Oberösterreich, 30. Jahrgang, Heft 4, 1980

Shakespeare: Die Sonette Auswahl Ich wäre alt? Dem Spiegel glaub ich nicht, solange du und Jugend eines sind. Schau ich von Zeit zerfurcht dein Angesicht, dann schau ich Tod, der meine Tage sühnt. Denn all die Schönheit, angeschaffen dir, hüUt nur, ein schicklich Kleid, das Herz mir zu, das lebt in deiner Brust wie deins in mir, wie also kann ich älter sein als du? Ich eil zu Bett, von Müh ein müder Mann, zur lieben Ruh für mattgejagte Glieder, doch dann fängt mir im Kopf ein Reisen an, legt sich der Leib, so regt der Geist sich wieder. Dann brechen die Gedanken auf und gehn voll Eifer auf die Pilgerfahrt zu dir, sie halten schwere Lider offen mir, ins Drmkel blickend, das die Blinden sehn. Deshalb, mein Liebling, halte dich in Hut, wie ich für mich nicht, doch für dich mich wahr', dein Herz umhegend, wie die Amme tut, die zart ihr Kleines hütet vor Gefahr. Poch auf dein Herz nicht, wenn das meine bricht; daß ichs zurück dir gebe, gabst dus nicht. Nur daß der Seele schöpferisches Schauen dem blinden Blick dein Bildnis zeigt, ein Licht, das wie ein Kleinod hangt in Nacht und Grauen, schön macht die Nacht und jung ihr alt Gesicht. Schau, wie bei Nacht mein Geist, mein Leib bei Tag um dich und mich kein Ruhen finden mag. Herr meiner Liebe, dem Vasall ich bin, durch deinen Wert dir pflichtig und zu eigen, dir send ich Schrift und Botschaft, deren Sinn ist, meine Pflicht, nicht Geist nur zu bezeugen. So große Pflicht, daß Geist, so arm wie meiner, der Worte schier entblößt scheint es zu sagen, doch hoff ich, du, der tief begreift wie keiner, wirst all die Blöße in Gewände schlagen, bis - welcher Stern auch, der mein Leben leitet, sich gnädig herneigt und mir viel verheißt, mein Lieben, das in Lumpen geht, bekleidet, mich deiner süßen Achtung würdig weist. Dann, wie ich liebe, darf ich rühmen mir; bis dahin berge ich mein Haupt vor dir. Wie reis ich meines Weges so beschwert, weiß das ersehnte Ziel der Reise mir nicht andre Rast, als die mich sagen lehrt: So viele Meilen bin ich fern von dir! Träg trabt das Tier, von meinem Kummer müd, dahin (es schleppt ja auch die Last in mir), als ob dem Ärmsten ein Instinkt verrieb: sein Reiter hat nicht Eile - fort von dir. Der blutige Sporn, der stachelt es nicht mehr, den manchmal in das Fell ihm stößt mein Zorn, und seine Antwort ist ein Stöhnen schwer, mir schärfer als dem armen Tier mein Sporn. Dies Stöhnen trifft das Herz mir hart und hier: vor mir der Gram, die Freude hinter mir.

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