Die Linzer entdecken ihre Stadt Enthüllungen über die heimlichen Beweggründe einer alten Liebe Walter Knogiinger Auf seinem schweißglänzenden Nacken zuckt der Widerschein des Feuers. In der stickigen Luft: Donnerschläge wie von ber stendem Metall. Staub, weißer Qualm und sprühende Funken. Und wieder Donner, Schlag auf Schlag. Die Erde unter den Fü ßen bebt und zittert. Ein Mensch inmitten von Urkräften, die das Eisen schmieden. Feuer und Stahl, Elemente unserer Zeit. Ei ner unter vielen in der Gesenkschmiede des Linzer Flüttenwerkes. Einer unter Zehntau senden in der VÖEST-Alpine, dem größten Industriebetrieb der oberösterreichischen Landeshauptstadt. Die Industriestadt Linz; Charakterlstikum seit altersher Donau und Pöstlingberg, aber auch qualmende Schlote und darüber die rote Wolke, Eisenoxyd in der Luft. Dazwi schen weiße und schwarze Wolken in der Szenerie über der Fabrikslandschaft. Im Flintergrund schimmert es bisweilen rosig über den östlichen Auwäldern am Donau ufer. Dazu bedarf es der frühesten Morgen stunden und eines klaren Flimmels. Auch die Abende können stimmungsvoll ihr letztes Leuchten über die Stadt ergießen. Dann glitzern die Dächer der Fläuser und Türme, und der Strom quillt wie Quecksilber zwi schen den Abhängen von Römerberg und Windflach hervor und zieht träge dem Dämmern des Ostens entgegen. Wolken über Linz. Sie stehen nicht nur über der Industrie, nicht nur als Abgase über den Straßen und Rauchfängen der Flausfeuerungen. Man hat aus der Not eine Tugend gemacht. Den Begriff Wolke gleichsam zu veredeln verstanden. Aus der ,,roten Wol ke" ist eine ,,Kiang-Wolke" geworden. In den zwei Jahren ihrer Existenz hat sie fast soviel von sich reden gemacht wie seiner zeit ihre Konkurrenz aus den Schloten. In ternational ist man auf die Klang-Wolke aufmerksam geworden. Ihretwegen werden Filme gedreht, Fernsehprogramme veran laßt, schreibt man Berichte in kleinen und großen Zeitungen, strömen Publizisten aller Flerren Länder herbei, um das Unverhoffte, das Ungewöhnliche In Augenschein zu , nehmen. Dabei ist es nicht nur die Wolke an sich. Vielmehr will man den Umstand bestaunen, daß es diese außergewöhnliche Wolke In Linz überhaupt gibt. Ausgerechnet in Linz! Dieser Stadt hat man nicht zugetraut, wor über jetzt in aller Welt berichtet wird. Stahl werke, ja! Auch noch Chemie und Flafen. Vielleicht noch Eisenbahnbaumaschinen oder Textilmaschinen, aber jetzt auf einmal auch Kultur? Das Unerhörte lockt die Welt berichterstatter hinter dem Qfen ihrer Selbstgefälligkeit hervor und läßt sie über die Steine ihrer Vorurteile stolpern. Sie ste hen dann plötzlich in Linz, sind voll des Staunens und der Bewunderung, sprudeln hektisch ihre Fragen hervor, lassen Blei stifte über geduldiges Papier stelzen, Ton bandgeräte surren und Kameras klicken. Klang-Wolke über Linz in Verbindung mit den Bruckner-Festwochen. Allmählich wird diese Klang-Wolke, an sich eine Kreation der Linzer ,,ars electronica", zum Symbol der Bruckner-Festwochen, der kulturellen Aufbruchstimmung, die in Linz mit breitge fächerter Besinnung auf Bruckner einge kehrt ist. Die Linzer Veranstaltungsgesell schaft (LIVA) hat den Ehrgeiz, zwischen den Festspielgiganten Linz und Salzburg etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, das Beach tung verdient. Das können natürlich keine Festspiele im herkömmlichen Sinn sein. Man entschied sich daher für das Moderne, für die elektronische Musik. Alles muß sich aber in Verbindung mit dem lokalen Genius Anton Bruckner vollziehen. Mit diesem auch zu vereinbaren sein. Den Bannstrahl von Eugen Jochum hat man frei lich nicht übersehen und er bleibt wie ein leichter Schatten an dieser modernen Auf fassung der Bruckner-Festwochen haften. Vorläufig zumindest. Der Veranstalter ist zuversichtlich, daß man bald nichts Gegen sätzliches mehr empfinden wird, wenn es um die Verbindung Bruckners mit avantgar distischen, musikalischen Anliegen geht. Man will Bruckner keinesfalls verschandeln, was Jochum befürchtet, man will Ihn pflegen und einem immer größeren Publikum zu gänglich machen. Dazu bedarf es eines ge wissen musikalischen Spektakels. Dieses ist sicherlich unkonventionell, aber war dies nicht auch die Kunst Bruckners und vieler Großer ihrer Zeit? Das immer zahlreichere Publikum, der sich weitende Kreis von Interessenten und Miter lebenden, sie sind das besondere Anliegen der Linzer Veranstaltungsgesellschaft, aber auch des gesamten Linzer Kulturbetriebes, in den neben dem Landestheater auch das kulturelle Zentrum des Landes Ursulinenhof mit seinen vielerlei Aktivitäten einzuschlie ßen ist. Die LIVA hat mit ihrem Bruckner haus von Anbeginn eine möglichst weite Öffnung für alle Bevölkerungskreise, alle sozialen Schichten angestrebt. Allmählich soll es auch an den Hochöfen, in den Ge senkschmieden, den Werkstätten, an den Verkaufspulten und in den Büros zum guten Ton gehören, an kulturellen Veranstaltun gen teilzunehmen. Aktives Erleben des Lin zer Kulturbetriebes soll nicht länger einem kleinen Kreis Bildungsbeflissener vorbehal ten bleiben. Man will dazugehören. Nicht nur oberflächlich, sondern auch in dem Bemü hen, Kunst zu verstehen. Die ,,schöne Linzerin" ist nicht nur Legende aus biedermeierlichen Tagen. Man begeg net ihr auf Schritt und Tritt in den Straßen und Gassen der Stadt. Wirkungsvoll zu klei den, darauf versteht sich längst jede Friseu rin, jeder Lehrling kann im Smoking auftre ten, und man wird ihn in Linz nicht vom Sohn des Fabrikanten oder Primararztes zu un terscheiden vermögen. Man weiß auch zu schreiten, wenn es gilt, im Foyer des Bruck nerhauses vertreten zu sein. Daß Damen über die breiten Treppen schweben und mit wallenden Roben dem großen Saal zustre ben, ist hier längst Gemeingut geworden. Qptisch erkennt man kaum noch Unter schiede. Der Kulturbetrieb hat so ziemlich alles erfaßt ohne Unterschied des Alters oder der sozia len Stellung. Ob er aber alle oder nur einen Teil des Publikums auch innerlich zu bewe gen vermag, das ist noch nicht eindeutig zu beantworten. Jedenfalls sind die Konzerte und die meisten sonstigen kulturellen Ver anstaltungen ausverkauft. Bei der Gestal tung der Eintrittspreise wird in Linz darauf Bedacht genommen, daß sich diese jeder leisten kann. Er muß nur wollen. Linz hat also neue Publikumsschichten für die Kultur in Bewegung gesetzt. Bei den großen Musikspektakteln der ,,ars electro nica" sind es sogar Zehntausende. Ist es nicht gleichgültig, ob die Leute kom men, um dabeizusein, wenn sie nur auf diese Weise mit Musik in Berührung kom men? Geht es nicht darum, daß den Men schen eine ihnen vielleicht vorher fremde Musikwelt erschlossen wird? Ähnlich ist es auch mit der darstellenden Kunst, dem Theater, der Literatur. Nehmen wir bloß die darstellende Kunst. Kaum eine Stadt in Österreich leistet sich so viele Gale rien wie Linz, öb alle lebensfähig sind, das steht auf einem anderen Blatt der Chronik, das man besser nicht zu genau besieht. Aber daß es so viele Galerien gibt und jede ihren Kreis von Künstlern und Publikum hat, das ist doch ein schöner Hinweis auf eine breite Schicht Kunstbeflissener in dieser Stadt der Schlote, Fließbänder und Maschi nen. Freilich geht speziell bei den Galerien die Stadtverwaltung mit gutem Beispiel vor an: sie unterhält selbst eine der im weiten Umkreis modernsten Galerien und läßt sich diese auch alljährlich eine schöne Stange Geldes kosten. Früher einmal schimpfte man Linz eine Bauernstadt. In Wahrheit war es eine Bür ger- und Handelsstadt. In jüngerer Zeit heißt es nicht immer schmeichelhaft, es sei eine Industrie- und somit Arbeitsstadt. Diese Einstufung dürfte den Tatsachen entspre chen, denn immerhin gibt es in Linz rund
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