Die Baiern in Oberösterreich Kurt Holter Die Balernzeit im engeren Sinn umfaßt im heu tigen Oberösterreich nicht viel mehr als zwei Jahrhunderte - die Zeit von der eigentlichen Landnahme bis zur Eingliederung in das karolingische Reich am Ende des 8. Jahrhunderts. Im weiteren Sinn wird man jedoch die Zeit spanne dieser Epoche fast verdoppeln kön nen, indem man die Zeit der karolingischen Herrschaft, vielleicht sogar noch die soge nannte ,,Ungarnzeit" einbezieht. Diese endete mit der Schlacht auf dem Lechfeld Im Jahre 955, welche den über ganz Europa geführten Einfällen der ungarischen Reiterheere ein Ende setzte. Die Ungarnzeit bietet dadurch ein noch nicht befriedigend ausdiskutiertes Pro blem, daß sie in der herrschenden Ge schichtsauffassung vielfach als eine wesentli che Zäsur aufgefaßt wird, während andere Meinungen die durchgehende Kontinuität der grundsätzlichen Strukturen betonen. Solange diese Gegensätze nicht aufgeklärt oder auf die realen Komponenten zurückgeführt sind, wird man es vertreten können, dieses halbe Jahr hundert von 911 bis 955 als Epochengrenzraum oder Ausklang der Balernzeit aufzufas sen; denn darüber dürfte Einhelligkeit herr schen, daß die neuen Strukturen nach diesem Zeitraum endgültig ausgebildet wurden. Die Balernzeit in Oberösterreich ist dadurch gekennzeichnet, daß dieses Gebiet keines wegs einheitlich strukturiert war und weiter dadurch, daß es in seiner ersten Hälfte als ein Grenzgebiet gelten muß. In der zweiten Hälfte ist dieser Grenzbereich keineswegs ver schwunden, er blieb als Binnenzone erhalten, die keine politische Scheidung verursachte, sondern in den für die damalige Zeit maßge benden personellen Verhältnissen nachge wirkt hat. Weiter ist zu beachten, daß dieses Gebiet kei nen überragenden Zentralort, einen Herr scher- oder Bischofssitz, besaß. Von den als Pfalzorte in Betracht gezogenen örtlichkeiten, wie Hanshofen, Linz, Wels und Lorch, konnte keine eine den ganzen Zeitraum durchzie hende Bedeutung erlangen und sie sind, wie Siegfried Halder im Historischen Jahrbuch der Stadt Linz (1980) nachgewiesen hat, ebenso wie Atterhofen und Mattighofen in ihrer Mehr zahl erst in der Spätzeit zu Geltung gelangt. Sie haben Ihren lokalen Rang nie überschrei ten können. Freilich müssen zur Zeit der Landnahme bestimmte Siedlungen in Lorch, Linz und Wels Bestand gehabt haben, da das römische Namensgut erhalten blieb. Man wird sich aber den Umfang dieser Siedlungen be scheiden vorstellen müssen, auch wenn in Wels 888 mehrere Kirchen quellenmäßig ge nannt sind. Mit diesem Mangel einer festen zentralen Position innerhalb dieses Grenz raumes nimmt die Frühzeit eine Situation vor weg, die, abgesehen von kurzen ZwischenOE.UOCW Kanonblatt aus dem Mondseer Evangellar, München, Bayerische Staatsbibliothek, CLM 27270 spielen, für weitere tausend Jahre gelten soll te. Man wird aus diesem Grund aus der Früh zeit mehrfach interessante Einblicke in Ent wicklungsvorgänge gewinnen können, aber man wird nicht erwarten dürfen, daß von hier grundsätzliche Neuentwicklungen ausgegan gen sind. Die geschichtlichen Entwicklungen spielten sich damals im Zusammenhang von Perso nenverbänden ab. Ein staatliches Denken im modernen Sinne war nicht vorhanden. Man ist sich erst in den letzten Jahren und Jahrzehn ten restlos darüber klargeworden, daß alle po litischen Entwicklungen und auch die sied lungsmäßigen Strukturen ausschließlich von diesen personengebundenen Faktoren be stimmt wurden. Im Detail bieten diese Struktu ren noch viele offene Fragen, weil unsere Kenntnisse wegen der Spärlichkeit der Quel len viele ,,weiße Flecken" aufweisen. Als Geschichtsquellen bieten sich drei sehr unterschiedliche Bestände an: schriftliche hi storische Quellen, archäologische Erkennt nisse aus Zufallsfunden und Ausgrabungen In Gräberfeldern, in und um Kirchen und schließ lich namenskundliche Forschungsergebnisse aus Namensformen, die wir in den Schriftquelien finden, die aber auch aus späterem und zum Teil bis heute lebendigem Namensgut abgelesen werden können. Die Ergebnisse können wir in zwei Bereiche einteilen, den Be reich der geistig-geistlichen Kultur und die Entwicklungen einer damals sehr aktiven agrarischen Wirtschaft. Der erstere führt uns in den Fragenkomplex der Christianisierung unseres Landes und an die Ursprünge, wie zum Ausbau kirchlicher Einrichtungen und Tä tigkeiten; im zweiten Bereich wird man sich um die Aufklärung des Vorganges der agrari schen Landnahme bemühen müssen. Die erste und zweite Quellengruppe sind an verhältnismäßig wenig Punkte gebunden. Es ist aber nur selten möglich, sie so in Deckung zu bringen, daß wir befriedigende Ergebnisse gewinnen können. Die dritte Quellengruppe legt sich wie ein Netz über den ganzen Lan desbereich. Durch die mehr oder minder deut liche Eng- oder Großmaschigkeit fordert sie den Scharfsinn der modernen Forschung her aus, welche Schlüsse zu ziehen versucht, wo bei immer wieder die beiden anderen Quellen zur Überprüfung und Verifizierung herange zogen werden müssen. Es darf vorwegge nommen werden, daß die Frühzeit der Land nahme am schwierigsten aufzuklären ist, daß die Epoche des Überganges von den Agilolfingern zu den Karolingern mit sehr lebhaften Entwicklungen verbunden erscheint, und daß schließlich die späte Karoiingerzeit vielfach eher stagnierend wirkt, vielleicht deshalb, weil die aktivsten Kräfte an die weit nach dem Osten vorgeschobenen Grenzbereiche des karolingischen Imperiums abgewandert sind. Der Historiker wird seinen Überblick bei den Schriftquellen beginnen, zumal er damit so gleich in das Gebiet der Hochkultur eintreten kann. Die Schriftquellen konzentrieren sich In hohem Maß auf die Klöster Mondsee und Kremsmünster. Über Aitmünster/Traunsee und St. Florian wissen wir aus dieser Zeit fast nichts. Die Schriftquellen betreffen einerseits Stand, Wachstum und Besitzgeschichte der Klöster, andererseits erhellen sie das klöster liche Leben selbst, insbesondere durch die Erzeugnisse der Skriptorien und sonstige künstlerische Tätigkeiten. In dieser Hinsicht hat Mondsee in der Übergangsepoche von den Agilolfingern zu den Karolingern und in der Frühzeit der Karolinger einen einsamen Rang erreicht, der sogar in die übergeordne ten Zentren, wie Salzburg und Regensburg, ausgestrahlt hat. Eine formvollendete, edle Schriftform, die ünziale, ist hier zu einer groß artigen Blüte gebracht worden, deren Bedeu tung erst durch eine vor Jahresfrist erschie nene Darstellung des Münchener Paläographen Prof. Bernhard Bischoff völlig geklärt worden Ist. Die Anzahl der erhaltenen Denk27
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