Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 4, 1981

Die Jüngeren unter uns wissen nicht mehr, wie es in alien Städten und Orten Österreichs, ja der ganzen österreichisch-ungarischen Monar chie damals weiterging. Immer neue Soldaten wurden ausgehoben und ausgebildet. Nach einiger Zeit holte man die Glocken von den Kirch türmen, umkränzte sie und brachte sie, die Wagen von strammen Pfer den gezogen, zur Bahn - zum Einschmelzen für Kanonenrohre. Die er sten Gefallenen, in Steyr waren es fünf Berufsoffiziere, wurden in einem eigens angelegten Soldatenfriedhof auf dem sogenannten Tabor, der Anhöhe über der alten Eisenstadt, der sich bereits auf zwei Höfe aus gebreitet hatte, mit militärischen Ehren bestattet. Sie waren die ersten Toten dieses dritten Hofes. Musikdirektor Franz Xaver Bayer, der Schü ler und Freund Anton Bruckners, spendete das für sein Grab vorberei tete schmiedeeiserne Grabkreuz für den Stein, vor dem diese fünf To ten nun schon so lange ruhen. Es ist ein herrliches Kreuz, mächtig und kunstvoll. In späteren Jahren hat Hans Gerstmayr, der erste Mitarbeiter des Stahlschnittmeisters Michael Blümelhuber, viele Grabkreuze ent worfen und ausführen lassen, deren Vorbild dieses große Kreuz, aber auch ganz allgemein die früheren Barockkreuze waren. Einzig und al iein die Kupferreiiefs, Porträts der Verstorbenen, oder nur eine Inschrift, die Gerstmayr für sie geschaffen hat, haben die gemalten Bilder, meist Jesus und Maria, abgelöst. Der Vater Albert Mitringers ist dann einmal auf ein paar Wochen Urlaub heimgekehrt, mußte aber wieder fort. Und dann ... „Der schwarze Koffer" weiß es so . . . ... Es war der Tag, an dem die Frau entweder schon einen Brief von ihrem Gatten oder gar ihn selbst erwartete. Er müßte doch seinen Ur laub noch'einmal verlängert bekommen, hoffte sie. Da kam auch ein Soldat durch den Vorgarten herein. Wie er dann an die Tür klopfte und hereintrat, war er ein Mann von milder Art. Auch wie er sprach, war so. Aber was er sprach, konnte durch die Milde seiner Art und wie er das Wort setzte, nicht verwischt werden. Als die Frau es noch einmal und noch einmal gehört hatte, schrie sie derart, daß im Nach barhaus die Leute zusammenliefen. Man lief nach Sodawasser, um etwas Niederschlagendes für sie zu haben. Aber dieses Niederschla gende half alles nichts. Sie schrie wie ein angestochenes Tier. Florian, der daneben war, begriff gar nichts, aber wie er die Mutter schreien hörte, so, als ob ihr jemand mit einem großen Messer immer und im mer wieder mit unerhörter Geduld im lebendigen Leibe herum bohrte, mußte er schrecklich weinen. Es blieb ihm nichts anderes üb rig, er mußte endlos lange weinen. Dann brachten die Nachbarn die beiden ins Bett. Da würde alles leichter werden. Der Soldat hatte ihnen nämlich in seiner müden Weise berichtet, daß der Vater sehr schnell, plötzlich, gestorben war, weil alle seine Kräfte durch die vielen Strapazen auf einmal versagt hätten. Das Erwachen war so, wie es beim Jüngsten Gericht sein muß, wo der Mensch vor ein alle jemals Lebendigen und alle jemals gewesenen Gegenstände durchleuchtendes Licht gestellt wird. Nichts am Körper und nichts im Körper, nichts in der Seele und im Geist ist undurchUchtet und jeder kleinste Fleck wirft seinen Schatten. So war das Er wachen für die Mutter und ihr Kind, nichts fühlten sie in ihnen, was vor der ganzen Öffentlichkeit nicht offen war. Die Beule, die ihnen ins Blut geschlagen worden war, die blieb ihnen und würde von da an durch alle Ewigkeit ihre Schatten werfen. Begraben wurde dann der Vater nach der bekannten Frist von drei Tagen im Friedhof der Soldatensammelstelle der nächstgrößten Stadt, von wo er seinen Weg in die Weite genommen und aus der er wohl nie mehr ganz zurückgekehrt war. So viel Geld war sogar da, daß ein Grabmal aus Granit besteUt werden konnte, aus jenem Gra nit, aus dem auch der Springbrunnen im alten Stadtteil in der Vater stadt war. Irgend jemand kam darauf, daß der Mann aber eigentlich in den Soldatenfriedhof seiner Heimatstadt gehöre, viele Gefangene, die dort im Lazarett gestorben waren, lagen auch dort, viele Erinne rungsmale entstanden, welche an die fernwo Gebliebenen mahnten. Als es gelang, die Bestellung des Granitsockels rückgängig zu ma chen, war zum erstenmal so etwas wie der Schimmer eines kleinen Glücks in der Familie, denn mit diesem Geld konnte der Vater, der so viel Heimweh gehabt hatte, wenigstens in die Erde, von der er kam, gebettet werden . . . Was weiter geschah? Die Mutter unseres Dichters wurde schwer krank, so daß ihre Schwester ins Haus kommen und sich um sie kümmern mußte. Sie hat dann auch, als der Kriegerswitwe eine Tabaktrafik zu gewiesen wurde, dieses Geschäft betreut und sich um ihre Schwester und den Sohn umgesehen. Man kann sagen, daß sie alle ihre heim lichen Wünsche diesem Dienst unterstellt hat. Es wurde ihr mit einem langen Lebensalter gelohnt. Die Wohnung, aus der sie herausgestor ben ist, hat heute noch Albert Mitringer zum Mieter. Es ist eine Genossenschaftswohnung, für die von der Familie eingezahlt worden war. Über den Werdegang Albert Mitringers ist zu sagen, daß er das Steyrer Realgymnasium besuchte, damals eine neue Form (eine Reform der al ten Oberrealschule) der sogenannten Mittelschule, heute als Allge meinbildende Höhere Schule bezeichnet. Er war ein vorzüglicher Schü ler, ohne ein Streber zu sein. Von seinem Vater dürfte er die Freude am Gesang und auch eine schöne Stimme vererbt bekommen haben. Der Vater zählte zu den Gründern des Steyrer A-capella-Chores ,,Sänger lust", der in den dreißiger Jahren unseres Säkulums geradezu europä ischen Ruf hatte. Bis zum Stimmbruch sang er bei den Schülerkonzer ten immer die Solostimme des Soprans. Danach entdeckte er seine Begabung für eine andere Gattung der Kunst, für die Literatur. Er schrieb damals schon eine wunderbare Prosa, etwa im Stil der Roman tiker, so eines Novalis, und war auch begabt für Grafik und Malerei. Er wollte auch Architekt werden, ein Beruf, dem er noch immer etwas nachtrauert, weil er sich dazu berufen fühlte. An der Wiener Akademie der bildenden Künste waren die Prüfer anderer Meinung, was aber be reits anderen jungen Leuten gesagt wurde, darunter einem, für den es persönlich wie für seine spätere Umweit besser gewesen wäre, wenn man ihn aufgenommen hätte. Albert Mitringer holte schließlich die La teinmatura nach und studierte an der Wiener Alma mater Rudolfina Germanistik und Philosophie - zuerst bei Paul Kluckhohn, dann bei Jo sef Nadler, bei dem er auch promovierte. Kluckhohn hatte ihm bereits das Dissertationsthema vorgegeben, es konnte nur eines über die deutschen Romantiker sein. Es war zugleich ein rein musisches, um nicht zu sagen musikalisches: die Musik der Sprache. Darüber wird später noch zu schreiben sein. Es ist erfreulich, in unserer übertechnisierten Zeit, in der beinahe nur noch die Technokratie, eine bei weitem überschätzte, allerdings nicht mehr einzudämmende Technokratie, Vorrang hat und das Schöne kaum mehr gilt, auch wenn davon viel geredet und geschrieben wird, es ist erfreulich, da und dort noch schaffende Geister zu wissen, deren Streben nicht die Gigantomanie auf allen Gebieten ist, die keineswegs zu einem Aufstieg der Menschheit, sondern viel eher zu ihrem unaus bleiblichen Untergang führen muß. Haben sich nun in Albert Mitringer die Handhabung der Muttersprache, eine Hinneigung zur Musik (die ihn nach Jahren auch auf den Posten des Vorsitzenden des Direktionsrates des Vereins,.Wiener Symphoni ker" geführt haben mag) und eine Begabung oder zumindest eine Liebe zu den bildenden Künsten vereinigt, so ist bei ihm auch immer wieder seine Bevorzugung jenes volkstümlichen Zweiges der Kunst, nämlich der Volksbildung in allen ihren Sparten, im Vordergrund gestanden. 1934, ein Jahr nach seiner Promotion, ist er zu Staatssekretär Lugmayr gestoßen, der auf dem Gebiet der Volksbildung besonders in Nieder-

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