Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 3, 1979

Freizeitzentren in der oberösterreichischen Volksbildung Katharina Dobler Vor elf Jahren fand Im Stift Reichersberg ein Internationales Fotoseminar statt, zu dem Teilnehmer aus Holland, Belgien, Frank reich, Ungarn, der Bundesrepublik Deutsch land und Österreich gekommen waren. Das Thema lautete ,,Dokumentation des soziokuitureilen Strukturwandels'" und sollte alle Amateurfotografen auf die ständige rasche Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Menschen, ihre Arbeit, ihr Leben und Hau sen aufmerksam machen. Das Seminar wurde mit einer Fotoschau erfolgreich ab geschlossen und brachte vielen einen kriti schen Bück für die Vorteile und die Fragwür digkeit dieser Entwicklung und die Erkennt nis der Notwendigkeit der bildhaften Auf zeichnung, soll nicht das Gewesene spurlos untergehen. Die interessantesten Beobach tungen aber konnte die Seminarieitung ma chen: die Belgier und Holländer verhielten sich auffällig anders; sie verschwanden in jeder noch so kurzen Pause aus der Runde. Befragt darüber, beteuerten sie, sie müßten jede Minute nützen, um die Schönheit der Sommerwiese einzufangen, die aus Holland längst verschwunden und in Österreich auch nur mehr an den ungedüngten Stra ßenrändern in ihrer blühenden Vielfalt anzu treffen sei, sie müßten aber auch die Groß artigkeit des Stiftshofes, der eine Insel des Friedens sei, in allen Details dokumentie ren. In seiner iichtdurchfluteten Weite fühle man sich zugleich geborgen und befreit, so daß man richtig ausspannen könne. Sie wollten sich die Atmosphäre wenigstens in Bildern mit heim nehmen, um die Zuhause gebliebenen noch besser an dem Erlebnis dieser Begegnung teilhaben lassen zu kön nen. Der Pädagogische Referent der BAG nie derbayrischer Voiksbildungswerke und Volkshochschulen Franz öbermaier, Rent meister Roman Foissner, Chorherr des Stif tes, und die Verfasserin überdachten diese ,,Bekenntnisse" und erkannten, daß die Sehnsucht dieser wenigen Menschen nach dem Erleben einer Gemeinschaft, in der sich Personen mit gleichen Neigungen begeg nen, um sich in ihren Interessen zu bestär ken, sich weiterzubilden und ihre Gedanken auszutauschen, symptomatisch für Unzäh lige sei und fragten sich, eine große Aufgabe der Erwachsenenbildung darin erkennend, wie dem Mangel abzuhelfen sei, und wie die Menschen der traditionsreichen, von Kultur und Kunst geprägten Atmosphäre teilhaftig werden könnten, die nur alten Klöstern und Schlössern innewohnt, deren Großzügig keit, Beschaulichkeit und Stille jeden zwingt, seine Hast und Unbefriedigtheit abzustrei fen und für einige Tage einzutauchen In eine brüderliche Gemeinschaft, in der alles seine Berechtigung und seinen Sinn hat - die Religion, die Kunst, der Mensch, die Na tur, der Wald, die Blume und der einfache Stein auf dem Wege. Paul Keller versucht etwas Ähnliches, wenn er in seinem Buch ,,Ferien vom Ich" die an Zeit und Gesellschaft erkrankten Menschen In eine einfache naturnahe Lebensgemein schaft eintreten läßt, an deren Tor sie Rang, Name und Kleidung zurücklassen, um als Gleiche unter Gleichen noch einmal anfan gen zu können. Die niederländischen Fotoamateure und dieser Roman standen Pate für die Bil dungszentren des öberösterreichischen Volksbildungswerkes, die in weiteren Ge sprächen ihre Form erhielten. Dazu kam noch die auf internationalen Kon gressen immer dringender erhobene Forde rung an die Erwachsenenbildung, den Men schen bei der anscheinend immer schwieri ger werdenden sinnvollen Verwendung der Freizeit behilflich zu sein. Seit der zuneh menden Technisierung und Normierung der Arbeitsvorgänge wird der Mensch immer mehr zum Knecht der Maschine und zum unbedankten Ausführer mechanischer Handgriffe, wobei er oft das Erzeugnis sei ner Arbeit weder ideell noch emotionell be einflussen kann, weil es bis zur Fertigstel lung nur genormte und programmierte Sta dien zu durchlaufen hat. Dieses einfach nur ,,Funktionieren" und das Ausgeschlossen sein von jeder schöpferischen Tätigkeit nimmt ihm die Möglichkeit, die Fülle seiner Fähigkeiten, Anlagen und Kräfte zu nützen. Will er nicht durch diese entfremdete Ar beitsweise und eine kommerzialisierte Frei zeit am Ende seiner Tage sagen müssen, ,,er habe ganze Gebiete seines Herzens, seines Körpers und seines Geistes brach liegen lassen", dann muß er trachten, sie in seiner dienstfreien Zeit zu üben und zu ent falten. Nun ist aber der Mensch seit vielen Jahrtausenden immer für die Arbeit erzogen worden und nie für die Freizeit. Diese wurde höchstens als Nebenprodukt der Arbelt und nicht als ein Grundfaktor des menschlichen Lebens betrachtet. Vor wenigen Jahren noch hielt die ländliche Bevölkerung einen Spaziergang, das Lesen oder sonst eine musisch-künstlerische Betätigung um ihrer selbst willen für Müßiggang. Vor einigen Jahrzehnten betrug noch die tägliche Ar beitszeit 16 Stunden, die restliche Zeit war fast zu kurz für die Ördnung persönlicher Dinge und den nötigen Schlaf. Hingegen erwuchs dem arbeitenden Menschen da mals noch aus der Arbeit Anerkennung und Selbstbestätigung. Heute kennt der Großteil der Arbeiter diese ,,Belohnung" nur mehr vom Hörensagen, denn bei der Arbelt am Förderband kommt keine Beziehung zum Werk mehr zustande. Durch die Forderun gen der Gewerkschaften wurde eine Ar beitszeitverkürzung erreicht. Durch die Ar beitsplatzsicherung kommt es zu neuerli chen Verkürzungen, zur Verlängerung des Urlaubes und früherer Pensionierung. Aber leider wissen viele mit diesem Segen nichts Rechtes anzufangen. Sie packen die Sache verkehrt an. In völliger Mißdeutung der Ab sicht nehmen sie eine Zweitbeschäftigung oder Gelegenheitsarbeiten an, und in einem höheren Lebensstandard ihr Statussymbol sehend, treiben sie Raubbau an Leib und Seele. Andere verlassen sich auf die Ange bote der Freizeit-Industrie und werden von geschickten Managern mit Idolen, Moden und Trends gejagt, ins Vergnügen oder in den Konsum getrieben, so daß die Gehetz ten nicht zu sich selbst kommen können, öder sie lassen sich generalüberholen wie eine Maschine, ohne sich auf eine humane Welt umzustellen. Und schließlich gibt es Menschen, die den Sinn ihres Lebens nicht mehr recht erkennen und - wenn die Tret mühle der Arbeit aufhört - mit sich und ihrer Umwelt nichts anzufangen wissen, die krank werden vom Zeit-Totschlagen, wie es Pen sionisten oft geht, wenn sie es übersehen haben, sich rechtzeitig einen neuen Le bensinhalt, z. B. ein Hobby, zuzulegen, oder wie es Junge nicht selten machen, die Lan geweile mit Rauschgift bekämpfen oder in Aggressionen ausarten. Und dabei könnte jeder in der Freizeit seine schönsten Tage haben und die Ernte seines Lebens einbrin gen! ,,Wieviel Zeit steht dem Menschen nun wirk lich zur freien Verfügung und was könnte das öö. Volksbildungswerk anbieten, was zieiführend wäre und angenommen werden könnte", waren die Fragen, die die Zentrale der Erwachsenenbildung schon lange be schäftigten. Dazu kamen noch Wünsche der Mitarbeiter und der Bevölkerung, so z. B. kamen auf das Drängen des Herrn Konsulenten Jo hann Muckenhumer, dem Leiter des Ar beitskreises ,,Freunde der Volkskunst", Kurse für die richtige Pflege der Volkskul turgüter zustande; allerdings erst nach eini gem Zögern und ernsthaftem Überlegen - die Verpflichtung zur Lebenshilfe und die Gefahr, zum Dilettantismus zu erziehen, standen gegeneinander - fiel die Entschei dung für diese Kurse, denn nicht nur Lehren, sondern Helfen ist die Pflicht der Erwach senenbildung, wo es um so gravierende Be reiche geht, wie die Gestaltung einer men schenwürdigen Umwelt und die Mehrung der Lebensqualität in Haus und Familie.

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