Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 1, 1982

Kunst der Gegenwart Der Linzer Bildhauer Peter Dimmei und seine sakralen Werke Erich Widder Von zeitgenössischer Plastik ist in unseren Kirchen selten die Rede, weil es sie kaum gibt. Das stimmt allerdings nur, wenn unter den Be griffen Plastik und Bildhauerei vorschnell an Skulpturen gedacht wird. Tatsächlich ist der Anteil der Bildhauerei an der Ausstattung alter und neuer Kirchenbauten im Lande ziemlich groß. Vielleicht liegt dieses Mißverhältnis von Leistungen und Bekanntheit an der zumeist dienenden Funktion der bildhauerischen Auf gaben, die im Zusammenhang eines Baugefüges wirken müssen und deshalb spektaku läre Formen vermeiden, zugunsten von Har monie und Einfachheit. Bevor das Wirken Peter Dimmeis auf diesem Gebiet gewürdigt werden soll, ist es sicher an gebracht, kurz die Bedingungen der plasti schen Kunst in unserem Jahrhundert zu skiz zieren. Im 19. Jahrhundert galt für die Bildhauerei die Kunst der späteren Stilstufen der Antike als verpflichtendes Vorbild, das von der künstleri schen Kraft dieser Zeit noch weniger mit eige nem neuen Leben zu erfüllen war als in der Malerei. Rilke hat in seinen Rodin-Betrachtungen im Jahre 1917 geschrieben: „Die Plastik, die be trieben wurde, war immer noch die der Model le, der Posen und der Allegorien, das leichte, billige und gemächliche Metier, das mit der mehr oder weniger geschickten Wiederholung von einigen sanktionierten Gebärden aus kam." Rodin hat mit seiner Plastik die Besinnung auf die eigentlichen Möglichkeiten und Wirklich keiten plastischen Biidens gebracht, wenn er sagt: ,,Skulptur ist die Kunst, die Formen im Spiel von Licht und Schatten darzustellen." Im Spiel eines lebendigen Formorganismus fand er neue Überzeugungskraft für Bewegung und Pathos seiner figürlichen Sinnbilder. Rilke sagt von ihm: ,,Er konnte eine Gebärde, die ihm groß schien, formen und den Raum zwin gen, daran teilzunehmen." Aristide Maillol, der sich erst seit 1900 intensi ver mit plastischen Arbeiten beschäftigte, ver zichtete als erster bewußt auf die modellie rende Wirkung des Lichts, um reine, allein aus der Vorstellung des körperlichen Volumens geborene Plastik zu schaffen, in der etwas von antiker Sinnenfreude wieder wach geworden zu sein scheint. Auf seiner Griecheniandreise hat er die noch primitive Kunst von Olympia der Plastik des klassischen 5. Jahrhunderts vorgezogen. Die ursprüngliche Aussagekraft der Linie fand nicht nur bei Maillols Plastiken, sondern auch im Jugendstil in den Konturen plastischen Gefüges bildnerische Verwirkli chung. Darüber hinaus war hier der Sinn für eine materialgerechte Behandlung des Werk stoffs erweckt. Die Formentdeckungen wer den nicht nur äußerlich angewendet, sie wer3 tiS Basilika St. Laurentius Enns-Lorch, Südtor (Haupteingang), mit dem Thema des hi. Florian (Porta St. Fioriani), Bronze, 1970. Sämtliche Fotos zu dieser Abhandlung vom Autor den zur notwendigen Voraussetzung für die künstlerische Faßbarkeit eigenen Erlebens und Empfindens. Ernst Barlachs Lineamente in den von körper licher Spannung erfüllten Konturen seiner wuchtigen Figuren bereiten die tief menschli che Aussage in den Antlitzen vor. Ossip Zadkine hat in seiner Venus von 1922 nur mehr die Illusion des Natürlichen mit der strengen Beziehung einfacher Formelemente antithetisch zur erhabenen Erscheinung des menschlichen Körpers gesteigert. Dennoch erfüllt die Plastik unseres Jahrhun derts ein wirksames Moment der Tradition im Sinne der Suche nach dem Menschenbild. Was ist dann mit der Abstraktion in der Pla stik? In jedem Museum begegnet man Kon struktionen im Raum in der bewußten Eleganz technischer Formen als Gleichklang zur Schönheit organisch gewachsener, natürli cher Form. Metallplastiken haben in neuen Formzusammenhängen elastischer Leichtig keit und Sicherheit scheinbar eine neue, ei gene Ästhetik aufgebaut. Absolute Unwirklichkeit ist überzeugende künstlerische Wirk lichkeit geworden. Demgegenüber stehen die Werke, die man als gleichnishafte Zeichen setzung empfindet; die künstlerische Tat hat sie aus tiefer Traumwelt geholt, gebildet und so verwirklicht. Der Besucher des Plastikgar tens im Israel-Museum Jerusalems erinnert sich an das Wort Hölderiins: ,,Ein König ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt." So schillernd ist auch die Welt der Plastik in diesem Jahrhundert. Da wird ein Mensch zum Bildner durch Geburt und Erziehung, vor allem aber durch das Abenteuer seines eigenen Geistes und Schicksals. Der im Jahre 1928 geborene Peter Dimmei wird schon als Kind durch eine Ge hirnhautentzündung taub. Der Sohn des Aka demieprofessors Herbert Dimmei kann nach der Grundschule in der Taubstummenanstalt von 1943 bis 1945 an der Wiener Akademie für angewandte Kunst bei Professor Obsieger künstlerische Keramik studieren. Gezeichnet und gemalt hat er schon als Kind im Atelier des Vaters. Nach dem zweiten Weltkrieg ist er vier Jahre als Keramiker in der Werkstätte Angermayr in Eberschwang tätig, bis er sein Stu dium an der Kunstschule der Stadt Linz, die von seinem Vater geleitet wird, in der Meister klasse Professor Walter Ritter absolviert. Schon bevor er 1957 als freischaffender Künstler tätig ist, finden seine Leistungen An erkennung: 1954 erhält er den Förderungs preis des Oö. Kunstvereines, 1955 den der Katholischen Hochschulgemeinde Wien, im selben Jahr bekommt er die Goldene Interna tionale Medaille für Plastik in Zagreb, 1957 die Silberne Internationale Medaille in Rom, spä ter folgen die Goldene Internationale Medaille für Plastik in Wiesbaden und 1962 der Förde rungspreis des Landes Oberösterreich. Das ist ein schöner Start, wenn man noch die Aus stellungsbeteiligungen in Linz, Salzburg, Wien, Graz, Ried, Braunau, Brüssel, Zagreb, Rom, Wiesbaden, Fulda und München hinzu zählt. Damit ist auch der Weg aus der Isolation der Behinderung gefunden, und es darf hier ein mal auch an die freundschaftliche Hilfe seiner Künstlerkollegen erinnert werden. Was war sein frühes Werk, das ihm diese Be achtung einbrachte? Vor allem sind es Kieinplastiken, die sich noch in seinem Atelier ,,Auf der Halde" erhalten ha ben. Die prägende Kraft seines Lehrers Walter Ritter klingt in ihnen nach. Aber immer ist es die Potenz der einzelnen Persönlichkeit, die aus dem eigenen Bestreben heraus die we sentlichen Erkenntnisse des Vorangegange nen aufnimmt, auch ohne augenfällige, äußer liche Übernahme einzelner Stilelemente. Seine Terrakottafiguren sind einmal dyna misch, von tänzerischer Leichtigkeit, eine ,,Zirkusreiterin" und ein ,,Pas de deux" sind auch nicht anders denkbar; weithin ist aber ein 57

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