Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 3, 1981

len wird 1907 das allgemeine gleiche Wahl recht (bei gleichzeitiger Abschaffung der Kurien) eingeführt. Nun sieht man das Para doxe: nach Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts hat Oberösterreich im Durchschnitt (Reichsratswahlen 1907 und 1911, Landtagswahien 1909) nur noch knapp 180.000 Wahlberechtigte, um reich lich 70.000 weniger als vorher. Man hat also bei der Wertung der Entwicklung des Wahl rechts die Einführung der allgemeinen Kurie stark unterbewertet, die des allgemeinen gleichen Wahlrechts aber überbewertet. 1918 verschwinden auch für den Bereich des Landtages endgültig die Kurien. Mit der Einführung des allgemeinen gleichen Wahl rechts für die Landtagswahien im Jahre 1919 wird gleichzeitig auch das Frauenrecht eingeführt. Es schien eine solche Selbstver ständlichkeit, daß darüber im Landtag gar nicht diskutiert wird. Nach 1918 steht eher die Herabsetzung des passiven Wahiaiters zur Diskussion, nach 1945 die des aktiven wie des passiven Wahiaiters. Ali das führt gemeinsam mit der Bevölkerungszunahme zu einer Ausweitung der Zahl der Wahlbe rechtigten, die bei den letzten Landtags wahien von 1979 836.072 erreicht, also rund viermal so hoch ist, wie die von 1909, die letzte Landtagswahl der Monarchie. Vermehrung der Wähler, größerer Landtag So wenig experimentierfreudig man in vie len Bereichen in Oberösterreich ist - so bleibt etwa die sechsjährige Legislaturpe riode in Oberösterreich seit 1861, also seit 120 Jahren, ständig erhalten (dies übrigens nur in OberösterreichI) - so stark ist der Wechsel bei der Zahl der Landtagsabge ordneten und damit die Größe des Landta ges. Der erste, 50 Mitglieder zählende Landtag bleibt durch 48 Jahre bis 1909 be stehen. Nach Einführung der aligemeinen Kurie und Verdoppelung der Zahl der Wahl berechtigten steigt die Zahl der Landtags abgeordneten auf 70. Die provisorische Landesversammlung der Jahre 1918/19 zeigt mit 101 Abgeordneten die weitaus größte Zahl der Sitze. Anschließend hat je der Landtag der Zwischenkriegszeit eine andere - und zwar eine immer kleiner wer dende - Zahl der Abgeordnetensitze: 72 (1919-1925); 60 (1925-1931); 48 (1931-1934); 36 (1934-1938). 1945 be ginnt dann der Landtag wieder mit der eher bescheidenen Zahl von 48 Abgeordneten. Dies bleibt für 28 Jahre. Ab 1973 zählt der oberösterreichische Landtag wieder 56 Ab geordnete. Das ist um vier Abgeordnete we niger als der letzte Landtag der Monarchie mit seinem weit bescheidenerem Wirkungs und Kompetenzkreis. Am Anfang: Landtag ohne politische Parteien Es ist heute schwer zu erklären, daß die er sten beiden Landtage von 1861 und 1867 gewählt werden, ohne daß es politische Par teien gibt. Diese werden erst 1868 (Liberalpolitischer Verein) und 1869 (Katholischer Volksverein) gegründet. Aber es gibt natür lich schon 1861 weltanschauliche Gruppie rungen, oft auch nur Freundeskreise, die ei gentlich nur unmittelbar vor der Wahl aktiv und initiativ werden. Das wird eher ver ständlich, wenn man bedenkt, daß man noch bis zuletzt an prominente und angese hene Männer herantrat mit der Bitte, für ei nes der Programme einzutreten und sich als Mandatar aufsteilen zu lassen. So lautete etwa eine Erklärung des Steyrer Großindu strieilen Werndi aus dem Jahre 1867, auf der Liste der Liberalen zu kandidieren, fol gendermaßen: er sei verfassungstreu, sei für Nicht-Beschickung des außerordentli chen Reichstages, wolle gleich allen Ge nossen der deutschen Partei eine freiheitli che Entwicklung der Februar-Verfassung auf legalem Wege und pflichte voll den Be strebungen der Autonomisten bei. Werndi war vorher vom Steyrer Bürgermeister PöltI und 60 der ,,geachtetsten Bürger und indu striellen von Steyr" aufgefordert worden, zu kandidieren. Natürlich lag schon in Werndis Person, aber auch in dem Hinweis über die ,,geachtetsten" Honorationen ein Stück handfester Propaganda. Sogar von den letzten Landtagswahien aus dem Jahre 1909 ist ein Bericht erhalten, der in einer an deren Art bezeichnend ist. Das den Christlichsoziaien nahestehende ,,Volksblatt" schreibt etwa über den bei den Landtagswahlen durchgefallenen Kandidaten der Deutschnationaien, Scharitzer, folgendes: ,,Wir zweifeln nicht, daß Herr Scharitzer ein durchaus christlich gesinnter Mann ist. . . die Schuld trifft in erster Linie jene, weiche durch unerhörte Zudringlichkeit dem sich lange Widerstrebenden das Ja-Wort abge rungen haben." Seit den Landtagswahien von 1870 gibt es also auch in Oberösterreich, trotz der Ku rien, eine Parteiendemokratie. Denn in allen diesen Kurien - vom Großgrundbesitz bis zu den Landgemeinden - spielen nun die politi schen Parteien eine immer größere Rolle. Für die ersten zehn Jahre, also für den Zeit raum 1870 bis 1880, ist es ein Zwei-Partei en-System von Liberalen und KatholischKonservativen. 1880 wird als dritte politi sche Gruppe der Oberösterreichische Bau ernverein gegründet; es ist zum erstenmal eine rein berufsständisch ausgerichtete Partei. Wenig später beginnt in Oberöster reich eine weitere, also eine dritte liberainationale Gruppierung zu wirken, die 1888 mit der Gründung des ,,Deutsch-Nationalen Vereins" die Auseinandersetzung mit den Liberalen jetzt vielfach als ,,Altiiberale" be zeichnet, beginnt. Aber die Liberalen waren in Oberösterreich schon seit 1870/71, also seit dem deutsch-französischen Krieg und den deutschen Siegen, derart ins nationale Fahrwasser gekommen, daß die hochkom menden Deutschnationalen vielfach offene Türen einrennen und der Streit mehr ein Generationsprobiem ist. Einzige Differenz: für die Altiiberalen ist der Antisemitismus der Deutschnationalen unverständlich, im merhin dauert das Tauziehen volle 21 Jahre und das Jahr 1909, das Jahr des endgülti gen Sieges der Deutschnationalen, bedeu tet auch das Ende der alten liberalen Partei, der ältesten politischen Gruppierung Ober österreichs. Fast gleich lang-zwischen 1890 und 1907zieht sich der Übergang von den Katho lisch-Konservativen zu den Christlichsoziaien hin, wobei die Obergangslösung der ,,Katholischen Voikspartei" im Rahmen der Reichspolitik noch bedeutungsloser ist, sich aber für die Landespoiitik als eher vorteilhaft erweist. Hier hätte ein abrupter Übergang von den Katholisch-Konservativen zu den Ghristlichsoziaien manche Gegenreaktion hervorgerufen, die übrigens beim Adel noch 1907 wahrnehmbar ist, wenn sie auch nur Randerscheinung bleibt. Nach drei liberal-nationalen Gruppen (Libe ral-politischer Verein, Oberösterreichischer Bauernverein und Deutschnationaier Ver ein) und dem festgefügten Block des Katho lischen Voiksvereins wird relativ spät das Wirken der Sozialdemokratischen Partei spürbar - vermutlich angesichts starker anarchistischer Strömungen der Frühzeit; gewiß auch gehemmt durch das Wahlrecht. Erst acht Jahre nach ihrem ,,Einigungspar teitag" kandidieren sie erstmals bei den Landtagswahien von 1896. Großgrundbesitz - Zünglein an der Waage Welche Erfolge und Mißerfolge erzielen diese Parteien, zu denen noch vorüberge hend 1871 und 1896 - hier mit Erfolg - eine mitteiständische Gewerbepartei kommt? Eine grobe Gliederung zeigt, daß der Land tag für die ersten 23 Jahre liberal beherrscht ist und anschließend, ab 1884, die Katho-

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