Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 3, 1979

anderen Unrat sammeln können. Weiß Gott, behinderte ihn der Trag tuchpack oder löste sich eines der langen Bänder und schlang sich um die Beine, er stand plötzlich mit beiden Füßen mitteninne, wo der Dost am tiefsten war; er hatte die Tragtücher weggeworfen und ließ sie sich vollsaufen. Der Bruder kam heran und gab ihm einen Titel, er nahm die Tücher aus dem Wasser und behielt sie bei sich. Der Kleine planschte aus der Pfütze, wischte sich am Gras Schuhe und Strümpfe rein und behauptete, nicht naßgeworden zu sein. Als die Brüder vor dem Laubberg standen, verschlug es ihnen die Rede. Konrad ging rundum, sein Hut war von der anderen Seite her nicht mehr zu sehen. ,,Bua", sagte er, ,,da müassen wir uns tum meln!" Sie breiteten die Tragtücher aus, säuberlich, daß die Eckbän der freilagen, die Arbeit konnte beginnen. Ein letzter Sonnenstreif lag auf dem Laube, aus dem einförmigen Braun stach da und dort noch eine hellere Farbe, kräftiger Erdgeruch wehte. Die Buben standen, hatten die Hände in den Taschen und schwiegen. Konrad ging noch einmal auf die Leitenseite des Laubbergs; als er nicht zurückkam, folgte ihm Michael. Konrad ging ein Stück den Hang hinauf, sah die Fülle unter sich, weich, schwellend und lockend. Da gab er nach! Ein paar Schritte, ein Sprung, ein schlanker Körper preschte durch die Luft, das Laub schäumte auf, wie von einem Riesenquirl erfaßt. Mi chael jauchzte, stand oben auf dem Hang und tat es dem Bruder nach. Sprung folgte auf Sprung, der Laubberg floß zusehends in die Breite, die einzelnen Blätter mochten meinen, der wilde Sturmgeselle sei wieder gekommen. Als die Sonne längst hinter der Katrin verschwunden war und es im Tale unten schon zu dämmern schien, kroch Konrad aus dem Laub heraus und schlug es sich von Hut und Rock. Er suchte auch den Bru der und machte ihn zurecht, dann flogen die Besen, den Berg wieder in die ursprüngliche Form zu kehren und die Tragtücher freizube kommen. Wie das Verbotene lockt, wollte Michael noch einmal springen, nur ein einziges Mal, und da der Bruder ihm strenge wehr te, verlangte er doch hineinzuwaten, hineinzusteigen mit einem Fuß, wenn es gar nicht anders ginge. Zur Schuld trat das Verhängnis: im Begriffe, den Berg nur zu berühren und die Geduld des Bruders zu erproben, kam Michael zu fallen, stürzte weich und seinem Wunsche gemäß, aber, heidi, flog der Große auf ihn zu, packte den Sünder bei Halskragen und Hosenbund und schlenkerte ihn durch den Laub haufen, daß er neuerlich in die Breite floß. Erst, als vom Weg herauf Wagenklappern hörbar wurde, stellte er den Schreienden wieder auf die Beine, drückte ihm einen Besen in die Hand und gab ihm einen letzten Puff. Der Vater kam, brachte den Ochsen mit und den Wagen. Er sah, daß drei Tragtücher gebunden waren, daß die Buben zu einem vierten griffen, die übrigen noch unberührt lagen. Er hatte ein gutes Gefühl für Arbeit und die notwendige Zeit hierzu, fragte deshalb, ob die Brü der rechtzeitig fortgegangen und dann nicht allzulang auf dem Weg gewesen wären. Die erste Frage beantwortete Konrad ohne Beden ken: sogleich nach dem Essen hätten sie dazugeschaut; dann warf er sich über das neu gefüllte Tragtuch, die leichte, aber immer wieder auseinanderquellende Bürde zusammenzudrücken und die Bänder zu fassen. Der Blick des Vaters fiel auf Michael, der im Augenblick un tätig stand, der erschrak wohl, fand aber schließlich doch, sie hätten nicht übermäßig lang für den Weg gebraucht. Hätte der Vater noch fragen können, woher seine Schuhe und gar die grünen Wadenstut zen schmutzig seien, wo hinein er gefallen sei auf dem geraden Weg vom Hof zur Leiten, hätte wohl noch anderes für eine Frage gereicht. Er ging jedoch in weitem Bogen um den Berg herum, raschelte mit den Füßen und vermeinte nur, es müsse viel Laub gefallen sein, seit die Brüder an der Arbeit wären, und er hätte nicht gewußt, daß noch welches auf den Bäumen gewesen sei. Die Buben drückten die Köpfe zwischen die Schultern, ihre Besen gingen, und das Laub rauschte. Der Vater legte dem Ochsen die Decke über den Rücken und griff selber zu. Er stellte sich hinein in den Berg, wo er am mächtigsten war, und die breite Brust, die kräfti gen Arme und Beine schoben in einem Ruck voran, wozu es endlosen Gefahres der Besen bedurft hätte. Er stopfte die Tücher voU, daß sie rund und fest waren und die Bänder sich spannten, er hob die Binkel auf Schultern und Nacken und trug sie zum Wagen. Die Buben muß ten zusammenkehren, was liegenblieb bei der Arbeit und geblieben war vom Spiele, sie mußten die Wiese so rein fegen, daß der Schuh des Vaters nicht ein raschelndes Blättchen mehr traf. Als die Binkel auf dem Wagen lagen und die Fuhre sich bauschte von ihrer Fülle, war es im Dorfe unten schon dunkel geworden. Das weiße Band der Straße war noch zu sehen und der finstere Graben des Sulz bachs, nicht mehr das Auf und Ab der Wiesen und kleinen Gärten. Aus den Fenstern der Häuser fiel das warme Lampenlicht, mochten es die Knappenhäuser auf der Schattseite sein oder das Sagmüller haus am Bach oder die Anwesen des inneren Dorfes. Schwarz stiegen auf allen Seiten die Wälder an und grenzten mit klarem Saume gegen den lichteren Himmel. Fern und grau stand die Katrin, der Abend stern flammte darüber. Ob die Kranewittbuben nach aU dem sahen? Im inneren Dorfe, ein wenig erhöht, lagen drei Fenster nebeneinander, kleinwinzig zwar, hell aber und freundlich. Das eine, gegen Stall und Tenne hin, ge hörte zur Küche, wo die Mutter am Herde stand, die Milch kochte und das Brot in die Schüssel schnitt, die zwei anderen waren die Stu benfenster, hinter denen der große Eßtisch stand, die Eckbank und der grüne Ofen. Vor den drei leuchtenden Flecken, mag sein, erlosch der andere Lampenschein, das Zwielicht des Himmels, die Sterne gar. ,,Hüa", sagte der Bauer und trieb den Ochsen an. Der Wagen schwankte über die Wiese, die Buben gingen hinterdrein. Michael stupfte Konrad und zeigte auf den Kopf, sollte heißen, daß er den Hut nicht mehr habe, mit dem er vom Hause fortgegangen war. Der Bru der warf die Achseln, zerrte nach einer Weile aber den Kleinen auf seine Seite hinüber und wies auf den Vater. Ein Stück Filz, umwun den von einem Bande, lugte aus dessen Rocktasche hervor. Konrad möge darum bitten, meinte Michael; schroff abgewiesen, nahm er seine Sache selber in die Hand. „Hab meinen Huat verloren", sagte er, als er den Vater erreicht hatte. Der Wagen rumpelte, die Laubbinkel rauschten, der Bauer machte große Schritte und tat nicht, als hätte er die Anrede vernommen. „Meinen Huat hab ich verloren", sagte Michael und sah dem Vater von unten her ins Antlitz. Der ging stumm und steif wie ein Stock dahin, sah auf den Weg vor sich und hatte nichts gehört. ,,Bitt schön um meinen Huat!" bat Michael. Da verstand er plötzlich und griff in den Sack. Freilich, als er dem Sohne eine Belehrung geben wollte, des Sinnes, daß Laubhüpfen teuer käme, wenn immer ein Hut verlorenginge dabei, hatte Michael bereits den Schritt verlangsamt und war neben Konrad. Er stupfte ihn und wies auf den Hut, sollte heißen, da sei er wieder. Niemand sprach fernerhin ein Wort. Der Vater und die Buben muß ten auf den Weg achten, der Ochse schritt langsam und gleichmäßig dahin und zog die letzte Ernte des Jahres heim. Sie kam erst nach dem Grünfutter, dem Heu, dem Grummet, den paar Erdäpfeln und dem kümmerlichen Obst, dem gelegentlichen Gartengrünzeug auch, war aber doch notwendig, daß die große Ernte des Jahres fließen konnte, der Strom der Milch. Zur selben Abendstunde brachte noch ein anderer seine letzte Ernte heim. Es war kein Fest des rauschenden Jubels, der starken Hände und ratternden Wagen, es war das stille und ein wenig wehmütige Bescheiden eines milden Herzens. Ein einsamer Bergknappe hatte teil daran, der Bruder des Kranewittbauern, insgemein Kraner genannt, und ein zehnjähriges, vaterloses Dirnlein. Neuauflage 1. Quartal 1980, Buchgemeinschaft ,,Donauland"

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