Oberösterreich, 30. Jahrgang, Heft 1, 1980

Der bunte Tauber Erst als Fran nach der langen Bahnfahrt und einer fast unerträglichen Ungewißheit; ja oder nein - wirklich in H. ankam und, losgelöst von der gesamten Vergangenheit, sich umsah, kam ihm die Erinnerung zurück: hier müßte doch der Tauber sein. Aber alles, was Fran über ihn wußte, war lediglich jene kleine Andeutung von Irina: ,,Du mußt in H. nach dem Bunten Tauber fragen." Dann war für nichts mehr Zeit gewesen, sie hatten ihn in den Wagen gehoben, ohne ihm auch nur die geringste Gelegenheit zu lassen, über das ,,WO" zu reden und wie er es anfangen könne, dort hinzugelangen. Fran erinnerte sich allerdings auch dunkel, bereits in der ersten Zeit der langen Reise unbewußt an den Tauber gedacht zu haben. Wenn er es genau überlegte: es könnte damals gewesen sein, als sich die schö nen Blüten an seiner Zimmerwand entfalteten, an deren ständig sich verändernden wundervollen Farben Fran sich von ganzem Herzen erfreute; aber es hatte selbst in dieser wortlosen weichen Oberein stimmung irgend etwas gefehlt, und Fran wußte jetzt, was: ein Ge sicht, ein Mensch. Fr war zu allein gewesen mit den Blumen - sie sprachen nicht. Fr aber hätte gerne gesprochen -. Möglicherweise war es aber auch nur der Findruck dieser Buntheit gewesen, der Fran aufweckte und ihm das Bild des Taubers in die Phantasie einwob. „DER BUNTE TAUBER" hatte Irina gesagt. Der Park, in dem ihn Fran dann schließlich fand, war weiß und weit, still - wie eine ausgeräumte Stadt; ganz glatt gemacht und weiß ge strichen. Man mußte sehr aufmerksam sein, wenn man die feinen Schatten sehen wollte, durch die sich die Wege von der übrigen Landschaft abzeichneten. Auch die stummen Leute, die einhergin gen, waren weiß gekleidet, ihre Gesichter waren weiß, und selbst die Vögel, die bei nahenden Schritten aufflogen, waren weiß. Aber da sich Fran seit dem Abschied von Irina nicht mehr über Sonderlichkei ten verwunderte, empfand er auch den Findruck dieses großen wei ßen Platzes als nicht im mindesten eigenartig. Nur eines beunruhigte ihn: er wußte nicht, wie lange diese weiße Stille bereits andauerte, ob es Wochen oder Monate gewesen waren oder nur Augenblicke - denn im Weiß der Umgebung verrann jedes Gefühl für Zeit, wurde aufge sogen und verschwand im Nichts. Vielleicht war aus diesem Grund die Begegnung mit dem Bunten Tauber heftig wie ein Schock. Fran hätte schwören mögen, daß der Vogel kleine Töne ausstieß - verwirrende kleine Töne, die fast wie Iri nas Stimme klangen und die Fran aufschreckten und ihn zwangen, immer wieder hinauszusehen. Der Bunte Tauber war ein schöner Vogel rmd in dieser weißen Wüste wirkte er als dem Paradies entflogen. Das blaue Gesicht mit den roten Augen, mit dem gelben Schnabel und dem vibrierenden Federbusch auf dem Hinterkopf erschien so anziehend und so verzaubernd, daß Fran keinen anderen Wunsch mehr in sich verspürte, als immer näher zu treten - und es war ihm dabei, als lösten sich mit jedem Schritt, den er vorwärts tat, allmählich die vielen Ketten, die ihn an das weiße Land gefesselt hatten. Fr schritt immer weiter—und immer größersah er seinen Vogel: die Flügel gespreizt zum Abflug und den mächtigen Schwanz ausgebreitet - eine große farbige Landschaft. Der Vogel stand auf einem blauen Tisch mit roten Rädern und plötzlich überfiel Fran brennende Angst: der Tauber könnte von diesem Tisch aus da vonfliegen und ihn allein im weißen Garten zurücklassen. Da schrie er auf und rannte mit allen Kräften; er warf sich auf den Rücken des Vogels, vergrub sich zwischen den schönen vielfarbenen Flügeln und weinte laut. Aber mitten in diesen Tränen spürte er mit einem Male, daß sich der Bunte Tauber weit in die Luft hinaushob und immer hö her und höher flog. Die silbernen Glöckchen an seiner Brust läuteten dazu in eigenartigen befreienden Klängen. Es ist möglich, daß Fran in diesem hohen Flug die Sinne schwanden. Aber nach einer undeutbaren Zeitspanne spürte er warme weiche Hände, die ihn hielten, und in sein Erwachen hinein hörte er Irina sa gen: ,,. . . der Bunte Tauber ..." Da erhob sich Fran - völlig befreit und erfrischt. Und es begann ein ganz neuer Tag. Flfriede PriUinger zählt zu den ganz Stillen im Lande. 1967 erhielt sie den Förderungspreis des Landes Oberösterreich für Literatur. Kein Geringerer als Karl Kleinschmidt schrieb damals im ,,Oberösterrei chischen Kulturbericht" vom 23. Februar 1968 über sie: „Ihre Ge dichte sind Niederschlag innerer Begegnungen, Früchte gelebter Frfahrung, sie sind Siegel auf Vergangenes und erspürte Muster des Kommenden." Solche Worte machen sie nicht stolz. Sie arbeitet ruhig weiter. Flfriede PriUinger ist aber gerade den Lesern unserer Zeitschrift auch als kenntnisreiche Heimatkundlerin bekannt. Sie ist Kustos am Stadtmuseum Gmunden, dem sie ihre ganze Liebe widmet. In einem Heft, das viel Berührungspunkte mit dem Salzkammergut besitzt, soll sie als eine der berufensten Gegenwartskünstlerinnen dieser Landschaft zu Wort kommen. Foto auf der Titelseite der Literaturbeilage: Hallstätter See von H. G. Ptillinger

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2