Historische Kunst Sgraffitodekoration in Steyr Wilfried L. Lipp 1855 macht Jacob Burckhardt in seinem „Cicerone" im Kapitel über Florenz die Be merkung, daß „schon die Frührenaissance hier in bloß ornamentalen Sgraffiti einiges Treffliches aufgewiesen hat", und ,,in der Folge phantastische Figuren, Pane, Nym phen, Medaillons, auch ganze historische Kompositionen einfarbig an den Fassaden angebracht wurden". Burckhardt nennt in der Folge fünf Florentiner Sgraffitofassaden und einen Hof; er ist damit der erste, der das historische Interesse auf diese Dekora tionskunst lenkt. Zugleich mit dem wissen schaftlich-historischen Interesse ging - wie übrigens in anderen Bereichen auch - das historistische interesse, das primär auf die Wiederverwendung und Interpretation ver gangener Stiie und Techniken ausgerichtet war. Gottfried Semper gibt 1868 eine detaiilierte Schilderung der Sgraffito-Technik und berichtet von eigenen großen Unterneh mungen dieser Art, die er am Königlichen Hoftheater zu Dresden, an der Fassade ei nes Hamburger Wohnhauses und später am Eidgenössischen Polytechnikum zu Zürich und an der Züricher Sternwarte durchge führt hat. Semper leitete damit die historisti sche Wiederbelebung einer Technik ein, die seit Renaissance und Frühbarock in Ver gessenheit geraten war und die in der 2. Hälfte des 19. Jhdts. noch einmal eine große Verbreitung finden soiite. Trotz dieser intensiven Beschäftigung mit dem Sgraffito im vorigen Jhdt. blieb die wissenschaftliche Erforschung seither regional begrenzt. Das große Buch über das Sgraffito steht noch aus. Sgraffito kommt aus dem italienischen graffiare, und heißt soviel wie mit einem eiser nen Griffel (,,ferro") in den Putz einkratzen. Die vieifach übiiche Bezeichnung Sgraffito-Maierei ist daher für die reine SgraffitoTechnik nicht zutreffend, aber es gibt vornehmiich in den späten italienischen Sgraf fiti und jenen des 19. Jhdts. eine Überlage rung von Sgraffito- und Fresko-Technik. Die Ausführung ist einfach; über einem Kalkmörtelputz wird eine heiie Kaiktünche aufgetragen, auf die die Zeichnung, das Or nament, eingeritzt wird. Die Umrisse werden vertieft und das Bildnegativ wird wegge schabt, bis der rauhe Putz sichtbar wird. Die hier beschriebene Technik ist die auch im oberösterreichischen und niederösterrei chischen Verbreitungsgebiet übliche Zwei schichttechnik. Daneben gibt es - in den An fängen des Sgraffito in Italien - die Ein schichttechnik ohne oberste Kaiktünche, aber auch Mehrschichttechniken, bei denen mehrere eingefärbte Schichten übereinan der aufgetragen werden. Grundsätzlich unterscheidet man: a) Unterputz als ersten rauhen Auftrag über dem Mauerwerk. b) Kratzgrund als zweite ungefärbte (oder) auch gefärbte) Putzschicht. c) Kratzschicht als oberste Tünche bzw. Schlemme. Bei den sogenannten mehr schichtigen Sgraffiti - die im oberösterrei chischen Bereich nicht vorkommen - wer den mehrere Kratzschichten aufgetragen. Die Technik beschreibt als erster authen tisch Giorgo Vasari, der selbst eine Reihe hervorragender Sgraffitodekorationen in Fiorenz ab 1553, in Arezzo 1548 und in Pisa ab 1562 schuf, wo er für den Palazzo dei Gavalieri, dem Sitz der Ritter des Stefansor dens, das größte erhaitene Sgraffitoprogramm des Cinquecento entwarf. Vasaris Text stammt von 1568, einer Zeit, da das Sgraffito bereits seine allgemeine Verbrei tung in fast allen europäischen Ländern ge funden hat. Als Besonderheit führt Vasari die Einfärbung des Kratzgrundes durch Beimischung von verkohltem Stroh an: ,,Man nimmt gelöschten, in der üblichen Weise mit Sand gemischten Kaik, den man durch verkohltes Stroh dunkel färbt, und zwar in einem Halbton, der nach dem Silbri gen, aber doch etwas mehr nach dem Dun klen hingeht, und damit verputzt man die Fassade. Wenn das gemacht und die Wand geglättet ist, wird sie mit weißem TravertinKalk hell getüncht. Darauf paust man die Kartons oder zeichnet auch frei, was man machen wiil. Dann kratzt man mit dem Griffei die Umrisse und Schraffuren in den Kalk, so daß in allen Ritzungen der darunterliegende dunkle Grund als Muster zum Vorschein kommt. In größeren Partien pflegt man auch das Weiß wegzuschaben und soiche Steilen mit einer dunkien, sehr wäßrigen Wasser farbe zu tönen, so wie man es auf dem Pa pier machen würde. Dies macht von weitem einen sehr schönen Eindruck. Wenn es sich um Grotesken und Biattwerk handeit, schat tiert man den Grund mit solcher Farbe. Das also ist die Arbeit, die die Maier, weil sie mit dem Griffel geritzt wird, Sgraffito genannt haben." Vasari gibt in seinen Ausführungen aller dings keinen Hinweis auf die Entstehung des Sgraffito. Durch verwandte Phänome ne-Ritzungen in Stein und Fels seit urge schichtlicher Zeit, sowie Putzritzung im Mit telalter, wie jener im Kreuzgang des Mag deburger Domes aus dem 13. Jhdt. - könnte der Schluß nahegelegt werden, das Renaissance-Sgraffito schließe an eine durchge hende Tradition an. Aber Ritztechniken zähien eben ganz allgemein zu den eiementaren künstierischen Ausdrucksmöglichkei ten, weshalb ein derart weitgefaßter kunst historischer Zusammenhang zur Erkiärung der Renaissancesgraffiti nicht in Frage kommt. Das Sgraffito - so wie es sich in der Epoche der Renaissance europaweit ver breitete - beginnt in seinen frühesten Do kumenten im Übergangsfeld von Gotik und Renaissance. Das älteste erhaltene Bei spiel - eine einfache Sgraffitoquaderung - im alten Kreuzgang v. S. Croce in Fiorenz stammt vermutiich noch aus dem 13. Jhdt., die Quaderfugen an der Gasteliani-Kapelle von S. Groce datieren in die 2. Hälfte des 14. Jhdts., ebenso jene der Gasa Davanzatti in Fiorenz. Seit dieser Zeit gibt es ein sprunghaftes Ansteigen der erhaltenen Sgraffitodekorationen in Florenz, Mitte des 15. Jhdts. ist bereits eine Hochblüte er reicht. Ailgemein läßt sich für die Entste hung des Sgraffito in Florenz - gleichbedeu tend mit der Entstehung des Sgraffito über haupt - feststellen, daß die Formentwick lung parallel mit der bautechnischen bzw. bauornamentalen Entwicklung geht. Im 14. Jhdt. wird der mittelalterliche Formzie gel, das Rhombenband etc., in Sgraffito um gesetzt, Hauptquelle für die formaie Ent wicklung des Sgraffito wird aber in der 2. Häifte des 14. Jhdts. der Bau des Florenti ner Domes und Gampaniies mit seinen Fas sadeninkrustationen. Vorbildlich sind dabei die Schachbrett-, Bogen- und Rhomben friese, Rosetten und Blüten, aber auch ein gelegte Tierfriese. Mit dem Quattrocento und dem Wandel des Wohnbaues vom schmalen, hohen Haus zum breitgelagerten Stadtpalast ändert sich auch die Sgraffito dekoration. Waren die Dekorationsele mente bisher Begleittext der Tektonik, d. h. rahmend und akzentuierend, so tritt um 1450 das Sgraffito als eigenständiges Sy stem im Sinne einer Scheiriarchitektur auf. Hauptbeispiel ist dafür der Palazzo Gerini in Florenz: Sgraffitierte Pilaster mit korinthi schen Kapitelien zwischen den Fensterach sen, Quadraturen mit tondoförmigen Mu scheln über den Öffnungen, Engelskopfgir landen als geschoßtrennende Bänder. Die Formmotive stehen in engem Zusammen hang mit den Meistern der Fiorentiner Früh renaissance: Donatello, Micheiozzo und Luca della Robbia. In der zweiten Häifte des Quattrocento do miniert eine mehr dekorative Richtung, wie am Palazzo Ammanati von Rossellino (1460-1462), und mit dem Ginquecento setzt nach dem Vorbild der antiken Groteske die Sgraffitogroteske ein. Die wiederent deckten antiken Grotten dienten als Muster und Stimulans für die Phantasie. Noch er haltene Skizzenbücher der bedeutenden Meister, der Sangaliis, Filippino Lippis u. a.
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