Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 4, 1979

auch das Schlußlicht hinter der nächsten Biegung entschwunden. DerHofmeiner Muhmelag oben,dichtam Rande derEbene,umringt vonimzähligen Obstbäumen,die auch noch den steilen Hang herun terkletterten. Der Wiesenpfad, der sich schräg an ihm hinaufschlän gelte,war tiefverschneit,aberich entdeckte bald eineSpur,sie mußte von Männerschuhen stammen, und die Tritte hielten großen Ab stand. Ich hatte alle Mühe,die Beine so weitzu spreizen, daß ich die Spur benützen konnte, aber es gelang mir doch und ich erreichte, ohne dieSchuhe mitSchnee gefülltzu haben,den Föhrenschacher,in dessen geheimnisvoller Tiefe der verlassene Schotterbruch sich ver barg,in dem,wenn den Worten der Muhmezu trauen war,die Wilde Jagd sich versammelte zum Ritt durch die Rauhnächte. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich es wagen sollte, mich an zuschleichen, um die Muhme Lügen zu strafen oder die Holden und Unholden mit eigenen Augen wirklich zu erspähen, was mir natür lich lieber gewesen wäre,trotz desSchauders,der mir bei diesem Ge danken über die Haut lief. Aber es war so finster im Bruch, daß ich mich schon nach wenigen Schritten nicht mehr zurechtfand und, nicht allzusehr enttäuscht darüber, meinen Mut nicht bewähren zu können, den Weg hinaufzum Hofe fortsetzte. Nicht daß ich Furcht vor Wotans wildem Gefolge gehabt hätte, eher hatte ich eine gewisse Scheu davor,sie nichtanzutreffen und mirso wieder einen Zauberzu zerstören, wie ich mir den desfreundlichen Nikolaus,des höllischen Krampus und des hoch vom Himmel herabschwebenden, allen Gu ten reiche Gaben bescherenden Christkindes längst zerstört hatte durch mein Beobachten und Vergleichen und durch meine Schlüsse daraus, die ich für mich behielt. Aus den Stallfenstern drang mir Licht entgegen. Ich trat hinzu und sah drinnen die Zeile der fressenden Rinder, die gewaltigen Häupter zum steinernen Tor herabbeugend, und ich sah die junge Magd, die kaum der Schule entwachsen war, wie sie den Tieren mit der blitzen den Heugabel das Futter in die Raufen warf. An der Haustüre ließ ich den eisernen Türhammer trommeln, und es kam meine Muhme gehumpelt, ich hörte ihren schlürfenden Gang auf dem Steinpflaster, sie hatte Wasser in den Beinen und offene Adern und konnte sich nur mühsam mit einem Stocke fortbewegen. Trotzdem stand sie noch immer dem Hofe vor und woüte nicht über geben und arbeitete von früh bis spät und führte die Küche. Ihr Ge sicht war mager und die Haut darin braun und faltig, die dunklen Au gen aber warenlebendig und listig wie der Mund,derimmerein ganz feines, verschmitztes Lächeln verriet, wenn sie etwas erzählte. Manchmal erinnerte sie mich an einen Fuchs, manchmal, ob ihrer großen,scharfgeschnittenen Hakennase,an eine heimlicheZauberin. Leg ab,sagte sie freundlich, und dann kannst du in die Stube gehen, es wird bald zum Essen sein. Das ganze Haus,so schien es mir, war blank gescheuert, der Fußbo den sauber gerieben und appetitlich wie die Platte des großen Ti sches,aufdem die Mahlzeiten aufgetragen wurden.Hinter dem Kruzifbc überdem Tisch,hinter den Heiligenbildernzu beiden Seiten und auch über dem Spiegel,derneben derTürean der Wand hing,steckte grünes Tannenreisig, das in der Wärme die Stube mit dem Duft der Wälder erfüllte, und der Kater, der mit mir hereingehuscht war und jetztauf meinen Knien schnurrte, duftete nach frischem Heu,in dem er den halben Tag verschlafen hatte. Jetzt leuchteten seine Augen wie große, goldene Räder. Bald hörte ich draußen die Stimme des Vetters,so nannte ich den er wachsenen Sohn der Muhme,der schon im Krieg gewesen war und immer noch mitdem Gedanken spielte,den Hofzu verlassen undzur Gendarmerie zu gehen, dort Wachtmeister zu werden und sich ein leichteres Leben einzutauschen, wie er meinte,ich hörte die Stimme seiner alternden Schwester,die unter der Herrschaft der Muhme ver blühte,und ich hörte die helle Stimme der Magd.Sie hatten das Vieh versorgt,und jetzt wuschen sie sich, gingen in ihre Kammern,zogen frische Wäsche an und machten sich schön, und dann hörte ich die Muhme nach der Magd rufen, die ihr zu hoffärtig war,sie solle den Tisch decken und das Essen auftragen. Die Magd kam gelaufen, sie war ein flinkes Mädchen und sie lachte, als sie mich bereits am Tisch sitzen sah und sagte: Hungert dich schon? Sie breitete ein frisch gewaschenes, leinenes Tischtuch auf und teilte die Löffelaus,und dann kamen der Vetter herein und seine Schwester und die Muhme.Ich sprang von der Bank und begrüßte sie und blieb nun wie sie vor dem Tische stehen. Erst als die Magd die Schüssel mit dem dampfenden Grieskoch, darauf die zerlassene But ter schwamm,hingestellt hatte, schlug der Vetter das Kreuz und be gann mitseiner schönen,sehr tiefen Stimme,die ihn,der das Flügel horn herrlich zu blasen verstand und ob seiner Spottverse viel ge fürchtet und zugleich von den Unbegabten in dieser Kunst für ihre Anliegen sehr begehrt war,auch als Sänger weithin bekanntgemacht hatte, das Gebetzusprechen,in das wir alle einstimmten.Ich kannte dieses Gebet schon und traf auch den Ton,in dem es in immer glei cher monotoner Weise geleiert wurde,jahraus,jahrein. BeiTisch saß ichzwischen dem Vetter und der Magd,und die Magdfuhr mitihrem Löffel,ohne daß esjemand merkte,in der Schüssel den Rand entlang auf meine Seite herüber, sie machte das sehr geschickt und lenkte durch ihr Gerede, es hätte jemand ans Fenster geklopft, die anderen ab,und im Nu hatte sie mir eine Grube ausgehöhltim Grieskoch,in die sich nun ein goldgelber See heißer Butter ergoß.Ich spürte,wie sie unterm Tisch mitihrem Knie an meinesstieß und sah,wie sie vorsich hinlachte,grundlos,so schien es allen,und es trug ihr den tadelnden Blick der Muhme ein. Nach dem Essen, als der Tisch abgeräumt war, brachte die Muhme in einem funkelnden Messingleuchter die geweihte Kerze herein,zün dete sie an und stellte sie in die Mitte des Tisches. Der Vetter war aus der Stube gegangen, und als er nicht gleich wieder zurückkehrte, blickte sie unruhig immer wieder zur Türe, und ich sah den Zorn in ihren Augen aufblitzen. Fndüch kam er wieder,aber sie sagte nichts, und sie wußte wohl,warum sie sich beherrschte. Fr setzte sichzu uns an den Tisch, und jetzt konnte das Rosenkranzbeten beginnen. Für mich war dasschwierig,ich beherrschte diese Gebete nichteinwand frei und zog dadurch sehr bald die Aufmerksamkeit der Muhme auf mich und, wie ich mit einiger Beklemmung feststellen konnte, auch ihre Entrüstung. In meiner Not bewegte ich pausenlos die Lippen, murmelte vor mich hin,gewiß nichtimmer die richtigen Worte,denn bald sah ich alle schmunzeln, den Vetter voran, nur die Muhme schüttelte mißbilligend den Kopf. Die Magd biß sich in die Lippen. Mir wurde entsetzlich heiß,schlafen,dachteich,schlafen,und gleich schloß ich auch die Augen zum Zeichen meiner Müdigkeit, die mich aus meiner hoffnungslosen Lage erretten sollte. Zwar murmelte ich noch immer mit, freilich schon mit Intervallen, und dann spürte ich bald, wie mirzuweilen der Kopfherabsank,ich brauchte nichts mehr dazutun. Wenn ich mich ermannte und vorsichtig im Kreis blinzelte, schien es mir, der Vetter nicke mir zu. Hatte er mich durchschaut? Seine Schwester betete laut, und sie schaute dabei gutmütig und vol ler Nachsicht herüber zu mir und lächelte. Die Muhme blickte streng auf die Perlen ihres Rosenkranzes nieder, und die Magd kämpfte um Luft. Im nächsten Augenblick mußte sie platzen. Ich schlief schnell wieder ein. Schließlich war ich ja weit herzugereist, war durchfroren und hungrig angekommen, war jetzt gesättigt, und die warme Stube tat dasIhrige,ich hatte ein Rechtdarauf, müdezu sein. Wennich mit unter aufwachte, ließ ich es niemand merken. Eine plötzliche Stille weckte mich, das Beten hatte aufgehört, ich war hellwach. Und ich saß allein am Tisch, die Rosenkränze waren beendet. Duft von Harz und Weihrauch stieg mir in die Nase. In der Küche füllte der Vetter das eiserne Räuchergefäß mit Holzglut aus dem Herd, die Muhme

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