Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 3, 1979

Von sterbendem Herbst und letzter Ernte (Aus dem Roman „Die Kranewittbrüder") In einer späten Oktoberwoche starb der Herbst im Tale von Ischl. Der Föhn, der tagelang geweht und Himmel und Wolke, Baum und Blatt in Farbe und Glanz trunken gemacht hatte, setzte plötzlich aus. Der Himmel wurde darob fahl und grau, die goldenen Ränder der Wolken erblaßten, und als im weiten Rund der Wälder die hunderttausend Baumfackeln erloschen, wurde es dunkel. In der Nacht kam der Westwind. Er klapperte mit den Ziegeln der Dächer und riß an den Schindeln, pfiff um die Mauerecken und stieß an die Türen. Er trug den Regen mit sich und warf ihn in peitschenden Schauern an die Fensterscheiben, daß sie troffen. Da sprangen die Menschen aus den Betten und griffen um die Läden, sie zu schließen. Dies nützte der Sturm, Er fuhr ihnen über die nackten Arme an den Hals, wühlte sich ins Haar und stürzte für Augenblicke in die Geborgenheit der Räume. Die Vorhänge flogen, ein Blatt flatterte vom Tische, dann war es still. Die Menschen huschten wieder in ihre Betten, drückten den Kopf in die Kissen und sagten; ,,Wie gut sich's schlafen läßt bei solchem Wet ter!" Drei Tage wütete der Weststurm. Am Morgen zum vierten aber riß die Wolkendecke auf, und siehe, die Berge trauerten dem toten Herbste nicht nach, mochte er ihnen gleich vor seinem Ende noch in aller Güte begegnet sein. Die Zimnitz hatte einen Hermelinpelz um den Hals ge legt, die Katrin trug ein blühweißes Lachhäubchen, und jenseits der Traun die große Schwester, die Hohe Schrott, prangte gar in bräutli chem Schleier. Da hätte es geschehen können, daß ein Betrachter auf der Markt brücke von Ischl, soferne er Zeit hatte und besinnlicher Natur war, daß er den Kopf schüttelte über die Vergeßbarkeit irdischer Wohlta ten und im Kreise umblickte, ob es überall so leichtfertig gehalten würde. Er hätte sich auch nach Südosten gewandt und sehen müs sen, daß die Radhöhe glitzernden Schmuck trug und die weiße Brust ohne Scham dem Sonnenlichte bot. Vor diesem Anblick wäre dem Betrachter das Denken im Sinnbildlichen vergangen, und er hätte an Ferneck gedacht, das Rauhe Dorf, dem der Winter schon beinahe auf die Dächer stieg. Er hätte vielleicht, wenn er nicht nur besinnlicher Natur, sondern auch schweigenden Mundes und bereiten Ohres war, dem Schicksal des Kranewittbauern nachgegrübelt, der auch einmal auf der Marktbrücke gestanden und hinter den Wäldern Perneck ge sucht hatte. Nacht war gewesen damals und kein Fenster erleuchtet, er hatte doch den Schein zu sehen vermeint: mochte es ein letzter Herdfunke gewesen sein, ein Lichtlein vor einem Bild, ein bekümmer tes, waches Auge, nicht mehr, es hatte sie auch nur das Heimweh se hen können. Der Bauer war heimgegangen und hatte den Bruder ver flucht, so grauenhaft in alle Gründe, daß die Mutter den Rosenkranz um die zitternden Finger gewunden und laut zu beten begonnen hat te. Doch stiU! Viel früher hat sich alles zugetragen und soll viel später erst erzählt werden. Es mag die Geschichte der Gegenwart folgen und an dem Tage beginnen, da die Wolkendecke aufriß und ersicht lich war, daß die Berge dem Winter eigen geworden waren. Der Sturm hatte auch nach Perneck hineingegriffen. Er hatte sich durch den Strub gezwängt, die Schlucht, die der Sulzbach bildet, und war den schattseitigen Fichten an Stamm und Nadel gefahren, daß sie bebten und sich beugten. Manch dürres Ästlein war abgebrochen und zu Boden gefallen, aber es war doch in allem ein Hungertanz ohne Freude und Überfluß gewesen. Auf der Sonnseite jedoch, wo der Kranewitthof und sein Laubwald standen, war es ein praller Hoch zeitstanz geworden. Da hatte der stürmische Gesell die Blättlein von den Zweigen gezerrt und herumgewirbelt, zuerst die leichtfertigen und dann die beständigeren, hatte sie fortgeworfen und wieder auf gerissen, wie es ihm gerade nach dem Sinne stand, und es war drei Tage eine Lust ohnegleichen gewesen. Als am Morgen zum vierten Tag aber das Fest vorüber war, der Wind ermattet schlief und die Tanzleichlein auf dem Boden lagen, war dem Kranewittbauer aus der großen Lust der Elemente seine kleine irdi sche Freude und der notwendige Nutzen geworden. Die Steinleiten hinauf, die jenseits seiner Wiesen anstieg, lag schuhdick das braune Laub und gab die Winterstreu für den Stall. Der Bauer zog am frühen Morgen mit Besen und Rechen aus, die Bäuerin folgte ihm, und bis nahe an Mittag war der obere Teil des Hanges blankgekehrt, daß man die schwarze Erde und die erfrorenen Grünblättchen sehen konnte. Nach kurzer Mittagpause ging die Arbeit weiter, ohne Rast und Wort, und gegen vier Uhr nachmittags bauschte sich das Laub zu einem Berg, daß der Bauer und noch viel mehr die Bäuerin bis zur Leibes mitte darinnenstanden und Rechen und Besen für die Fülle nicht mehr langen wollten. Aber um diese Zeit war auch der untere Teil der Leiten schon abgekehrt und der Wiesenrand erreicht, wo das Laub in der Sonne lag und trocknen konnte, bevor es in die Hütte kam. Die Bäuerin ging vorerst weg. Die Buben würden aus der Schule kommen und hungrig sein, sie hatten über Mittag nichts gehabt als Brot und Äpfel, der Weg von Ischl nach Perneck war zu weit für die kurze Mittagpause. Der Bauer verließ die Leiten später, suchte nicht wie die Frau die Küche auf, sondern sah sich in der Hütte um. Sie war leer geworden, nur eine dünne Lage vorjährigen Laubes bedeckte noch den Boden. Schwartlinge der Seitenwand waren am unteren Ende vermodert und abgebröckelt, der Bauer stieß sie mit dem Fuß hinaus. Äls er in die Stube trat, saßen die zwei Buben am Tisch und holten aus vollen Schüsseln nach, was sie den Tag über versäumt hat ten. Michael, der Zehnjährige, hatte die Backen prall und war voU der Eile, Konrad, vier Jahre älter, aß langsam und bedächtig, er war schmäler im Gesichte, und sein Blick haftete nicht an den Speisen. Wenn sie satt wären, verlangte der Vater, sollten sie auf der Leiten das Laub zusammenbinkeln; bis er vom SagmüUer zmück und mit dem Ochsen hinaufkomme, könnten sie fertig sein; Konrad wisse die Tragtücher, die Besen seien noch oben. Der Schmarren in den Schüsseln der Buben war gelb wie der lötige Dotter, das Fett war abgeronnen, stand dicklich und glänzend auf dem Boden. Ein Keil schwarzen Brotes lag bereit. Hausschmalz war daraufgestrichen und grobes Salz darübergestreut. Dann kamen die Äpfel, verwachsen zwar und nicht groß, aber fest im Fleische und rechtschaffen süß und sauer. Es war eine Herrlichkeit! Der Bauer mußte deshalb, ehe er wegging, noch einmal fragen, ob die Buben verstanden hätten. Sie erhoben sich sogleich, und der Größere verlangte von Michael, nun möge er die Tragtücher holen, daß sie gehen könnten. Es ent stand ein Äufenthalt, insoferne der Kleine der Meinimg war, nach dem Willen des Vaters käme Konrad der Dienst zu, und dies in gehö riger Entfernung ausdrückte. Konrad schien erstaunt und nicht un freundlich, aber während er zufragte, ließ er unter dem bloßen Hemd sichtbar die Ärmmuskeln spielen, und, nicht zu überhören, hatten auch seine teilnehmenden, wißbegierigen Worte ihren eigenen Klang. Da er zudem Michael nähertrat, hielt dieser den Wunsch des Größeren für das gegebene Recht und lief denn in den Stall. Die Mut ter saß am Melkstuhl und hielt den Müchkübel zwischen den Knien, sie sagte über die Schulter hin, in der letzten Krippe lägen die Tücher, dort möge er sie nehmen. Sie mußte die Arbeit lassen und aufstehen, weil ihre Auskunft falsch gewesen war, als sie aber selber am Platze stand, hatte der Kleine nur schlecht zugesehen. Er verwunderte sich darüber und versprach, das nächstemal es anders zu machen, aber hierfür hatte die Mutter nur ein Lächeln. Die Buben nahmen den Weg durch den Graben, der mit beträchtli cher Sohle und Tiefe von der Steinleiten herunter durch die Wiesen lief. Er mochte in früheren Jahren einen ansehnlichen Bach gefaßt ha ben, nun rann eine kleine, harmlose Ader in ihm zu Tal. Konrad schnitt sich eine Gerte von den begleitenden Haseln, sie war pfeilge rade und biegsam. Er ließ sie durch die Luft streichen, daß es schwirr te, dann spitzte er das dicke Ende zu und warf sie wie einen Spieß. Michael sprang über das Wässerlein hinweg von einem Ufer zum an deren, er suchte sich die Plätze aus, wo die Neigung des Bodens ge ring war, das Wässerlein sich also hatte ausbreiten und Schlamm und

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2