Oberösterreich, 30. Jahrgang, Heft 4, 1980

Lynntz — ain Haubtstat unnsers Fürstentumbs Österreich ob der Enns" (aus der Urkunde Friedrichs III. vom 10. März 1490 für Linz) Unter den vielen Gesichtspunkten, nach de nen man ein Gemeinwesen beurteilen kann, ragt besonders jener hervor, der die Frage nach seiner Zentraiörtiichkeit beantwortet. Diesen vom Geographen Walter Christaiier eingeführten wissenschaftlichen Begriff ha ben Stadthistoriker In das Kriterienbündei für die Beschreibung einer Siedlung einbe zogen und damit ein sehr starkes Bestimmungsgiied der vergleichenden Städtege schichte gewonnen. Zentraiörtiichkeit erfor dert bestimmte Voraussetzungen und läßt sich mit den Methoden verschiedener wis senschaftlicher Disziplinen nachweisen. Vorrangig für die Beurteilung bleiben jedoch zwei Grundelemente: das des Raumes und jenes der Zeit. Die geographische Lage einer Siedlung wird nur sehr selten vom Zufall bestimmt, son dern folgt uralten Gesetzen, die sich aus der Agrar- oder der frühen Handeisgeschichte, aber auch aus der Wehrgeschichte herlei ten. Die Lage von Siedlungen an Fiußübergängen, an Schnittpunkten von Aitwegen, am Fuß von Gebirgsübergängen, an der Mündung von Flüssen, am Rand von Unsi cherheitszonen wie Wüsten, Sumpfgebie ten, Wäldern und Gebirgen ist nicht zufällig, sondern gewollt. Was den Faktor Zeit anlangt, wissen wir, daß er in geopoiitischer Hinsicht von im menser Bedeutung ist. Zentraiörtiichkeit ist nämlich wandelbar und abhängig von den politischen Gegebenheiten der Zeit. Sie wa ren es auch, die schließlich unter den Städ ten Oberösterreichs Prioritätsfragen und Vorrangstreitigkeiten auftreten ließen, weil jede von ihnen zu gewissen Zeiten eine be sondere Position erlangt hatte. Ein knapper historischer Rückblick scheint uns daher nötig. Weis, Enns und Linz treten mit den Namen Oviiava, Lauriacum und Lentia bereits in römischer Zeit als Siedlungen auf. Oviiava - Weis hatte damals unter den genannten Or ten ohne Zweifei die größte Bedeutung. Von Kaiser Hadrian (117-138) zum Municipium erhoben, erlangte es durch Garacaila (211-217) den Rang einer Coionia und gleichermaßen Vorrangstellung in Noricum. Unter Diocietian (284-305) wurde die Stadt Sitz des Statthalters von Ufernorikum (Nori cum ripense). Lauriacum - Enns war ohne Zweifel ein strategisch wichtiger Militär stützpunkt, dem alsbald eine beachtliche Zi vilsiedlung angeschlossen wurde. Daß diese unter Garacaila (212) Stadtrecht er halten habe, zweifelt man zwar In jüngster Zeit an, aber allein die Größe der Anlage und die ungewöhnlich reichhaltigen Funde las sen doch auf eine beachtliche Bedeutung der Römersiedlung schließen. In spätrömiWilhelm Rausch scher Zelt, vor allem gegen Ende der Rö merherrschaft, wird Lauriacum als clvitas kirchliches Zentrum derGegend und erlangt als solches die größte Bedeutung im früh christlichen Donauösterrich. Lentia - Linz hatte unter den genannten Römersiedlun gen gewiß die geringste Bedeutung, war aber als Grenzfeste und Donaustützpunkt nicht entbehrlich. Das zunächst am Rande des heutigen Altstadtbereiches in mehreren Phasen ausgebildete Standlager, dem sich alsbald eine Zivilsiedlung zugesellte, wurde in der Endphase der Römerherrschaft auf gelassen und durch eine Wehranlage Im Be reich des Römerberges ersetzt. Sie dürfte nach dem Abzug der Römer zum Hort für nachfolgende Bewohner geworden sein. Römische und frühchristliche Traditionen hielten sich hartnäckig. Dies ist wohl ein Zeichen dafür, daß eine Grundschicht der Bevölkerung überdauerte und nicht alle Menschen aus diesem Raum abgezogen sind. Obzwar das antike Lauriacum in den Stürmen der Völkerwanderung verging und in spätrömischer Zeit ebenfalls durch eine Anlage in sicherer Höhe des Ennsberges ersetzt wurde, der im Frühmittelalter Ennsburg und Stadt Enns folgten, blieb das christliche Zentrum erhalten und im Be wußtsein der Menschen. Wels wurde In den Stürmen der Völkerwanderung zur Flucht burg für das Volk der Gegend, seine große Zeit aber war zunächst vorbei. Die geopolitische Situation unseres Rau mes hatte sich nach dem Abzug der Römer grundlegend geändert. Läßt sich zum Un terschied zur römischen Zeit in den ersten Jahrhunderten der Völkerwanderungszeit keinerlei festere oder faßbare Kontur erken nen, so ändert sich dies durch die Stabilisie rung der Verhältnisse im 7. und 8. Jahrhun dert. Damals wurden wesentliche Teile des heutigen Oberösterreich der Herrschaft des Herzogs von Baiern unterworfen. Eine of fensichtlich friedliche Koexistenz zwischen den schon vorher hier ansässigen Slawen und den aus dem Westen eindringenden Baiern herrschte vor. Es scheint, daß in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts in baierischer Zeit keine der drei vorgenannten Alt siedlungen eine besondere Rolle gespielt hat, weil die Baiernherzoge ihre Stützpunkte im baierischen Ostland - wir werden diese Bezeichnung noch näher zu erklären haben - in den von ihnen gestifteten und geförder ten Klöstern sahen. Aber aus der knapp nach 900 entstandenen Raffelstettener Zollordnung erfahren wir, daß die Grenze Beierns gegen Osten der Passauerwald bil dete, wogegen die Ostgrenze des anschlie ßenden baierischen Ostlandes an der Enns lag und nicht, wie es die alte Lehrmeinung noch heute vertritt, im Raum von Krems oder beim Wienerwald. Zwar hatten Baiern und Franken, insbesondere nach der Nieder werfung der Awaren durch Karl den Großen, die östlich der Enns beginnende Terra Sclavlnia ebenfalls schon in das Kolonisations und Missionswerk baierischer und fränki scher Adeliger und Klöster einbezogen, aber das Land selbst bildete eine Pufferzo ne, die von zeitweise dem Frankenreich un terworfenen, zeitweise gegen dieses kon spirierenden Mährerfürsten beherrscht wurde und die Gefahr aus dem Osten - seit dem ausgehenden 9. Jahrhundert waren dies die Ungarn - abschirmen half. Wir eilten den Ereignissen voraus. Nach der Unterwerfung der Baiern durch den Fran kenkönig Karl kam es ganz offensichtlich zu einer Neuordnung des Ostlandes, also un seres Gebietes. Wels und Linz werden ur kundlich als castra genannt, Linz im Zu sammenhang mit der Martinskirche im Jahre 799. Das in den letzten Jahren auf dem Martinsberg gewonnene Grabungser gebnis erlaubt schon heute den Schluß, daß die mit acht Apsiden ausgestattete Martins kirche einer Pfalz zuzuordnen ist, der eine im Westen davon liegende Siedlung ange schlossen war - das Ist die nicht unange fochtene Meinung des Autors dieser Zeilen. Der Pfalzcharakter fiel Linz erst in karolingischer Zeit zu. Eine Neuinterpretation der Raffelstettener Zollordnung von 903/905 untermauert diese Ansicht und erhärtet für die Mitte des 9. Jahrhunderts unwiderspro chen die Aussage, daß Linz in karolingischer Zeit als zumindest zeitweiliger Sitz des Ostlandgrafen anzusprechen ist. Für diese Zeit steht zufolge der Urkundenlage auch fest, daß Linz zentraler Ort des baieri schen Ostlandes zwischen Passauerwald und Enns war und entweder als Stützpunkt des Ostlandgrafen selbst oder der Bischöfe von Passau eine wichtige Rolle spielte. Die Bezeichnung als Hauptzollstelle und zentra ler Markt des Gebietes legt eine Verbindung mit dem Inhaber dieser Regalien (königliche Rechte), dem König oder seinen Bevoll mächtigten - als solche könnten auch die Bischöfe von Passau aufgetreten sein - nahe. In der Zeit zwischen 788 und 903/90 hatte Linz einen ersten Höhepunkt in seiner Entwicklung erklommen. Durch die Einfälle der Ungarn ergab sich eine entscheidende Wendung. Schon im letzten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts wa ren die dem baierischen Ostland vorgela gerten Gebiete ständig bedroht, wurde des sen Grenze überlaufen. Das Kriegsglück wechselte häufig, doch die Verheerung des obderennsischen Raumes konnte auf die Dauer nicht verhindert werden. Dieser kri-

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