Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 4, 1981

Kunst der Gegenwart Franz von Zülow und die volkstümliche Kunst Elfriede Priliinger Im Jahr 1954 veröffentlichte der Forscher Herbert Kühn den ersten Band seiner dreiteili gen Kulturgeschichte unter dem Titel: „Das Erwachen der Menschheit." In diesem Band sind die unwahrscheinlich modern anmuten den, prähistorischen Höhlenzeichnungen zu sehen, Tierformen, dargestellt mit bewun dernswerter Merkmaltreue und Genauigkeit, ohne daß man von Naturalismus im Sinne ei ner Nachahmung reden könnte. Es sind Kunstwerke besonderer Art. Sie entstammen einer Zeit, In der die Bilddarstellung eine me taphorische Zeichensprache war, die noch keines Wortes bedurfte und doch allen ver ständlich war. Diese ursprüngliche, intuitive Aussage hat sich - unabhängig vom Einge ständnis und Verständnis der einzelnen nach folgenden Zeltabschnitte - auf verschlungensten Kulturwegen bis in die Gegenwart erhal ten: In vielfältigen, volkstümlichen Zeugnissen der sogenannten Volkskunst, deren Wurzeln und Bedeutung in Tiefen zurückreicht, die in den Anfängen der menschlichen Bewußtsein sentfaltung zu suchen sind. Diese Volkskunst hat ein sehr zähes Eigenle ben. Wo sie so instinktiv, wie sie selbst ist, ver standen wird, entwickelt sie sich ungeniert weiter; wo sie aber durch einengende plakati ve, spekulativ-nationalistische oder sonstige Ablenkungsmanöver gestört wird, weiß sie geschickt zwischen sich und den Zeitgeist den Mantel Irgendeiner Mode-Folklore zu schie ben, hinter dem sie das Wesen ihrer Bedeu tung verbirgt und für verständnisvollere Situa tionen bewahrt. Man muß, wenn man über den Maler Franz von Zülow nachdenkt, auch die inneren Ge setze der Volkskunst zu verstehen suchen. Denn ohne diese Beziehung ist der große Um fang seines Künstlerwesens nicht zu erfassen. Im Jahr 1935 schrieb Ludwig Sternetz in der Zeitschrift ,,Die Pause" über das bildnerische Erbe, das die Mutter Marie von Zülow Ihrem Sohn mitgegeben habe. Sternetz charakteri siert die Frau folgendermaßen: Sie war selbst von künstlerischem Geist durchdrun gen, dem sie Ausdruck gab in jener schlichten, volkskunsthaften Art, deren Ergebnissen wir heute große, weiträumige Museen widmen. Sie zeichnete dem Knaben jene schönen, heraldisch adeligen Blumensträuße und Tiere, wie wir sie ob ihrer Stilsicherheit und typisie renden Prägsamkeit an den bäuerlichen Tru hen und Kasten, an den Stickereien bewun dern .. ." Auch Ernst Köller befaßt sich mit der engen Bindung Zülows an die Volkskunst, und zwar Im Vorwort zum Ausstellungskatalog der Ga lerie Peither-Lichtenfels, die dem Künstler Im Jahre 1966 eine Ausstellung widmete. Köller sieht in seinen Ausführungen den Maler so: ,,. .. Zülow war von Anfang an ein Künstler, Gewitterwolken, Papierschnitt, 1906, Züiow-Archiv, Bildreproduktion. Sämtliche Aufnahmen zu dieser Abhandlung stammen von H. G. Priliinger der sich mit der bäuerlichen Welt auseinan dersetzte. Er zählt damit zu der großen Schar jener, die im ersten Jahrzehnt unseres Jahr hunderts auszogen, um neue Anregungsbe reiche zu entdecken: Picasso fand die Neger kunst, Pechstein strebte in die Südsee, Nolde stürzte sich in mystische Spekulationen. Die Auseinandersetzung mit der Bauernkunst aber hatte Zülow - ohne vielleicht davon zu wissen - mit den Künstlern des ,Blauen Rei ters' aus der Murnauer Periode gemein. Zülow ist allein schon durch die Verfolgung derartiger Tendenzen auf eine gesamteuro päische Ebene gehoben, er ist weit mehr als ein ,Lokalphänomen', gerade weil er sich mit Lokalem auseinandersetzte ..." Es beleuchtet sowohl den Wert wohlverstan dener Volkskunst, als auch die hervorragende Bedeutung des Malers Franz von Zülow, wenn dieser Künstler seit dem Beginn seiner maleri schen Karrlere immer wieder gleichrangig mit den profiliertesten Künstlern seiner Zeit gese hen wird. Für Fritz Novotny, der dem Maler 1958 eine sehr interessante Monographie schrieb, gehört Zülow auch In die Nähe Van Goghs und Maurice Utrillos; seine Aktivität im Wien der ersten zwanzig Jahre unseres Jahr hunderts stellt ihn gleichwertig neben Klimt, Schiele, Kolo Moser und sichert ihm die Kolle genschaft von Josef Hoffmann, Clemens Holzmelster, Gudrun Baudisch und all der großen Künstlerpersönllchkeiten aus der Zeit der Wiener Werkstätte und der Wiener Sezes sion. Und trotzdem - oder gerade darum: sein Ver ständnis, seine Hinwendung, seine Vorliebe für die treffenden lakonischen Stilelemente volkstümlich-bäuerlicher Kunst, die - so dra stisch wie im Ausdruck des Dialekts - das Bild als Sinnbild hinzusetzen weiß - ohne Um schweife und ohne Ziererei. Es gehört zur absoluten Originalität Zülows, daß er, der sich als Maler wie als Grafiker in vielen Facetten äußert (denn er Ist nicht nur ein guter, er ist vor allem auch ein erfindungsrei cher Künstler, der übliche und unübliche Techniken beherrscht und, wenn nötig, eben erfindet), auch eine ungewöhnlich reiche de korative Sprache spricht und die Vielzahl der empfangenen Eindrücke mit einer gleichen Anzahl von sensiblen, den verborgenen We sensgrund offenbarenden Bildern und Zeich nungen beantwortet. Auch darin wirkt sich seine Kenntnis und Erkenntnis der bäuerli chen Malkunst aus, denn Treffsicherheit, Witz, intuitives Erfassen einer Situation sind auch seine eigenen Grundlagen, die der erlebten Verbundenheit mit dem ländlich-bäuerlichen Leben, das Zülow im heimatlichen Waldviertel in sich aufgenommen hat, entstammen. Sogar in den Ornamenten der berühmten Monats hefte aus der Zeit ab 1909, da die zeitgenössi sche Kunstauffassung den nachhaltigsten Eindruck auf Franz von Zülow ausübte, er scheinen grundlegende Stilelemente, die we senhaft mit den oben genannten Erfahrungen in Verbindung stehen. Fritz Novotny nennt Zü lows Kunst: vergleichbar der unbeküm mert schlichten Sprache eines Menschen, der mit ihr immer wieder ungewöhnliche Dinge sagt - sie ist eine solche Sprache In Bildern. Ohne Reflexion und mit Selbstverständlichkeit geht der Künstler den mittleren Weg zwischen einer feinnervigen, bewußt geschmackvollen ornamentalen Zierlichkeit und einer derben Schlichtheit, instinktiv darauf bedacht, alles Anspruchsvolle oder gar Pathetische zu ver meiden und lieber sogar eine sorglose Flüch tigkeit in Kauf zu nehmen . .." Es wird von Novotny aber noch ein anderes, ebenso wichtiges Charakteristikum ausge sprochen, wenn er (in der schon erwähnten Monographie) Zülows Stellung Innerhalb der Malerei unserer Zeit zwar in den Bereich des Expressionismus verlegt, dann aber ein schränkend - oder ausweitend? - meint: ,,. . . Obwohl seine Kunst von der Art ist, daß sie nicht in ein erklärtes Schema paßt - dazu ist sie zu vieigestaitig ..." Die Vielfalt macht aber das Wesen Zülowscher Künstlerschaft aus. Seine Neugierde, seine Freude an sinnlichen Eindrücken, seine unerschöpfliche Phantasie - und dazu sein wortloser, fast philosophischer Ernst in der

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