Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 3, 1979

durch den Übergang von Selbsttätigkeit zur unpersönlichen Betriebsamkeit gekenn zeichnet. Im Zeitalter der Automation wird die Erwachsenenbildung daher zunehmend mit der Aufgabe konfrontiert, Menschen in ihrer leib-seelischen Ganzheit anzuspre chen und Möglichkeiten der Persönlich keitsentfaltung aufzuzeigen. Nur so kann das Leben in seinen sinnerfüllten Zusam menhängen erkannt werden. Bildung ist schließlich, wie Max Scheler formuliert hat, keine Kategorie des Wissens, sondern des Lebens. Immer wieder erweist die Praxis, daß der personalen Dimension in der Er wachsenenbildung Vorrang gebührt. Unter diesem Gesichtspunkt trägt nach Paul Len grand, dem französischen Andragogen, al les, was das Individuum bildet, zur Persönlichkeitsfindung bei, und um die geht es letztlich. Eine Kursteilnehmerin erklärte mir auf die Frage, was Anlaß sein könnte, sich zweckfrei weiterzubilden: ,,lch möchte da bei lernen, mich selber besser zu kennen, um endlich ich selber zu werden." Wenn von der personalen Dimension unse res Bildungskonzeptes die Rede ist, so kann diese keineswegs auf Lebens-, Erziehungs und Bildungsfragen, auf Jugend-, Ehe-, Familien- oder Altersprobleme beschränkt bleiben. An Themen dieser Art bieten un sere Bildungseinrichtungen in Stadt- und Landgemeinden eine reiche Auswahl. Es geht vornehmlich darum, Menschen aus der Zweckhaftigkeit ihrer Arbeitswelt herauszu führen und sie geistig Atem holen zu lassen, damit sie für tiefere Einsichten in den Le benssinn geöffnet werden. Schon durch die spontane Zuwendung an Dinge, die man selbst schafft oder an deren Gestaltung man teilhat, erweitert sich, ebenso wie durch das Gespräch über ein Buch, die Dimension des Eigenlebens. Dazu ein Zitat von Andre Gide: ,,lch habe jenes Buch gelesen . . .Nachdem Ich es gelesen habe, habe ich es zurückge stellt. Aber in diesem Buch war ein Wort, das ich nicht vergessen kann. Es ist tief in mich herabgesunken, daß ich es nicht mehr von mir selbst unterscheiden kann. Von jetzt an bin ich nicht mehr so wie ich es wäre, wenn ich es nicht gekannt hätte. Ob ich das Buch vergesse, in dem ich diese Worte gelesen habe -ob ich mich auch nur ganz unvoll ständig an dieses Wort erinnere . . . ganz gleich, ich kann nicht mehr der werden, der ich früher war." Die kulturelle Dimension der Erwachsenen bildung erfordert ein vielseitiges Engage ment. Es sind kulturpolitische Alternativen zu bedenken, wie etwa der gesellschaftliche Strukturwandel im ländlichen Raum. Vielen bietet der ländliche Raum zwar noch Wohn-, jedoch nicht mehr Arbeitsplatz. Noch Peter Rosegger forderte von der ländlichen Volksschule: ,,Nicht die Bauernkinder so viel lehren, daß sie in der Welt fortkommen, sondern so viel, daß sie daheim bleiben!" Hat man nicht auch noch vor einem knappen Vierteljahrhundert die Landflucht beklagt? Kulturpolitische Verantwortung hat Gerhart Hauptmann überzeugend definiert: ,,Kultur ist da, wo man den Menschen wichtig nimmt". Kultur ist nicht etwas Abstraktes, sie sollte Element unseres Alltags sein. Der gesell schaftliche Strukturwandel stellt, wie Niko laus Sombart im ,,Forum Europa" kürzlich äußerte, alle herkömmlichen Vorstellungen von Kultur in Frage, zumal weite Bereiche unseres Lebens bereits von einer ökono misch orientierten Kultur-Industrie be herrscht werden. Nach den im Europarat entwickelten Vorstellungen soll Kulturpolitik ,,das gesamte Leben umfassen, den Ei genwert jedes einzelnen gelten lassen". Paul Sombart möchte die kulturellen, sozia len und wirtschaftlichen Bedürfnisse, so wie unsere qualitativen und quantitativen An sprüche miteinander in Einklang gebracht sehen. Es sollte sich schon auf Gemeindee bene die Sozialisierung der Kultur oder auch die Kultivierung der Gesellschaft vollziehen, um damit ,, von der Demokratie der Kultur zur kulturellen Demokratie" fortzuschreiten. In diese Richtung zielen die Initiativen und Aktivitäten des Oö. Volksbildungswerkes mit Dichterlesungen und Autorendiskussio nen, Veranstaltung von Konzerten und Theatervorstellungen, Kulturfahrten, Kun stausstellungen, Musik- und Kunsterziehungs- sowie Literaturkursen, Bildungs und Volkskulturseminaren, mit Impulsen und Modellen zurOrtsblldpflege, Restaurie rung von Kleinkunstdenkmalen usw. Alljähr lich in zahlreichen oberösterreichischen Gemeinden anberaumte Kulturwochen bil den Schwerpunkte in der Arbeit unserer ört lichen Bildungsstätten und Kulturgemein schaften. Im Zuge der Vorbereitung und Programmie rung von Kulturwochen hat sich eine sehr in tensive Zusammenarbeit des Landes instituts für Volksbildung und Heimatpflege mit den Bürgermeistern und Gemeindekul turreferenten entwickelt. Die musische Bildung erfährt seit jeher eine systematische Pflege im Oö. Volksbil dungswerk. Die zunehmende Versachli chung unseres Lebens erfordert das Freile gen verschütteter emotionaler Kräfte und Mobilisieren schöpferischer Begabungen, die im Zeitalter der Konsumideologie ebenso zu verkümmern drohen, wie die Fä higkeit, sich an den kleinen Dingen zu er freuen, gelöste Heiterkeit zu empfinden und ,,herzlich" lachen zu können. ,,Kann man denn nicht auch lachend sehr ernsthaft sein?" Was Lessing seine Minna von Barn helm aussprechen läßt, muß auch für die Erwachsenenbildung gelten. Die soziale Dimension zeitgenössischer Envachsenenbildung ist auf eine Neuord nung des Verhältnisses zwischen menschli cher Person und der Gesellschaft abge stimmt. Es soll einerseits das Streben nach Individualität und Qualifizierung geweckt und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung gefördert, andererseits aber Sorge getragen werden, daß die gesell schaftliche Entwicklung in eine neue, diffe renziertere, persönlich freundlichere und damit humanere Sozialstruktur führe. Es ist der Weg der kleinen Schritte, die dabei zu gehen sind, will Bildung als ein Prozeß in Gang gesetzt werden, der in evolutionärem Sinn gesellschaftsverändernd wirken soll. Basisbezogene und bedarfsorientierte Ak tionen in Zielrichtung auf Gemeinwesen entwicklung und sozio-kulturelle Animation sind erforderlich. Eigene Arbeitsformen praktiziert das Oö. Volksbildungswerk zur Förderung der Gemeinwesenentwicklung, vor allem in Dorf- und Marktgemeinden. Als Beispiele seien genannt: Die Ortsbegehung mit Gemeinde-Mandata ren und Fachexperten (z. B. Denkmalpfle ger, Baumeister, Gärtner, Straßenmeister usw.) mit dem an der örtsbildpflege interes sierten Personenkreis. Das Gemeindeparlament im Rahmen einer Kulturwoche ist eine weitere Arbeitsform, zumal es Impulse zur politischen Bildung vermitteln kann. Als nachhaltend haben sich die Veranstaltungsreihen für Entlaß-Schüler ,,Du und die Gemeinschaft" erwiesen. Diese werden erlebnisbezogen gestaltet, sollen die Abgänger der polytechnischen Lehrgänge über wichtige öffentliche Ein richtungen informieren und gleichzeitig von der Schule zur Erwachsenenbildung über leiten. Als Beispiele dazu einige Themen dieser Veranstaltungsreihen: 1. Du und Deine Heimatgemeinde / Zu nächst Kurzinformation über Aufgaben der Gemeinde, anschließend Fragestunde im Gemeinderat und Besuch der öffentlichen Bücherei. 2. Du und das Recht / Informationen durch einen Jugendrichter mit abschließender Fragestunde. 3. Du und das Geld / Besuch der Spar kasse und leicht faßliche Informationen über Spar- und Kreditwesen.

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