Oberösterreich, 30. Jahrgang, Heft 4, 1980

Kunst der Gegenwart Herbert Dimmel Die Botschaft eines großen Maiers Walter Beyer Als deutliche Antwort auf den allgemeinen Uniformierungstrend innerhalb der Tages kausalitäten unserer Umgebungsweit steht ein zunehmend fortschreitender Diversifi zierungsprozeß im psychologisch-geistes wissenschaftlichen Bereich. Eben dies wird durch den hohen Pluralisierungsgrad der Kunst unserer Tage nachhaltig reflektiert: Gegenständliches stößt auf Abstraktes, Tradiertes auf Experimentelles, herkömmli che Techniken auf Foto, Film, Videoinstalla tionen und Körpersprache; Ichbezogenheit der Aussage auf Ailgemeingültigkeitsanspruch, bewußte Konzentration auf Tagesaktuaiität auf ebenso bewußte Negierung derselben. Auf der Strecke bleibt nicht sel ten die der Quantität zuliebe aufgegebene Qualität, da eben jene obzitierte babyloni sche Verwirrung künstlerischer Aus drucksmittel den Blick des Laien gleichwie des Fachmannes nur allzu leicht verwirrt, trübt, aus der Bahn lenkt und solchermaßen seine Entscheidungsfindung hemmt. Eine der Flauptschwierigkeiten gegen wartsbezogener Kunstbetrachtung war ja zu allen Zeiten die adäquate Beurteilung und Bewertung artifizieller Potenz in Relation zur Umwelt. Nun gab und gibt es von jeher zwei grund sätzliche künstlerisch-schöpferische Alter nativen zur Bewältigung zeitbedingter Si tuationen: als erste und üblicherweise leich ter verständliche die unmittelbar moment bezogene Auseinandersetzung mit dem Fleute. Als zweite - und da wird der Sach verhalt schon wesentlich diffiziler - ein sich vom Künstler bewußt oder unbewußt außer halb zeitbezogener Realitäten Stellen be ziehungsweise ein diese ins Überzeitliche Erhöhen und sohin dieselben ins Allge meingültige Steigern. Fliefür ist freilich nicht nur ein überdurchschnittliches Können vonnöten, sondern auch ein nicht minder großes Quantum von Mut erforderlich. Bekanntlich hat es schon immer mehr Kraft gekostet, wi der den Strom zu schwimmen. Im Bereich des Obgesagten liegt zweifels ohne auch der Schlüssel für die Tatsache, daß immer wieder Potenzen von andauern der Wichtigkeit zeitlebens nicht annähernd in ihrer die Tagesprominenz mächtig über ragenden Bedeutung und Größe anerkannt wurden und werden. Daß mit besagter Blindheit nicht nur der Laie, sondern oft ge nug auch der Fachmann geschlagen sein kann, klang im vorigen bereits an und wird, historisch gesehen, in der Fehleinschätzung Richard Wagners durch Robert Schumann ebenso erwiesen wie in den Kritiken Flanslicks über Anton Bruckner oder Beethovens Meinung, Fländel sei an Bedeutung bei wei tem über Bach und Mozart zu stellen. In der FlerbertDimmel bei einer Ausstellungseröffnung (Franz Fischbacher) in der MAERZ-Gaierie. Aufnahme: Fl. G. Prillinger Während der Arbeit an Fleft 4/1 980 erreichte uns die traurige Nachricht, daß Professor Flerbert Dimmel am 22. Oktober 1980 ver schieden ist. Sein Werk bleibt. Wir neigen uns in Ehrfurcht vor seiner Größe Bildenden Kunst soll nur als markantestes Beispiel der Name eines Paul Gezanne ge nannt werden, welchem es zeitlebens nicht vergönnt war, auch nur eines seiner Bilder an den Mann zu bringen. Solcherart Gedanken über mangelndes Er kennen wahrer Werte kommen einem nicht von ungefähr, will man eine Würdigung des großen Altmeisters der oberösterreichi schen Malerei Flerbert Dimmel vornehmen, bildet doch auch er ein treffliches Beispiel für die Fortsetzung der in wenigen Beispie len im vorigen zitierten illustren Reihe von zu Lebzeiten nicht ohne weiteres Einzuord nendem und somit auch nicht genügend Er kanntem. Aber wen soll es schon wunder nehmen, daß einem Zeitalter der Wegwerf gesellschaft und Schnellebigkeit der Blick auf einen Flüter der Dimensionen der klassi schen Antike, einen introvertierten Denker und Künder der Beständigkeit absoluter Werte und des Besinnens auf den sich in nerhalb der Natur tagtäglich aufs neue voll ziehenden Schöpfungsprozeß immer wie der vom Rankenkwerk des auf Tagesappeal ausgerichtet Modischen verstellt zu werden droht? Denn Flerbert Dimmeis Werk sperrt bewußt-unbewußt jene von einer Vielheit lebender Künstler teilweise krampfhaft an gestrebte Aktualisierung aus, um eben da durch im Sinne einer Dauerwirkung über zeitlich aktuell und gültig zu sein. Dieses Ziel bedarf im übrigen keiner besonders gewähl ten Thematik. Auch ein ganz zufällig in einen Kuhstall getaner Blick gewinnt in Dimmeis Darstellung eine geradezu mythologische Größe und einen Flauch von Ewigkeitswert, wiewohl ein derartiges Sujet bei einem an deren, minder großen Künstler sehr leicht als Ausdruck von Banalität gewertet werden könnte. Vielmehr noch als um die Erschei nungswelt seiner engeren Fleimat kreist frei lich die Thematik dieses Künstlers um den ihn im besonderen Maße bewegenden Bannkreis der Antike, sei es in Form von ewigkeitsträchtigen, kleinasiatischen Gebirgsformationen oder einem Blick auf die unendliche Weite des Meeres und die tem pelbekrönten Flöhen von Fiellas mit der fas zinierenden Sprödigkeit der sie umgeben den kargen, von der Sonne gedörrten Vege tation. Je älter und reifer der Künstler wird, desto mehr engt sich diese Sujetsphäre ein, redu ziert sich auf einige ganz wenige Grundthe men und Gesten, wie etwa den Fisch, stetes Zeichen des Fleiles, das Lamm, Opfertier seit grauer Vorzeit, die Frau, geheimnisvoll stes Produkt der Schöpfung, und schließlich den Vogel, Symbol des Friedens, aber auch bewundernswertestes alier Lebewesen, welchem die Macht innewohnt, die dem Menschen unerlernbare Kraft des sich über alles Irdische Flinwegsetzens und in die azurene Bläue des Flimmeis Erhebens zu üben . . . Dann immerwiederkehrend Pan, der Flirtengott mit seiner Flöte, ein sich stets wiederholendes Sujet der Bildenden Kunst aller Zeiten, beginnend bei den Griechen und heraufreichend bis zu Picasso, Gilles und FIAP Grieshaber. Aber gerade in der Relation zur unbeschwerten Diesseitigkeit der letztgenannten Künstler macht es uns Flerbert Dimmel mit seinen vergleichsweise spröden, sich dem Betrachter auf Anhieb eher verschließenden, denn um dessen Gunst buhlenden Blättern wesentlich schwieriger. Dies gilt gleicherweise für ihre inhaltliche Spannweite wie auch für ihre formai-koloristische Determiniertheit. Ge rade über diese wie auch über Dimmeis Ge danken zum Begriff von Kunst und Schöp fung scheinen einige ausführlichere Bemer kungen angebracht. Schon innerhalb der klassischen Moderne zu Beginn unseres Jahrhunderts machte sich - man denke nur an Fernand Legereine zunehmende Lösung und Verselbstän digung der Farbe vom Bildinhalt bemerkbar.

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