Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 2, 1981

Der kostbare Lessing tive Quelle, das Geschenk der Unterwelt an die heUungsbedürftige Menschheit. Die geheimnisvolle Macht, die hier aus unergründlich dunklen Tiefen ans Licht des Tages emporsteigt, sie bringt uns nicht nur Genesung von mancherlei Gebrechen, sie zieht uns auch wun dertätig ans Herz des Urgeschehens und läßt uns manche Fragen der Zeitlichkeit mit einem ahnungsvollen Lächeln überwinden. Das Bündnis mit dem Unterirdischen, will mir scheinen, läßt uns manches leichter ertragen, was das Irdische an Unerquicklichkeiten für uns be reithält. So viel von diesen drei Landschaften, die ich mir aus der Formung meines inneren Lebens nicht fortdenken kann. Es will mir scheinen, sie bereiteten die drei wesentlichsten Stufen meinerinneren Entwick lung vor, die Sammlung, die Befreiung, die Erhöhimg. Im Verein mit den früher erwähnten entscheidenden Einflüssen sind vor allem sie es, die den Heimatsucher zum Heimatfinder werden ließen. Und es mag ihre Wirkung noch erhöhen, daß sie räumlich voneinander nicht getrennt sind, daß ihre Dreiheit auch im geographischen Sinn eine Einheit bildet, indem sie dem Bereich des erlauchten Tauemlandes und seinen Vorgebirgen zugehört, von der mittleren Steiermark bis ins Salzburgische hinüber. Ein in sich geschlossenes wundersames Naturbild, ein edles Herzstück Österreichs stellen sie dar, das mir, dem einst so sehnsüchtig Suchenden, nunmehr zur seelischen Hei mat geworden ist. Und wem Natur zur Heimat wird, der braucht um weitere Behausung nicht besorgt zu sein, weder für seine Diesseitsnoch für seine Jenseitswege. Und am Ende wird es sein, wie ich es in einem meiner ,,Lebenssprüche" anzudeuten suchte: Natur hat mich ins Licht gebracht, Sie wird auch wieder mich verlangen. So bin ich ganz in ihrer Macht. Bin nur durch sie hindurchgegangen. Aus: Der Heimatsucher. Ein Leben und eine Sehnsucht, 1948. Zu den wertvoüsten Büchern meiner kleinen Bibliothek gehört eine schlichte, einbändige Auswahl von ,,Lessings poetischen Schriften", die in der Göschenschen Verlagsbuchhandlung in Stuttgart erschie nen war. Sie hat gewiß keinen Seltenheitswert und kann auch, ihrem beschiedenen Aussehen nach, keinerlei bibliophile Schätzung bean spruchen. Und doch bedeutet mir der angejahrte, auf dünnes Papier gedruckte, in gewaltsam verziertes Leinen gebundene Band einen kostbaren Besitz, auf den ich um vieles nicht verzichten möchte. Er ist mir im Lauf der Zeit zu etwas sehr Lebendigem, Beziehungsreichem, symbolisch Bedeutsamem geworden, und zwar der merkwüdigen Umstände halber, unter denen ich ihn einst erwarb. Die kleine Ge schichte mag erzählenswert sein, wenn man den etwas abseitigen Abenteuern eines Siebzehnjährigen überhaupt Beachtung schenken wUl. In der Infanteriekadettenschule zu Triest pflegten wir nämlich das Weihnachtsfest durch ein großes gemeinsames Tombolaspiel zu ver schönem, was unseren bescheidenen Vergnügungsansprüchen durchaus angemessen war. Wir hatten als Bedingung aufgestellt, daß es ebenso viele Gewinste geben mußte, als man Teilnehmer am Spiel zählte, wobei für die Würdigkeit und Auswahl der Geschenke ledigUch der liebe Gott verantwortlich blieb. Das Schulkommando sah sich solcherart der Sorge enthoben, jedem einzelnen das für ihn passende Weihnachtsgeschenk zu überreichen, imd wir Zöglinge betrachteten das ganze als eine Artgemeingüterlicher Unterhaltung, die auf einem gesunden Konkurrenzneid und fidelem Glücksrittertum aufgebaut war, was allerdings in einigem Widerspmch stand mit der sanften Botschaft des Weihnachtsabends. Vor allem wurden wir Zöglinge, ehe die Geschichte losging, in lan gem Zug an den weißgedeckten Tischen vorbeigeführt, auf denen die vielen schönen Geschenke säuberlich ausgebreitet lagen; es gab da, besonders unter den höheren Gewinsten, mancherlei begehrens werte Sachen, die das Herz eines werdenden Kriegers höher schlagen lassen konnte, wie ziselierte Taschenuhren mit Hufeisenkettchen, strammgefühllte Zigarettenkistchen, Bronzegegenstände militär symbolischen Charakters, Reitpeitschen mit sUbemem Pferdekopf und ähnliche Wunderdinge. Die Tombola begann gleich nach dem Weihnachtsessen; es saß ein je der vor seinem mystischen Ziffemtäfelchen und lauschte den Nummem, die da schicksalsverkündend ausgerufen wurden. Ich selbst, die Stimmung jenes Abends schwebt mir noch deutlich vor, teUte damals die Aufregung meiner Kameraden nicht. Ich hatte meine Hoffnungen von Anfang aufs Bescheidene gestellt, ich rech nete mit keiner hohen Glückszahl und hatte auch bereits meine Wahl getroffen: um den schlichten, weißgebundenen Lessing war es mir zu tun, der da unter den vielen blitzenden Gegenständen als einziges geistiges Wertobjekt den militärischen Weihnachtstisch zierte. Hätte ich fürchten sollen, daß mir jemand darum zuvorkomme? Unter allen Kameraden kannte ich nur einen, dem das zuzutrauen gewesen wäre. Er saß unweit von mir am Nachbartische und lächelte eben, wie es seine Art war, mit seinem hübschen, verschmitzten Bubengesicht auf seine Tombolakarte nieder. Er war ein aufgeweckter, grundge scheiter Bursche, der nur selten ein Lehrbuch zur Hand nahm und trotzdem immer einer der Besten im Jahrgang war. Am liebsten las er in den deutschen Klassikern, wo immer er sie erwischen konnte. Bei den Kameraden war er beliebt, obwohl sein spöttisches Wesen sie zuweilen bedrückte. Das also war der Mann, mit dem ich allenfalls zu rechnen hatte. Ich konnte ich im Laufe des Spieles nicht enthalten, hin und wieder nach ihm hinzuspähen, war aber immer wieder beruhigt, denn ich war ihm, so schien es, auf dem Ritt ums Glück immer um eine fette Num mer voraus. Und nun geschah es plötzlich, daß ich, wohl ganz gegen meine Er-

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