Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 2, 1981

Sendung der Landschaftsseele überdenke ich nun am Ende nochmals meine Lebensfahrt, so will mir scheinen, sie sei im wesentlichsten ein Suchen nach der Seele der mir geistverwandten Landschaft gewesen, und ich glaube in allem Vor hergesagten dieser Sehnsucht auch sinngemäßen Ausdruck gegeben zu haben. Es wäre dazu noch zu sagen, daß ein merkwürdiger Behar rungsdrang sich in meinem Verhältnis zur Landschaft kundgab. Mir fehlte völlig der reisehafte Trieb nach neuen, stets wechselnden Ein drücken, der so vielen und gewiß nicht minderwertigen Menschen innewohnt. Dabei glaube ich nicht, daß es Bequemlichkeit oder gar Trägheit war, die mich zur dauernden Beharrung an einem mir lieb gewordenen Ort verleitete. Es war vielmehr der Drang, Wurzel zu fassen, um im Bilde daheim zu sein, zugleich aber auch die Erkennt nis, daß mir größere Bereicherung zuteil werde, wenn ich mich im Schauen vertiefe, als daß ich mich in die Feme verbreite. Es war der Glaube an die Unausschöpßmrkeit einer Landschaft, die mich in ganz wenigen Orten verbleiben, mich immer zu ihnen zurückkehren ließ. Auch ein gewisser Hang zur Dankbarkeit und Treue mag dabei im Spiel gewesen sein, doch war es keine Treue, die Opfer brachte, es war vielmehr eine durchaus zielsichere Anhänglichkeit mit der Ge wißheit guten Gewinns. Drei Landschaften sind es vor allem, die neben Salzburg und der Um gebung von Wien aus der Geschichte meines Lebens nicht zu strei chen sind, jene um das Örtchen Pemegg an der Mur in der mittleren Steiermark, jene um den nördlichen Teil des Attersees im Salzkam mergut und das Berg- und Quellenkleinod von Badgastein. Es webt ein Geheimnis um das Wesen der Landschaft, es ist vielleicht das Geheimnis der eigenen Seele, die sich in ihr widerspiegelt und das, wie alles Unerklärbare auf Erden, nur ahnungsmäßig zu erfassen ist. Wie schön hat Peter Rosegger das einmal mit wenigen Worten umschrieben, da er von der Seele des Waldes sprach; ,,Nur der Ein same findet den Wald. Wo mehrere gehen, schwindet der Wald, imd nur Bäume bleiben zurück." Immerhin sei hier gesagt, was als Realität der Empfindung in Betracht kommen mag. Mein Bündnis mit der grünen Steiermark begann mit dem ersten Tag, da ich sie als Gast betrat. Vielleicht war durch die Bü cher Roseggers schon das Wesentlichste in mir vorbereitet. Es war mir eine eigene Freude, von den Menschen dieses ,,Kronlandes" Öster reichs, wie es damals hieß, schon manches um ihre Arbeit, ihr Gemüt, ihre Lebensform zu wissen und nun die Werkstatt Gottes aufzusu chen, die dies alles gebildig hervorgebracht hat. Freilich, Roseggers Heimat sind die Berge über dem mehr offenen und heiterer gefärbten Mürztal, indes das Murtal bei Pemegg, dem Örtchen zwei Gehstun den südlich von Bruck an der Mur, sich enger imd dunkler zusam menschließt. Man konnte in kaum zehn Minuten den Talgrund von einem Waldhang zum anderen durchschreiten, uralter Wald von An beginn bedeckte alles, was das Auge an den für die Steiermark so be zeichnenden schmalgipfeligen Bergen umfaßte, es war eine grüne, in sich abgeschlossene Welt von völlig eigener Wesenheit, dieses Lang tal von Pemegg, das im Norden vom breit hingelagerten Rennfeld, im Süden vom romantischen Felsenhaupt des Hochlantsch im Bilde be grenzt ist. Auch im malerischen Sinn schien mir hier alles aufs glück lichste gelöst, es stand ein jedes dort, wo es um des harmonischen Ausgleichs willen hingehörte, das Kirchlein von Kirchdorf im helle ren Licht, mauerumgürtet auf seinem wehrhaften Hügel auf der ei nen Seite des Tales, die Wallfahrtskirche von Pemegg, von dem gleichnamigen Schloß überragt, vor dem dunkleren Waldhang auf der anderen Seite, dazwischen die rauschende Mur inmitten von Feldem und Wiesen als die frohbewegte Lebensader dieser kleinen und in sich doch vollendeten Welt. Ich habe seinerzeit versucht, die Seele dieser mich immer stärker in Anspruch nehmenden Landschaft in meinem Roman,,Geschichte einer stillen Frau" festzuhalten, demich die Widmung voransetzte:,,Einem steirischen Dörfchen in Dankbar keit für sommerliche Kühle." Mit dieser Kühle hatte es eine besondere Bewandtnis. Ich fuhr näm lich zur Zeit, da ich im Militärgeographischen Institut zu Wien be dienstet war, in den Sommermonaten und auch noch im Frühherbst an jedem Wochenende mit der Südbahn über den Semmering nach Pemegg hinab, wo ich immer erst spätabends ankam. Mich, den der Bruthitze der Großstadt glücklich Entflohenen, umfing dann stets eine wundersame erquickliche, für die hohe Jahreszeit kaum faßliche Kühle, es war der würzig herbe Hauch der nächtlichen Wälder, der mich begrüßte imd den ich nirgends so als Elementarkraft und Ur heimat des Lebens empfand wie in diesem stillen Tal der Steiermark, von dem ich mich durch nahezu ein Vierteljahrhundert nicht mehr zu trennen vermochte. Was ich in meiner Jugend so schwer entbehrt hat te, es wurde mir hier aufs reichlichste geschenkt - Natur in ihrer Viel gestalt und großen Einheit, in ihrer immer neuen Segensspendung für die ihr gläubig zugewandte Seele. Noch ein anderes in jener Landschaft wurde mir zum richtunggeben den Erlebnis, es waren meine abendlichen Wanderungen in dieses imd jenes der zahlreichen verschwiegenen und weltabgelegenen Sei tentäler, die man in jener Gegend ,,Gräben" nennt. Sie sind so schmal, daß von irgendeinem kulturellen Anbau, so notwendig auch der Bauer sein Stückchen Feld oder Wiese braucht, nur selten die Rede sein kann. Es sind sich selbst überlassene einsame Waldtäler, in denen die Natur sich unbeschränkt ihr herbes Recht bewahrt und, je weiter man sich darin verlor, um so näher gelangte man an ihr Herz, das Echo der Welt vernahm man nur noch feme und leise wie etwas halb schon Abgetanes. Doch kehrte man dann zu Frau Welt zurück, die man ja doch nicht verleugnen konnte, so schien auch sie erhöht in einer klareren Einsicht in die Unbedingtheit alles Lebendingen. So baute ich an mir und gewann mir manches, was andere schon in jüngeren Jahren und unbewußter sich zu eigen machen. Doch baut dafür mancher, der es in reiferen Jahren tut, auf ergiebigerem Grund. Das war die Landschaft meiner vielen Sommer von meiner ersten Wiener Zeit an bis in die strengen Jahre nach dem ersten Weltkrieg hinüber. Sodann umschloß mich schicksalsgemäß eine vöEig andere Welt, die offene, leuchtende Landschaft um den Attersee, der ich heute noch, es ist nun wieder ein Vierteljahrhundert vergangen, in Dankbarkeit zugehöre. Einmal aber kehrte ich inzwischen nochmals an meine alte steiermärkische Erinnerungsstätte zurück, das war, als ich im Kirchlein von Kirchdorf, wo im Spätherbst 1900meine Trauung stattgefunden hatte, nun auch meine sUbeme Hochzeit feierte. Es schien mir damit ein Ring geschlossen von, wie mich dünkte, blei bender Wesenheit. Es ist ein wundersames um die erlebte Naturseele, sie begleitet uns in Treue als ein unverlierbarer Besitz, vielleicht ist es die Zeitlosigkeit der Natur, die ihr diese Macht über uns zeitgebundene Geschöpfe verleiht. Von den Menschen des Pemegger Tales, mit denen ich in jenen vielen inhalts- und auch arbeitsreichen Sommem beisammen war, berich tet, wenn auch in mancherlei Umgestaltung, mein früher erwähnter Roman. Nur einer, darin nicht erwähnt, darf hier nicht ungenarmt bleiben, es ist mein Freund und Kamerad, der Dichter Max Mell. Aus der Steiermark gebürtig, verbringt er seit Jahrzehnten einen großen Teil des Jalires in seinem schönen Sommerhaus im Pemegger Tal, und es will mir scheinen, als habe dieser getreue und große Sohn sei nes Landes sehr Wesentliches vom Geist seiner heimatlichen Scholle in sich aufgenommen, in seiner Ursprünglichkeit, seiner Volksver bundenheit, seiner künstlerischen Strenge, seiner Ablehnung jeder billigen Geschäftigkeit. Dort, wo ich nur ein dankbarer Gast sein konnte, darf er sich wahrhaft beheimatet fühlen. Es war um die Zeit des Endes des ersten Weltkrieges, im Sommer 1918, daß ich mich entschloß, auf Anraten eines anderen Dichters,

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