Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 4, 1979

Historische Kunst Ein Baudenkmal der Gotik in Österreich die Stadtpfarrkirche in Steyr In einem eigenen Bezirk über den alten Bür gerhäusern der Eisenstadt Steyr und gleichsam als sakraler Gegenpol zur Burg erhebt sich seit der Mitte des 15. Jahrhun derts die monumentale Steyrer Stadtpfarr kirche. Die Geschichte dieses Gotteshau ses,den Heiligen Ägidius und Koloman ge weiht, läßt sich mit einiger Sicherheit bis ge gen 1100 zurückverfolgen. 1192 bestätigt Herzog Leopold VI. die kirchlichen Rechte und Besitzungen des Abtes von Garsten und erwähnt in einer Urkunde eine Kapelle, die mit der Steyrer Kirche in Zusammen hang gebracht werden kann. Urkundlich si chergestellt wird sie erst 1275 bei einem Streit zwischen dem Abt von Seitenstetten und dem Pfarrer von Sindelburg. Ein Dekret Papst Honorius IV. gewährt 1287 einen Ab laß für die Kapelle der Kirche zu St. Gülgen und Koloman. Die Erhebung der Kirche zur Pfarre erfolgt gegen 1300 und der Historiograph und Ver fasser der ,,Annales Styrenses", Valentin Preuenhueber, berichtet, daß sich ,,anno 1305 die Ritter, der Richter, Rath und Ge meine zu Steyer, gegen Abt Ulrich zu Gar sten verschrieben, ihn und seine Nachfol ger,für ihren Obristen Pfarrer zu erkennen, und zu halten". Über das Aussehen dieser ersten Steyrer Stadtpfarrkirche ist uns nichts erhalten ge blieben. Die romanische Kirche fiel 1303 ei nem Großbrand zum Opfer, weicher auch die Burg erheblich beschädigte. Beim Wie deraufbau,jetzt wohl schon im Stil der Früh gotik, erweiterte man das Gotteshaus um eine ,,Emporkirche" und für das Jahr 1312 wird uns eine ,,Eiserne Kapelle" der Familie Teurwanger überliefert. Aber auch dieser Neubau konnte bald nicht mehr den Erfor dernissen der angewachsenen Gemeinde und den Wünschen der Zechen und Beneflzien gerecht werden. Die Gemeinde von Steyr beschloß, unterstützt durch den wirt schaftlichen Aufschwung der Eisenmetro pole, die Stadtpfarrkirche gänzlich neu zu errichten. Um 1440existierten bereitsgenaue Vorstel lungen für das Bauprojekt und der reiche Bürger Hanns Berausch legierte 100 Gul den ,,Zu Hülffe deß Chorbaues in der Phorkirchen". Zur Durchführung dieses großen Vorhabens - die spätgotische Pfarrkirche nimmt immerhin zwei Drittel der Grundflä che desWiener Stephansdomes ein-versi cherte man sich der Bauleitung des späte ren Dombaumeisters von Wien, Hanns Puchspaum, und errichtete eine Viertellade der Wiener Hütte. Aus dieser Zweignieder lassung entwickelte sich jene Steyrer Bau hütte, die mit ihren dynamisch-bewegten Leitformen bis ins 16. Jahrhundert hinein Rudolf Koch wesentlich an der Ausbildung der barocken Gotik Anteil hatte. Hanns Puchspaum ist schon in den dreißi ger Jahren des 15. Jahrhunderts in Steyr nachweisbar. Neben seiner Tätigkeit als Parlier am Wiener Dom unter Hans von Prachatltz schuf er auch den Dachreiter der Steyrer Margaretenkapelle bei der Stadt pfarrkirche, der uns in einer genauen Kopie von Friedrich von Schmidt erhalten ist. Für den Neubau des Chores am Steyrer Mün ster fertigte Puchspaum genaue Grundrisse und Visierungen, die als kostbare Originale an der Akademie der bildenden Künste In Wien verwahrt werden. 1443 wird, wie es bei Preuenhueber heißt, der ,,Anfang von diesen Gebäu gemacht". Der Stadtgeschichtsschreiber verbürgt uns auch die Autorschaft Puchspaums. Ver gleicht man die gotischen Pergamentpläne mit ihren subtil gezogenen Linien und den ausgeführten Bau, gewinnt man einen Ein druck von der straffen Organisation des spätmittelalteriichen Hüttenbetriebes. Die drei Grundrisse geben den heutigen Chor nahezu getreu wieder: Ein dreischiffiger Langchor erstreckt sich über drei Joche. Das etwas breitere Mitteischiff wird gegen über den Seitenschiffen um ein halbes Joch tiefer gestaffelt. Die Polygone der drei Apsi den schließen sich dadurch zu einem vielekklgen bewegten Ostabschluß zusammen. Über kräftigen Bündeipfeilern spanntsich im Mittelschiff ein engmaschiges Gewölbe netz, dem in den Seitenschiffen vierteilige Rautensterne mit Bogenquadraten entspre chen. Das Studium dieser Pläne läßt bereits den breitgelagerten kompakten Baublock mit seinem großen, alle Schiffe überspan nenden Dach erahnen. Auch für die Inneneinrichtung zeichnete Hanns Puchspaum Pläne, die in mehreren Variationen das filigrane Sakramentshäu schen und den dreiteiligen Sitzbaldachin im Chor zeigen. Das kunstvolle Sakraments häuschen kann sich mit den qualitätsvoll sten Werken spätgotischer Kleinarchitektur messen. Schon die frühesten kunstgeschichtlichen Würdigungen der Steyrer Stadtpfarrkirche weisen auf das große Vorbiid des Ste phansdomes in Wien hin. Puchspaum über nimmt für Steyr den Grundriß des soge nannten Albertinischen Chores von St. Ste phan. Dieser Chor wurde 1304 bis 1340 er richtet und gilt als anspruchsvolles Bau werk, das jene ehrgeizigen Bemühungen der Habsburger zum Ausdruck bringt, wel che aus der zu Passau zugehörigen Pfarr kirche von St. Stephan eine Bischofskirche machen sollen. In Steyr wandelt Puchspaum die Wiener Choriösung durch Verbreiterung und Ver kürzung des Mittelschiffes zu einer block haft geschlossenen Form ab. Diese künstle rische Lösung stellt einen historisierenden Rückgriff auf St. Stephan dar. Bedeutend ist auch,daß in der Nachfolge von St. Stephan lediglich Wallfahrtskirchen wie Maria Straß engel bei Graz oder Maria Neustift bei Pettau Dreiapsidenchöre aufweisen. Erst in Steyr wird diese Chorform auf eine Pfarrkir che übertragen und von hier ausgehend strahlt die von Hanns Puchspaum gewählte künstlerische Lösung auf weitere Pfarrkir chen aus, so ins benachbarte Niederöster reich nach Mank. Die Bedeutung, die der Steyrer Kirche zu gemessen werden kann, mag dadurch iilustriert werden, daß die Heilbronner Kilians kirche in Deutschland das Steyrer Münster zum Vorbild nahm und sogar das Sakra mentshäuschen in seinen Grundzügen ko pierte. Auch hier war ein Meister der Wiener Dombauhütte der Ausführende: Anton Pilgram. Nach dem Tode Hanns Puchspaums 1454/55 übernahm Mert Kranschach die Bauführung. Unter seiner Leitung schritt der Ausbau des Langhauses nurzögernd voran. Die wirtschaftlich so günstige Zeit vor der Jahrhundertmitte war zu Ende und zahlrei che politische Wirren brachten für einen Kir chenbau denkbar ungünstige Bedingungen. Streitigkeiten um die Herrschaft Steyr zwi schen Jörg von Stein und Kaiser Fried rich III. führten zur zeitweiligen Besetzung der Stadt und in der Nähe der Pfarrkirche wurde Herzog Albrecht von Sachsen In einer entscheidenden Schlacht durch Jörg von Stein geschlagen. Bald darauf setzten plün dernde ungarische Truppen der Umgebung von Steyr zu und schließlich trug eine emp findliche Geldentwertung wesentlich dazu bei, daß nur wenig an der Kirche gebaut werden konnte. Mert Kranschachs Meisterzeichen war die Rose und man nimmt daher an, daß er mit dem böhmischen Kunstkreis, der Hütte der Rosenberger, in Verbindung stand. Er er richtete den sechseckigen Nordturm und dürfte auch - den Plänen Puchspaums fol gend - den Chor gewölbt haben. 1479 war der Turm fast vollendet, da beschädigte ein Brand den Turm schwer und machte das Werk Kranschachs zunichte. Drei Jahre später wird in einem anonymen Anschlag am Rathaus Meister Mert beschuldigt, daß er dem ,,Gotts=Hauß hat abgenommen mehr Lohn, dann er Gesellen hat gehabt". Trotz dieses schweren Vergehens entließ man Kranschach aus dem Gefängnis und begnadigte ihn. Die letzte Nachricht über den untreuen Meister findet sich 1483 in ei-

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