Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 2, 1979

fen mußte, bis er Sektionschef in einem Ministerium in Wien werden konnte. Zweifellos: für den Dichter Hans von Hammerstein war es ein G lück, daß er nach Kirchdorf kam. Der Jäger und Waldgänger konnte sich da ausleben, und wer sein Porträt kennt, das Franz Xaver Weidinger gemalt hat, der hat vor dem Bild verspürt, wie Hammerstein diese Kremstaigegend gutgetan hat. In seiner Kirchdorfer Zeit hat er als Dichter ganz zu sich gefunden und auch seine bedeutendsten Tex te, um ein heutiges Wort zu gebrauchen, geschrieben, so auch die erste Fassung der Erzählung „Wald", die er fünfzehn Jahre später, 1937, zu einem Roman ausgebaut hat. Diese erste Fassung ist sei nem Freund Ernst von Seelig gewidmet, wie er Konzeptsbeamter an der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf, und Lyriker. Hans von Hammerstein hat sich mit diesem Buch vieles vom Herzen geschrie ben, so die Erinnerung an Sitzenthai. in der Widmung an Seelig heißt es: ,,Lieber Freund! Dein ist das Verdienst - wenn es als solches emp funden werden sollte-, daß diese Frucht unfreiwilliger Mußestunden des Kriegsjahres 1916 nun doch den Weg zur Öffentlichkeit findet. Wolhyniens Wälder, Sümpfe und Heiden, kreuz und quer, Tag und Nacht durchritten, erinnerten mich an jene heimische Landschaft, die nicht meine Heimat ist, deren riesige Wäiderzüge aber aus Abendfernen in meine Kinderträume blauten, deren düstere, träu merische Schönheiten später die Szenerie manch eines unvergeßli chen Jagderiebnisses bildeten. Mit vielen unfreiwilligen Unterbre chungen-wie oft mußte die Handschrift schnell in den Packtaschen verstaut werden, wie hastig manchmal der Dichter vom Pegasus herunter und aufs Streitroß hinauf - in allerlei Quartieren wie Bau ernhütten, Holzkirchen, Scheuern, Zeiten und Unterständen, kam das kleine Werk, eine Gestaltung der Sehnsucht nach Heimat und Frieden, schließlich zu Ende. Einigen Freunden mitgeteilt und von ihnen gelobt, vom Schöpfer selbst als Ganzes mißbilligt, lag es dann unter Entwürfen, Bruchstücken und Vorwürfen begraben, bis es auf Dein stetiges Drängen neulich eines Abends wieder hervorgeholt wurde. Mit Verwunderung und nicht ohne Vergnügen las ich es wie der, fand es mit geringen Änderungen fähig, ans Licht zu treten, und übergebe es hiermit meinen Lesern, denen ich inzwischen sehr an ders Geartetes aufgetischt habe. Dir sei es gewidmet und dem niederösterreichischen Waldviertei, der Heimat Robert Hameriings, dem artgleichen Grenzgebiet der Heimat Adalbert Stifters, dem rauhen Hochland, dessen dunkle Schönheit auch Deine Kindertage umdämmert hat. Schließlich sei, um jedem Zweifei vorzubeugen, an dieser Stelle ge sagt, daß es nicht meine Geschichte ist, die hier erzählt wird. Wahr ist daran die Landschaft in allen Einzelheiten, und streng historisch gezeichnet von der stinkenden Feder auf dem Hut bis zur berühmten Hungerschuie für dressurbedürftige Jagdhunde ist der alte Förster Tauchen. Kirchdorf a. d. Kr., Weihnachten 1922." Hans von Hammerstein war damals also 41 Jahre alt. Er stand vor seiner Ernennung zum Bezirkshauptmann von Braunau. Die neue Zeit war nicht spurlos an ihm vorübergegangen, dazu war er ein zu aufmerksamer Beobachter der Szene rundum und weithin, ein kriti scher Kopf, wie seine späteren seibstbiographischen Arbeiten be zeugen, so auch die eine, noch unveröffentlichte, „Von allerhand falschen Propheten", in der er seinen Kirchdorfer Kreis teils sehr kri tisch, teils humorvoll der Nachwelt überliefert. (Eine zweite über sei nen Braunauer Kreis legt sich noch kritischer und ironischer an; auch sie harrt noch der Veröffentlichung.) Geblieben war er in dieser seiner Entwicklungszeit zum reifen Dichter, der er auch in seiner Prosa immer war, ein passionierter Jäger. Die eine Szene aus dem ,,Wald" beweist es, er hätte sie nicht belassen, wenn sie im Jahr der Veröffentlichung nicht mehr seiner Ansicht standgehalten hätte; ' denn er war auch streng gegen sich selbst, soweit es den Dichter be traf. Da heißt es: ,,ich hatte Unglück an diesem Balzmorgen, einen Hahn vertreten, einen gefehlt. Der alte Tauchen versuchte mich mit der philosophischen Bemer kung zu trösten, daß beim Schießen daneben halt viel mehr Platz sei. Mißmutig kam ich aus dem Waid und freute mich kaum des herr lichen Morgens, der frisch wie ein Kindergemüt und voller Lerchentriiier über dem geliebten Hochland hing. Noch hoffte ich, einen der vielen Birkhähne zu überlisten, die den halben Vormittag lang über Heide und Feldern herumbaizen, so daß ihr dumpfes Kullern die ganze Gegend füllt. Aber das sind,die schlauesten aller Vögel. Du brauchst nur den Ge danken fassen, einen anzupürschen, so verstummt er schon, kriegt einen langen Hais und flattert dahin. Die Kibitze ärgerten mich, die wippend auf den Mooshügeln in den Pfützen saßen und, wenn ich vorbei kam, mich mit ihren blitzenden Flügeln schwankend umflat terten und kicherten, als wollten sie mich auslachen. So, das Gewehr überm Rücken schlenkernd, die Hände verdrossen in die Tasche gebohrt, kam ich, nachdem ich Tauchen an der Wegkreuzug verabschiedet hatte, zur Waldmühle, die, ein stattliches Gebäude, seitab der Straße in einer an drei Seiten vom hohen Forst umdunkeiten Wiesensenke am Bach liegt, wie in einer stillen Bucht. Das Gewässer, das sie treibt, ist der Abfluß eines südlich und etliche Klafter höher im Wald gelegenen Weihers. Die Morgensonne lag voll auf dem sauberen Hause mit dem hohen Schindeldach, dessen Schornstein behaglichen Rauch in die klare Luft kräuselte. Der blit zende Überfaii des Wehres dampfte, und fleißiges Pochen drang aus dem Werk, während im langen, hölzernen Hinterbau mit der Brettersäge die Arbeit noch nicht begonnen hatte. Der östliche Teil der Mulde lag dunkel und kühl unter den schrägen Strahlenbunden der Sonne. Die langen Schatten der Fichtenwipfei schoben sich über den bereiften Rasen fast bis an das blanke Haus hin. Ich bog von der Straße ab, um auf einem hinter der Mühle am Waid saum führenden Pfade an den Weiher zu gelangen, dessen Ufer schöne Plätze hat, die gut sind zum Rasten und Träumen. Um die Mühle war niemand zu sehen, nur ein Volk Hühner pickte und scharrte zwischen den Haufen der aufgeschichteten Langhölzer, und der Hahn saß stolz krähend auf einem abgerollten Stamm. Ais ich die hölzerne Brücke betrat, die oberhalb des Wehres über das Gerinne zur anderen Seite der Mulde hinüberführt, sah ich übers Geländer gebeugt ein Mädchen stehen, eine schlanke, fast noch kindliche Gestalt, besser als bauernmäßig gekleidet, aber weder Strümpfe noch Schuhe an den Füßen, die blank unter dem kurzen Röckchen hervorsahen. Zwei schwere, dunkelglänzende Zöpfe hin gen ihr über die gekreuzten Schürzenbänder herab. Als sich mich kommen hörte, wandte sie sich um und bückte, nun mit dem Rücken, die schmalen Arme ausgestreckt, an der Brüstung lehnend, mir ru hig forschend entgegen. Die Überraschung hemmte mir unwillkür lich den Schritt, so schön war sie. Ein Gesicht schmal und blaß wie Elfenbein und ein paar Augen so groß und so voller dunkler Tiefe, daß mir war, als sähe der ganze Wald mich an. Die Nase gerade und überaus zart gezeichnet, die Lippen vom kühlen, samtigen Biaßrot der Himbeeren, in der Mitte voll und in feine Winkel ein wenig breit verlaufend. Ich fühlte, daß mir die Röte ins Gesicht stieg, und schritt, die Blicke senkend, ohne Gruß und eilig vorüber, so schwer es mir wurde. Am

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