Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 1, 1982

Historische Kunst Ablauf der Geschlechter erfüllenden Heilspla nes war, ist nun nicht mehr die alleinbestim mende Macht. Das einst so geschlossene Bild der mittelalterlichen Welt zeigt plötzlich klaf fende Risse und ein verwirrende Fülle gegen sätzlicher geistiger und künstlerischer Strö mungen verrät die tiefe Erschütterung des ganzen Daseins. Weltangst, religiöse Verzükkung und jeder Aberwitz und Aberglaube be herrschen die Menschen. Diese Erregung der Zeit hat in den Holzschnitten Albrecht Dürers zur ,,Geheimen Offenbarung des Johannes" einen vollkommenen künstlerischen Ausdruck gefunden. Das Schaffen Altdorfers fällt zugleich in eine Zeit der größten religiösen und politischen Verwirrungen Deutschlands. 1517, also in der Zeit, in der er sein Hauptwerk, den großen Se bastiansaltar von St. Florian abschließt, schlägt Martin Luther an der Schloßkirche zu Witten berg seine 95 Thesen gegen den Mißbrauch des Abiasses an und leitet damit die Reforma tion ein, die alle Verhältnisse in den Grundfe sten erschüttert. Die Kirche gerät in die tiefste Krise ihrer Geschichte, als deren Folge sich die Glaubensspaitung in Deutschland voll zieht. Dazu stirbt Kaiser Maximilian I. ganz unerwartet 1519. Sein Enkel, der spätere Kai ser Karl V., ist eigentlich Spanier und durch seine Großmutter, Maria von Burgund, in glei cher Weise französischen wie durch seinen Großvater Maximilian deutschen Geblüts. In Genf zur Welt gekommen, wächst er in den Niederlanden auf und beherrscht kaum die deutsche Sprache. Nur durch politische Tricks und umfangreiche Bestechungsgelder kann er sich bei der Bewerbung um die deutsche Kai serkrone gegen den französischen König Franz I. behaupten. Durch die Ausbildung der Juristen an italieni schen Universitäten hatte sich in Deutschland alimählich das römische Recht durchgesetzt, das den Landesherren unumschränkte Ge walt zusprach. Das führte zur Ausbildung ei nes fürstlichen Absolutismus, gegen den der Kaiser machtlos war. Zugleich kam es zu einer Unterdrückung des germanischen Gewohn heitsrechts, wodurch die Bauern in immer stärkere Abhängigkeit zu ihren Feudalherren kamen. Diese verloren durch das Aufkommen der Feuerwaffen, die vom Adel als ,,unritter lich" empfunden wurden, ihre militärische Be deutung. Anstelle des Lehens-Aufgebots tra ten nun die Söldnerheere, die durch die Feu erwaffen und ihre größere Beweglichkeit den schwerfälligen Ritterheeren weit überlegen waren. Dies zeigte sich bereits deutlich in der Schlacht von Wenzenbach, die im bayeri schen Erbfolgekrieg im September 1504 vor den Toren Regensburgs zwischen Maximilian und einem böhmischen Aufgebot ausgetragen wurde, und besonders 1525 in der Schlacht von Pavia. Altdorfer hat die Schiacht von Wenzenbach übrigens in einer prächtigen Mi niatur dargestellt. Mit der Einbuße ihrer militä rischen Bedeutung gingen auch die Einkünfte der Ritter zurück. Sie konnten sich nur über Wasser halten, indem sie ihre Bauern mitleid los ausbeuteten. Als deren berechtigte Forde rungen nicht erfüllt werden, rotten sie sich 1524/25 zusammen - nicht zuletzt erregt durch die aufpeitschenden Flugschriften der Reformatoren. Sie begehen unsagbare Greu el, die Luther zu seinem Aufruf ,,Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern" veranlassen. Die Verwirrten und Füh rerlosen unterliegen in kurzer Zeit den geord neten Haufen der Fürsten. Durch die großen geographischen Entdekkungen der Zeit wird das Weltbild entschei dend erweitert. Es vollzieht sich zugleich ein entscheidender Wandel des Menschen in sei ner Beziehung zur Welt. Die irrationale Jen seitssehnsucht des mittelalterlichen Men schen, die bis zur asketischen Weltflucht reicht, weicht nun - nicht zuletzt unter dem Einfluß des italienischen Humanismus - der Freude am irdischen Dasein. Diese Welt freude wird als eine hohe Form der Beglükkung empfunden. Sie löst ein ganz neues star kes Naturempfinden aus, wie es in den Ge sängen des Conrad Celtis, der die vaterländi sche Dichtung zu erneuern versucht, beredten Ausdruck findet: ,,Mich entzücken die Quellen und die grünen Hügel, die kühlen Ufer des murmelnden Ba ches, die dichtbelaubten schattigen Wälder und die üppigen Gefilde." Man meint hier Altdorfer selbst zu hören. Das Jahr 1500 gibt mit seltsamer Genauigkeit die Schwelle zur Neuzeit an. Es teilt das Leben Dürers in zwei gleiche Hälften, von denen die erste noch ganz im Schoß des Mittelalters ruht. Dürer ist der Erbe alier vorausgehenden Kunst. Er ist der große Bewahrer, der aus den Händen Martin Schongauers, seines eigentli chen Lehrers, ungeschmälert den ganzen vorausgehenden Formbesitz in einer Weise übernimmt, daß man meint, das ganze Jahr hundert habe auf ihn gewartet. Er ist es dann auch, der die deutsche Kunst des Mittelalters mit den machtvollen Holzschnitten zur,,Apo kalypse" wie mit ehernen Pforten abschließt. Dieser Sprache konnte sich kein Künstler der Zeit ganz entziehen, auch Altdorfer nicht. Altdorfer ist aber mindestens ein Dutzend Jahre jünger als Dürer und damit ungefähr gleichaltrig mit Luther, der 1482 zur Welt kam. Somit gehört er in diesen rasch sich veränder ten Zeitläufen einer neuen Generation an, ei ner Generation, die sich leidenschaftlich, mit geradezu revolutionärem Elan, gegen alles Überkommene auflehnt. Die Künstler wenden sich nun gegen die verbrauchten Formen der Überlieferung, gegen das Musterbuch, vor al lem gegen die strenge Bindung an die mittelal terliche Werkstatt. Diese Bindungsiosigkeit, verbunden mit einem ganz neuen elementa ren Naturgefühl, verleiht besonders auch dem Frühwerk Altdorfers einen geradezu vaganti schen Zug. Vor allem seine frühen Zeichnun gen sind der Ausdruck einer ganz neuen Frei heit, und man glaubt geradezu das Wort Hut tens herauszuhören, mit der dieser das neue Jahrhundert preist. Altdorfer gehört zu jenen Künstlern, denen es zum erstenmal gelingt, der Weit mit frischen Augen gegenüberzutre ten, die Einzeldinge in der Natur - Wald und Feld, Berg und Fluß - zu jener Einheit zusam men zu sehen, die wir als Landschaft bezeich nen. Damit vollzieht sich ein entscheidender Akt in der abendländischen Geistesgeschichte, denn nun entsteht die Weit erst im Spiegel des individuellen Bewußtseins. Während es Dürer ähnlich wie Leonardo um eine völlig objektive Erfassung der sichtbaren Wirkiictnkeit geht, wird Altdorfer nun gleichsam zum Gegenpol der von ihm geschauten Welt, er wird gera dezu zum ,,centrum naturae", dem sich alles zuordnet. Besonders die frühen Zeichnungen Altdorfers, die für Dürer,,unbesonnen werk" gewesen sein müssen, werden nun zu einer Selbstdarsteiiung des Künstlers in einem vor her kaum verstellbaren Ausmaß. Das Ge spinst der Linien verwandelt sich in eine Art Psychogramm, das gegen alles Frühere eine völlige Neuschöpfung darstellt. Diese Ungebundenheit der neuen Form, die es auch so schwer macht, die künstlerische Herkunft Alt dorfers zu bestimmen, ist der unmittelbare Ausdruck einer wunderbaren Freiheit, ja sie gibt zum erstenmal die Vorstellung des neuen Menschen, der selbstverantwortlich vor Gott, der Welt, unbefangen gegenübersteht. Es ist von uns kaum mehr nachvollziehbar, welche Kühnheit, um nicht zu sagen, Verwe genheit es bedeutet, die alten, vor allem von der Kirche vermittelten Sicherungen aufzuge ben und sich ganz allein unter Eigenverant wortung zu stellen, unter das moralische Ge setz. Dieser Aufbruch ist zunächst von einem ungeheuren Optimismus begleitet, der nicht zuletzt in dem überquellenden Schöpfertum der Zeit seinen Ausdruck findet. Nie mehr vor her und nachher waren so viele große Künstler gleichzeitig am Werk wie in diesen Tagen: Dü rer, Grünewald, Altdorfer und Huber - Bai dung, Cranach, Burgkmair und Holbein - Veit Stoß, Hans Leinberger, Conrad Meit und Tilman Riemenschneider- um nur die Bedeu tendsten zu nennen. Aber der tragische Aspekt wird rasch offenbar, denn bald steht der Mensch der Welt, die ihn vorher- nicht zu letzt durch die religiösen Bindungen - bergend umfing, einsam, ja unbehaust gegenüber. 40

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