Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 4, 1979

toren in die deutsche Literatur kritisch ein zuordnen gewagt. Enzinger durfte dies ver suchen, weil er nie unsachlich geurteilt hat. Seine Aussagen über Dichtung sind stets belegt, was bei Gegenwartsliteratur nicht immer leicht ist. Nun sei eine zweite ,,Kleinste Literaturge schichte Steyrs" dargeboten. Sie streift oder ergänzt, was Moriz Enzinger aufgezeichnet hat, nimmt sich vor allem neuer Namen an. Ein Literat hat sie geschrieben, kein Litera turforscher. Die Dichtung aus Steyr wird gleichsam von anderer Seite, wenn auch genauso aus fundiertem Wissen betrachtet, unmittelbar vom Schöpferischen her. Das muß ebenso zu ihrer Mitte führen. Auf diese Weise gewinnt die Stadt Steyr und ihre Um gebung,das Enns-,Steyr- und Kremstal,als Boden für Literatur an Bedeutung, wie er es von Anfang an in gleicher Weise für ausge zeichnetes elsenverarbeitendes Handwerk und Kunsthandwerk war. Dabei soll auch, weil in einigen Fällen wesentlich,der histori sche Zeithintergrund in seiner religiösen und sozialen Haltung herausgearbeitet werden. Dichter sind Immer von ihrer Zeit berührt, oft sogar gefangengenommen. Auch wenn sie in eine andere Epoche aus weichen, gestalten sie doch die Menschen ihrer Zeit. Mit dem Hof der Otakare auf der Styraburg, von der die Entwicklung der Stadt Steyr ausgegangen Ist, begann auch die Förde rung der Literatur. Diese Hofhaltung war prächtiger als die der Babenberger zu Klo sterneuburg und Wien. Heinrich von Ofterdingen, ein mythischer Name, hinter dem sich, wie es in unseren Tagen öfter ausgelegt wurde, der mittel hochdeutsche Lyriker Tannhauser oder Tannhuser(1205 bis 1270) verbergen soll, ist mit seinem von Victor von Scheffel ins Hochdeutsche übertragenen Ze Stiure, der bürge guot . . ." aus dem ,,Kunech Luarin" als Gast der Otakare auf der Styra burg bezeugt. Heinrich von Ofterdingen kann aber nicht Tannhuser gewesen sein, denn der letzte Otakar, der vierte, der den Titel eines Herzogs von Steiermark trug, starb schon 1192. Immerhin hat der Verfas ser des genannten Gedichtes die Styraburg und die Umgebung von Steyr, so den Weg nach Garsten,genau gekannt,sonst hätte er nichtdichten können;,,Fahrwohi,duftsüßer Lindengang / Zur Garstner Klosterpforte." Ein in Steyr geborener Dichter \stJohannes Stabius. In Schlettstadt(Elsaß) hatte er stu diert, wurde Professor für Mathematik (!)an der Wiener Universität und als Hofhistoriograph Kaiser Maximilians I. mit dem Aufbau einer großen Reichsgeschichte betraut. 1502 überreichte ihm Conrad Celtis, der Führer der ,,Wiener Gelehrten Donauge seilschaft", im Collegium poetarum, das Maximilian I. geschaffen hatte, den Dichter lorbeer. Stabius hat u. a. in einem Gedicht das Leben des heiligen Coloman, des Pa trons der Steyrer Pfarrkirche, verherrlicht. Auch als Astronom tat er sich hervor und be schäftigte sich, wie später Kepler, mit Astro logie, die damals als Wissenschaft galt. Beim Tod Maximilians, seines Gönners, in Wels war erzugegen,nichtaber der Leibarzt des Kaisers, der nicht auf die Reise gegan gen war, weil er durch das Horoskop des Stabius ja wußte, daß der Kaiser bald ster ben würde. Johannes Stabius selbst starb am 1. Jänner 1522 in Graz auf einer Reise nach Görz. 1562 dichtete der Meistersinger Lorenz Wessei, ein Kürschner aus Essen, ein Mei sterlied zu Ehren der Steyrer Meistersinger, die bis 1616 in der alten Eisenstadt nachge wiesen sind und 1562 schon eine Sing schule hatten. Der Meistergesang im deut schen Land hat nur äußerlich den Minne sang fortgesetzt, und wenn man ihn zur Dichtung rechnet, so nur wegen Hans Sachs, dem Schuhmacher und Poet dazu, der auf seiner Wanderreise in Wels und Schwaz zugekehrt ist, nicht aber in Steyr. Meister wurde er erst nach Rückkehr in seine Vaterstadt Nürnberg im Jahre 1517. Es gibt längst keinen Zweifel darüber, daß der Meistergesang mit dem Aufkommen der Lutherschen Lehre zusammenhängt. Schließlich war auch Hans Sachs dem Re formator von Wittenberg zugeneigt, wie aus seinem Gedicht ,,Die Wittenbergisch Nach tigall"(1523) hervorgeht. In Steyr setzte die Reformation mit den Predigten des Ennser Franziskaners Calixtus im Jahre 1525 ein. Von 1545 bis 1621 war dann der Protestan tismus die herrschende Konfession in Steyr. Die berühmte Messererzunft führte dem Steyrer Meistergesang die meisten Mitglie derzu,unterzwölf Meistern waren fünf Mes serer, zwei Schleifer, zwei Ahlenschmiede, ein Scherschmied, ein Kürschner, ein We ber. Die Verbindung mit Nürnberg war be sonders rege. Man übernahm in Steyr auch die Gepflogenheiten und Satzungen der Nürnberger Meistersinger. Von den zwölf Gründern ist der Ahlenschmied Severinus Kriegsauer zu nennen, der fünfzehn eigene Weisen erfand. Er gilt sogar als der berühm teste Meistersinger in Österreich. Aber auch Jeronimus Keller und Peter Heiberger, der zwei größere Liedersammlungen geschrie ben hat, sind zu erwähnen, weiters Wolf Brantner, der bei Adam Puschmann in Gör litz die meisterliche Dichtkunst erlernte und seinen Lehrer auch nach Steyr brachte. In seinem ,,Gründtlichen Bericht des deudschen Meistergesanges und der deudschen Versen oder Rittmis" hat Puschmann Steyr ,,eine Keyserliche und Fürsten Stetten, da die lobliche Meistersingerkunst gebet wird" genannt. Da ist auch Mathes Schneider zu rühmen, der beim Vater des Nürnberger Meistersingers Georg Hager als Schuh knechtanno 1562werkte.Georg Hager kam dann selbst nach Steyr, bevor er noch ,,Schuester und Burger im Schuestergässl in Nürnberg" war und dadurch erst Meister singer sein konnte. Ihm überreichten die Steyrer Meistersinger ein Verzeichnis der 272 Meistertöne, in denen Hans Sachs ge dichtet hat. Als letzter Steyrer Meistersinger sei Nicias Lindtwurm angeführt.Weherer kam,wissen wir nicht. Er war Bortenschlager, stellte sich 1599 beim Rat der Stadt vor, zeigte seinen Lehrbrief, worauf ihm das Bürgerrecht zuer kannt wurde. 1611 heiratete er und 1616 kaufte er das Haus des Tischlers Rennz in der oberen Zeile des oberen Viertels der Stadt, das ist die heutige Pfarrgasse. Sein Betrieb war klein, er arbeitete nur mit einem Gesellen. Als Meistersinger stand er im Lande ob der Enns in großem Ansehen. Hervorgetan hat er sich auch als Veranstal ter von Singschulen, das waren Kurse für Meistersinger zur Vervollkommnung ihrer Ausbildung. Nichtjeder Meistersinger durfte solche Singschulen abhalten, er brauchte dazu die Bewilligung des Rates der Stadt. Nicias Lindtwurm war auch an den dramati schen Spielen in Steyr beteiligt,so wie Hans Sachs in Nürnberg. Von Lindtwurm sind zwei eigene Töne oder Weisen bekannt, die ,,starke Lindtwurmweis" und die ,,rührende Rösselweis". Der Großteil seiner Dichtun gen ist In der Gegenreformation vernichtet worden. Unter Lindtwurms Führung zogen auch die Steyrer Kürschnergesellen wäh rend der Osterfelertage durch die Stadt und brachten, in Panzerhemden gekleidet und mit Schwertern agierend, christliche Ge sänge zu Gehör. Ebenso spielten sie Schwänke und Fastnachtsspiele von Hans Sachs. Im Mai 1627 verließ Nicias Lindtwurm im Zuge der protestantischen Exulanten Steyr. Er dürfte in Colmar im Elsaß eine neue Hei mat gefunden haben. Noch eine literarische Blüte hat diese Zeit in Steyr getrieben:dasprotestantische Schul theater. Dieses Theater ist etwas ganz an deres gewesen als die später aus dem österreichisch-tirolisch-bajuwarischen Spieltrieb geborenen Aufführungen von Laien, denen wiederum Laien die Bühnen stücke lieferten, so der Tiroler Holzknecht und Kohlenbrenner Georg Schmalz, der rund dreißig Stücke für das Kiefersfeldner

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