blieben der Siedlung an der strategisch wichtigen Ost-West-Verblndung kriegerische Bedrängnisse und Einquartierungen nicht er spart. Im großen oberösterreichischen Bau ernkrieg von 1626 wurde Enns von den Auf ständischen eingeschlossen und vom Elch berg aus beschossen. Erst nach einem Monat der Belagerung machte Obrist Hans Christoph Freiherr von Löbl dem Bauernspuk ein Ende, in Enns hatten mehr als achtzig Häuser schweren Schaden erlitten, in den napoleoni schen Kriegen zogen französische Truppen 1800, 1805 und 1809 durch die Stadt. 1809 kam es am 4. Mai um den Ennser Brückenkopf sogar zu einem Kampf, den Napoleon von Schloß Ennsegg aus, in dem er sein Haupt quartier aufgeschlagen hatte, beobachtete. MUSSUM y^üKACiiM Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges schließlich wurde Enns an der amerikanisch russischen Demarkationslinie für zehn Jahre Grenzstadt, die man in Richtung Osten nur mit gültigem ,,Identitätsausweis" verlassen durf te. Das Enns unserer Tage ist eine freundliche, betriebsame Stadt mit rund 10.000 Einwoh nern, in der sich trotz beachtlicher Industrie - Zucker-, Eisenverarbeitungs- und Schmuck warenfabriken - der Zauber des mitteiaiterlichen Stadtkerns unverfälscht erhalten hat. Ja, es scheint sogar, daß manche Hauseigentü mer die Tatsache, daß Enns 1982 Schauplatz einer Landesausstellung ist, zum Anlaß ge nommen haben, die historische Fassade ihres Gebäudes fachgerecht restaurieren zu las sen. So bieten sich dem Betrachter liebevoll erhaltene Details In gotischen Tür- und Fen stergewänden, renaissancezeitllchen Kratz putzornamenten, prunkvollem barockem Stuck und verspielten Rocaillen aus dem Ro koko dar. Es ist ein Genuß, durch die Ennser Straßen und Gassen zu schlendern: nahezu mit jedem Blick entdeckt man neue Kostbar keiten an Erkern und Ecktürmchen, schmie deeisernen Gittern und granitenen Kragstei nen, und man gewinnt fast den Eindruck, der Ennser Stadtkern sei ein einziges großes Por trät vergangener Stiiepochen. Einen Schwerpunkt in diesem Porträt fixiert die Stadtbefestigung. Sie ist noch in beachtli chen Resten vorhanden, wenngleich die Stadttore Mitte des vorigen Jahrhunderts ab getragen wurden. Geblieben sind jedoch unter anderem der Juden-, Pfaffen-, Bäcker- und Ledererturm sowie der überaus bemerkens werte Frauenturm: In seinem Obergeschoß befindet sich die Kapelle des im 14. Jahrhun dert von den Waliseern gestifteten ehemali gen Johanniterspitais mit Wandfresken aus der Erbauungszeit. Die Fresken wurden 1911 freigelegt und stellen Szenen aus der Lei densgeschichte des Herrn sowie Heiiigeniegenden dar. Ebenfalls mit dem Adelsgeschlecht der Wallseer verbunden ist die Stadtpfarrkirche Maria Schnee. Sie gehörte ursprünglich zum Kloster der Minderen Brüder und vermittelt mit dem großzügig proportionierten Langhaus und dem stimmungsvollen Kreuzgang einen har monischen Raumeindruck. Den Höhepunkt 66

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