Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 4, 1979

Neufassadierungen der Barockzeit. Seit dem späten 17. Jahrhundert, vor allem aber im 18.Jahrhundert, machte sich in Steyr das Bestreben bemerkbar, über dem Erdge schoß- unter Beibehaltung oder Schleifung der Breiterker-die Fassadenwand derartig hochzuziehen,daß der Schopfwaim(wenig stens optisch von der Straßenansicht aus) hinter der Stirnmauer verschwand. So be kam das Haus ein monumentaleres Gesicht, da vier bis fünf Geschosse vorgetäuscht wurden, obwohl hinter den beiden oberen Geschossen natürlich nach wie vor das alte Dach verborgen lag und das oberste Ge schoß gar ein Biindgeschoß war,wie die ge schlossenen ,,Fenster"-Läden leicht erken nen lassen. Diese Neufassadierung, die in vielen Städ ten Oberösterreichs vorkommt und oftmals wie in Linz oder Weis größtenteils noch ab geschlossen werden konnte, blieb in Steyr anscheinend plötzlich stecken, so daß ein Großteil der spätgotischen Schopfwalmhäuser erhalten blieb und alte Häuser oft neben und zwischen den neufassadierten stehen blieben; so das ,,Bummerlhaus" zwischen den prunkvollen ,,neuen" Häu sern Stadtplatz 30 und 34. Die Gründe für diesen Stillstand sind religiö ser und wirtschaftlicher Art. Die Steyrer Bürger waren schon im Mittelalter selbstbe wußte Leute und ließen sich bereits damals polltische und religiöse Bevormundung nur ungern gefallen. Früher hieß das ,,Bum merlhaus" auch ,,Waldenser Schule", weil dort neben dem Betsaal die Schule dieser in Frankreich seit dem 13. Jahrhundert viru lenten vorreformatorischen Bewegung in stalliert war, die Anhänger auch in Italien, Österreich und Böhmen gewann, wobei Steyr eines der führenden ,,Ketzernester" war. Die Disposition für die spätere Entwick lung war also In Steyr schon längst vor der eigentlichen Reformation gegeben. Dieser hing dann auch die Mehrzahl der Bürger schaft an,so daß am Ende selbst die Pfarr kirche protestantisch wurde. Ärger als spä ter der Dreißigjährige Krieg traf deshalb die Gegenreformation die selbstbewußte Bür gerschaft wie in vielen anderen Städten Oberösterreichs (vor allem in Enns und Wels, das fast ein Zentrum des Humanis mus war)in ihrem eigentlichen Lebensnerv. Die Emigration verlief zunächst freiwillig, später wurde sie aber durch Schikanen und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen be schleunigt, so daß es zu einem Exodus ei nes Großteils der Handwerker und Handels leute kam,die bis ins Ruhrgebietzogen, wo dann auch später- vor allem In Solingen - eine blühende Messerindustrie entstand. Eine Untersuchung der Bürger- und Steuer listen der Stadt Steyr könnte diesen schon vordem Dreißigjährigen Krieg einsetzenden Schwund des einst hohen Wirtschaftspo tentials bestätigen. Auf jeden Fall war die Neugestaltung der Stadt Steyr durch die später einsetzende Verarmung, wenn auch nicht ganz beendet, so doch in ihrem Kern getroffen,wenn auch nachher eine leichte Erholung einsetzte,die dann zu Umfassadierungen wie bei dem et was ruhmredigen Haus Stadtplatz 12führte. Selbst Im 19. Jahrhundert gibt es noch Fas sadenumgestaltungen,wie das HausStadt platz 30 neben dem Bummerlhaus beweist, das sich aber immer noch im Rahmen des Steyrer Grundkonzeptes bewegt. Daß Historismus und Gründerzeit diese Rücksichtnahme vermissen lassen, zeigt das schreckliche Gebäude Stadtplatz 20 (Sparkasse), das etwa die doppelte Ge schoßhöhe - verglichen mit den Geschoß höhen anderer Bürgerhäuser - besitzt. Schlimmer ist nur das ebenfalls um 1900 entstandene Amtshaus (Stadtplatz 1) in Eferding ausgefallen, das seine Nachbarn maßstäblich glatt erschlägt. Diese Beispie le, die auch in Oberösterreich beliebig er gänzt werden könnten, beweisen zur Genü ge, daß die Rücksichtnahme auf ein ge wachsenes städtebauliches Ensemble nicht allein eine Stilfrage im engeren Sinne,son dern auch eine Maßstabsfrage- also letzt lich eine Taktfrage - ist. Trotz aller Wechselfälle der Geschichte ist das Steyrer Sfadfö/7d ein kostbares histori sches Erbe,das eszu erhalten gilt,da es der Stadt Steyr schließlich ihre Identität verleiht. Identität aber heißt unverwechselbare Ein maligkeit- kurz: Stadt-Persönlichkeit. Ö iii ■rilB

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