Oberösterreich, 30. Jahrgang, Heft 4, 1980

Zwielicht Sie waren hinter ihm her. Aber hier im Geklüft würde man ihn nicht suchen. Er lag am Felsen mit ausgebreiteten Armen, sein Herz hämmerte gegen den Stein, in den Schläfen dröhnte ihm das Blut, sein Atem traf in harten Stößen den kalten Stein, der Schweiß sickerte in die Poren der Wand. Die zerklüfteten Lip pen brannten, aber er war zu schwach, eine Quelle, einen Bach zu suchen. Er lag wie angeschmiedet. Wie Eisenspangen lag es um seine Stirn. Als der Tau fiel, hockte er sich auf. Aus der Klamm rauschte es herauf. Ihn fror. Er stützte sich mit steifen Fingern ab, schob sich mühsam hoch. So stand er lange mit gesenktem Kopf und schwankte leise. Dann schleppte er sich, die Augen am Boden, aufwärts. Er wand sich durchs Knieholz, sprang über ein schmales Gerinne und stapfte weiter, dumpf, ohne Gedan ken. Als er einmal innehielt, querte ein Salamander bedächtig seinen Weg und verschwand unter Farnen. Der Nebel fiel ein, die feuchten Steine glänzten. Er stieg über geborstene Blöcke und morsche Stämme durch einen schütte ren Fichtengürtel. Falkenschreie, Wind in den Wipfeln. Ir gendwo sprang ein Stein klingend zu Tal. Plötzlich stand er am Rand einer grünen Mulde, einer flachen Schale, auf deren Grund das Wasser eines Weihers schimmer te. - Leise tropfte es von den Zweigen. Über der Wiese und über dem schlafenden Wasser Nebelflaum. Ein Spinnennetz lag ihm über den Augen, er strich sich über die Stirn. Am anderen Ende der Lichtung blinkte es wie Feuerschein, dunkelte eine Hütte, aus rohen Balken gefügt. Er tappte näher, faßte den Türpfosten, blickte hinein in die Stube. Ein schwerer Kupferkessel hing über dem Feuer, außen samtig berußt. Von den Regalen schimmerten Gefäße, allerlei Gerät. In einem Winkel stand ein Tisch, ein Stuhl, in einem andern - war es ein Lager? Mit offenem Mund starrte er ins durchflackerte Dunkel. He! Er fuhr herum. Hinter ihm stand eine Frau. Flaches Gesicht, runde Stirn, schrägstehende Augen. Von der Gestalt kaum etwas zu ahnen, nur ein Gewühl von Falten, Flicken, Lappen, das schien im Boden zu wurzeln. Dahinter aus dem Nebel schwankten mondgekrönte Häupter leise schnaubend heran, eine sanfte Phalanx, die im Halbkreis stehenblieb. Die Frau trug Büschel blasser Orchideenblüten hinter den Oh ren, einen Strauß von Herbstzeitlosen in der Hand, einen Kno tenstock in der andern. Die Augen in diesem fahlen, alterslo sen Gesicht schienen ihn nicht anzusehen, er stürzte in ihre dunklen Trichter. Hast du Durst? Er nickte. Sie trat an ihm vorbei durch die Tür, lehnte den Stock an die Wand, legte die Blumen auf den Tisch. Sie griff im Dunkel eine hölzerne Schale und drückfe sie ihm in die Hand. Dann holte sie einen Krug aus einem Verschlag und goß ihm Milch in die Schale. Da trink! Er hob die Schale an den Mund und trank. Es war kühl wie Mondlicht. Da fiel ihm ein, wie er als Junge der Melkerin zuge schaut hatte, und wie die feinen weißen Strahlen singend in den Eimer gesprüht, der Schaum sich gehoben hatte. Brot? Er nickte. Sie schob ihm einen mächtigen Laib und ein Messer hin. Er wog es in der Hand, dann schnitt er eine Scheibe ab, hockte sich auf einen Schemel und kaute langsam. Er seufzte auf. Schlaf? Er blickte sie an. Dort! Sie wies mit dem Kopf in den Winkel, wo die Bettstatt stand. Und du? Das geht dich nichts an. Er zuckte die Schultern und schlurfte in den Winkel, warf sich in das Gestell, wie er war. Der Strohsack roch ein wenig nach Moder und Rauch. Er zog die Decke aus Schafsfellen ans Kinn. Da sah er mit schlafblinden Augen, wie sie eine andere Holz schale mif Milch füllte und in der Mitte der Stube auf den Bo den stellte. Und plötzlich wurde es in den Wandgestellen le bendig: ein Schleifen und Schlurfen, ein leises Zischen; von den Wänden herab und aus den Winkeln wanden sich Schlan genleiber, glitten zu Boden, ihre Häupter bewegten sich auf die Schale zu. Eine drängte die andre zur Seite, sie wanden sich durch- und übereinander, aber sie fanden zuletzt doch Platz genug, um einträchtig nebeneinander zu trinken. Als die Schale geleert war, zogen sie sich züngelnd und leise schlei fend dorthin zurück, woher sie gekommen waren. Der Feuer schein spielte auf ihren maftglänzenden Rücken. Sie hatte sich auf einem alten, lederbezogenen Armstuhl am Feuer niedergelassen und eine der Schlangen kroch ihr auf den Schoß. Dort blieb sie geringelt liegen unter dem geneigten Kopf der Frau, die sie träumerisch streichelte. Er bewegte sich, als wollte er auf. Dann sank er wieder zurück. Er stürzfe in einen Abgrund von Schlaf. . . . Ein feiner scharfer Schmerz weckte ihn auf. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Er hatte die Hand um den Zweig eines Dornstrauchs geschlossen. Er schaute mit aufgerissenen Au gen um sich. Der Morgen graute, die Blätter waren naß vom Tau. Er lag auf einer steinigen Halde zwischen dürrem Ge büsch, zwischen modernden Balken, die wohl einmal zu einer Hütte gehört haben mochten. Er schlug die Hände vors Ge sicht. Da hörte er fern aus der Tiefe das hohe Gekläff der Hunde, sprang auf und rannte . . . rannte . . .

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