Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 2, 1981

Palitschari In einer VoUmondnacht des Jahres 1925 begab sich auf dem Dachbo den der großen Infanteriekaseme in einer vielgenannten österreichi schen Provinzstadt etwas sehr Merkwürdiges, durchaus Ungewöhn liches, das zu berichten den Mut des Erzählers nicht minder heraus fordert, als den Glauben des Lesers. Es stand dort auf dem Dachboden, unweit der offenen Bodenlucke, ein alter, ausgedienter österreichischer Doppeladler von gut drei Me tern Spannweite, der vormals, in anders gearteten Zeiten, durch län ger als hundert Jahre den Mitteltrakt der großen Kaserne geschmückt hatte. Nunmehr, in diesen Tagen der jungen Republik, die seine Dienste nicht mehr benötigte, lehnte er zwecklos und vergessen in mitten von allerlei Bodenkram an der nackten Ziegelwand des Dach bodens, als mit ihm, es schlug eben Mittemacht, jenes Wunderbare, kaum zu Erfassende vor sich ging, auf das wir zu Anfang hingewiesen haben. War es nämlich die magische Kraft des Mondlichtes, dessen letzte ge heimnisvolle Wirkungen uns noch lange nicht genug bekannt sind, war es der rmunterbrochene Verkehr mit sich selbst und die damit zu sammenhängende Autosuggestion und Belebung des eigenen Da seinsgefühls, kurz, der Doppeladler, von dem wir berichten, begann mit einem Male seine beiden Flügel, den rechten imd den linken, be dachtsam und leise zu regen, streckte sodann seine beiden Köpfe, den rechten und den linken, sehnsüchtig dem Mond entgegen imd huschte hierauf mit erstaunlicher Geschwindigkeit zum Bodenfen ster hinaus. Der Anblick, den erbot, hätte jedermann ergreifen müssen. Mächtig wie der Vogel Rock warf er gigantische Schatten auf die Dächer und Gassen des schlafenden Städtchens, von dessen in ihren Betten gut eingehuschelten Bürgem manch einer, nichts Gutes ahnend und viel leicht auch staatlich ein wenig beunruhigt, aus einen Träumen aufzu schrecken begann. Palitschari, so nennen wir ihn, nahm, die Stadt überquerend, seinen Kurs über die weiße, vom Mondlicht versEberte Ebene hinweg, dem hohen fernen Gebirge zu, wie es Adlem gemeinhin zukommt. Wir nennen ihn ein wenig undeutsch Palitschari, obwohl er für seinen Teil durchaus rein deutsdr-österreichischer Abkunft war; aber als Vertre ter von gut zwölf einst unter ihm vereinigten Nationen hätte er im möglich Siegfried oder Widukind oder Fürchtegott heißen können. Gerade Palitschari scheint uns nach manchem, was da im Blute ver schieden und doch zu gutem Zwecke vormals beisammen war, den > rechten Kern in sich zu tragen, wozu noch ein leiser tschinellenhafter Ausklang wie von einer fernhin verdämmernden Regimentsmusik hinzukommt. Die Nacht, gesegnet wie selten eine, war vom Mondlicht erfüllt, wie ein Märchensee, durch dessen von silbrigem Nebel durchzitterte Flu ten Palitschari nun mit leise knarrenden Flügeln dahinschwamm. Wieder einmal zeigte es sich, daß das wahre Bekenntnis zum weitum fassenden BUde, zum Symbol, nicht nur die wahrhaft Gläubigen, sondern auch ihn, den Gegenstand selbst, mit wunderbar beleben den Kräften zu erfüllen vermag. Nunmehr, da Palitschari von seiner im würdigen Gefangenschaft auf dem Dachboden der Kaserne befreit und der üblen Nichtbeachtung, die man ihm seit Jahren gezollt, entflohen war, entsprossen ihm bei gutem Winde die alten glorreichen Deutsamkeiten und Überlieferun gen seiner einstigen hohen Stellung, seiner Wohlangebrachtheit über Tür und Tor, auf allen staatlichen Kanzleipapieren, auf den Schüdem der Tabaktrafiken und wohl auch in den Herzen der Völker, so daß es ihn im alten ölüberstrichenen Busen schier wie leiser Jubel überkam und er, im Taumel der wiedergewonnenen Freiheit, mit immer küh neren Flügelschlägen die Luft zu teüen und sich in immer höhere Sphären aufzuschivingen begann. Im Maße, als er sich den Sternen näherte, die brüderlich auf ihn her abblickten, gelante vergangenes Leid zur Klärung, überwundene Torheit wurde belächelt, innewohnende Weisheit bestätigt und ein mildes kosmisches Zugehörigkeitsgefühl zu allem im Himmel und auf Erden umspann ihn immer vertraulicher, so daß er neuen Mut zu fassen und sich, im Eifer und Taumel seines kühnen Fluges, zuse hends immer mehr zu verjüngen und damit auch lebenszuversichtli cher zu werden begann. Es ist jedoch mit dem Hiegen so eine eigene Sache. Wenn man nicht gerade von Natur aus dazu geboren ist, werden sich immer wieder Umstände einstellen, denen man technisch allein nicht begegnen kann. So geriet auch Palitschari jetzt auf seinem Huge oft in dünnere Luftschichten, die ihn plötzlich und nicht unerheblich fallen ließen, oft vermochte er auch einem verschmitzt einsetzenden Wirbel nicht rechtzeitig zu begegnen, kurz, da er, es muß gesagt werden, trotz al ler neuerwachten Jugendlichkeit doch schon ein wenig wurmstichig und nicht mehr völlig unvermorscht im Holz war, knackte es oft ver dächtig in seinen Gelenken, und es schien ihm allmählich ratsam, nach einem guten Lager- oder Ruheplatz auszusehen, um sich vorerst von den Anstrengungen der Nacht und der eigenen persönlichen Überraschung zu erholen. Es mußte aber, das war ihm klar, ein seitab gelegener, völlig verein samter Ort sein, wo er vor allem vor der Nähe der Menschen gesichert war, denn er hatte, nach allem, was er bisher durch sie erfahren, nur wenig Lust, zu ihnen zurückzukehren. So raffte er denn, wenn es zu sagen erlaubt ist, aus der Kraft des eige nen Symbols den letzten verzweifelten Rest zusammen und strebte schwankenden Hügels dem immer deutlicher sich nähernden, im Mondlicht wächsern schimmernden Gebirge zu. Aus: Der Wundervogel, Roman, erstmals erschienen 1929, neuaufgelegt 1951 im Oberösterreichischen Landesverlag.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2