Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 1, 1979

Das große Einsundeins Das Hirtenlied Aus: Das poetische Zeitalter, Sinn-Novellen mit Zeichnungen von Alfred Kubin, 1948 1-1-1 = 2 1U-I-1U = 2U U ist gleich Unglück Mathematik hat immer recht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die bei Menschen vorkommen können. Als der Briefträger die Karte gebracht hatte, wurde ich wieder daran erinnert: Hinkemann und Hatscheluja. Auf der Karte stand: A und B grüßen als Vermählte. 1-1-1 = 1 1U1-1U=keinU Bei Menschen ist alles möglich. Sogar: 1U-HU=2G G ist gleich Glück A und B grüßen als Vermählte. Das hat sich damals im Krankenhaus angebahnt. Zuerst war mir nur A aufgefallen. Ein armer Teufel, dem das rechte Auge fehlte - weiß Gott, seit wann -, und der nach einem Verkehrs unfall beinahe das rechte Bein verloren hätte. Die Ärzte hatten es ret ten können, aber es war kraftlos und nahezu unbeweglich geblieben. Es diente nicht mehr der Fortbewegung, sondern behinderte sie. Den einäugigen Schädel schief geneigt, schlich er elend und mühsam durchs Dasein. Ich kannte ihn nicht, obwohl ich ihn oft beobachtet hatte. In meinen Gedanken nannte ich ihn Hinkemann. Eines Tages erblickte ich ihn mit einer Patientin aus der Augen-Klinik. Man hatte ihr das linke Auge entfernen müssen. Sie hatte schwer ein gewilligt, hatte gejammert. Aber es gab vernünftigerweise keine Wahl. Sie war untröstlich, als sie nur noch ein Auge besaß. Sie wollte nicht mehr. Man mußte auf sie aufpassen. Zumal sie außerdem an einer alten Hüftgelenksache litt. Ihr linkes Bein war stark atrophiert und versagte. Ein geplagtes Wesen. Bis ich sie zum ersten Male mit Hinkemann sah. Irn Park. Um seinetwillen taufte ich sie Hatscheluja. Obwohl ich ihren Namen wußte. Hinkemann und Hatscheluja waren das füreinander bestimmte Paar wie Phüemon und Baukis oder Daphnis und Chloe. Miteinander waren sie vollkommen. Fest ineinander eingehängt spazierten sie im Park. Sie hatten rechts und links ein gesundes Auge, rechts und links ein kräftiges Bein. Die mühsame Mitte schleiften sie mit. A und B grüßen als Vermählte. Nun gehen sie miteinander durchs Leben. Vollkommen glücklich. Die mühsame Mitte hat sie aneinander geschlossen. Hinkemann und Hatscheuluja. 1 + 1 = 1 Halleluja! Es war einmal ein Hirtenknabe, der besaß eine Schalmei aus Lärchen holz und vermochte seelenvoll darauf zu blasen, Lieder wie du sie kennst und ich, aber auch Melodien, die es eigentlich gar nicht gab, weil sie aus dem Atem des Jungen erstmals hervorquollen, neu und frisch, und aus seinem unschuldigen Herzen perlten wie der reine Quell aus dem Innern unserer guten Erde. Dieser Hirtenbub mußte seines Dorfes Schafe hüten, hoch oben auf steiniger Alm, wo die Grasnarbe schon spärlich wächst und bräunlich mager ist, daß sich nur noch die bescheidenen Wolltiere daran genü gen. Dort saß er, wenn die Sonne brannte, auf einem der Felsbrocken, die, groß wie Heustadel, über die Alm verstreut waren, als habe ein Riese mit ihnen gespielt und am Ende nicht ordentlich aufgeräumt. Die Schafe suchten sich ihre Nahrung, und das Rupfen ihrer Mäuler gab einen friedlichen Laut. Die Schneehäupter der Berge ringsum sta chen wie Zacken einer gewaltigen Krone ins himmlische Blau. Die niederen Hänge trugen dunkle Wälder gleich Mänteln von Samt, und tief unten im Tal ruhten winzige Hütten auf grünendem Grund. Aus den Kaminen stiegen bläuliche Rauchfäden auf, und das Kirchendach blinkte in der Sonne wie Spiegelglas. Das war das Dorf. Und wenn mittags die Glocke ein schwaches Geläut bis zur Alm aufwehen ließ, nahm der Knabe aus seiner Hirtentasche Brot und aß davon, genüg sam und mit nämlichem Gleichmut wie seine Tiere. Der Hirt war allein auf der Alm. Manchmal kreiste ein Adler majestä tisch über ihm, oder ein Stein, vom flüchtigen Fuß einer Gemse ge löst, rollte polternd in felsige Schlucht. Selten krachte eines Jägers Schuß zwischen den steilen Wänden; und wenn die Berge darüber ausgemurrt hatten, breitete sich wieder Wolkenstille über die Welt. Spürte der Knabe, daß er einsam war und sich die Verlassenheit wie ein Schatten auf sein Gemüt legen wollte, so nahm er die Schalmei und belebte sie mit seinem Hauch. Da war er nicht mehr allein. Mußte er an seine Mutter denken, die nach seiner Geburt gestorben war, oder an seinen Vater, den niemand kannte, dann entfuhr der Lärchenschalmei ein wehmütiges Lied; hatte er aber dem Summen emsiger Bienen und Käfer gelauscht, waren seine Blicke dem Gaukel spiel der bunten Falter gefolgt, so tanzten unter seinen hüpfenden Fingern die übermütigsten Triller hervor. Und jedesmal wenn er spielte, traurige Lieder oder freudig bewegte, hoben die Schafe ihre Köpfe, rückten gemächlich näher zu ihm und lauschten, unterm Fres sen, der weichen Musik. So vergingen die Tage vom Frühling bis zum Herbst. Abends trieb der Hirt seine Herde zur Sennhütte in ein Gatter und legte sich für die Nacht ins Heu, nachdem er von der Sennerin Müch und Sterz emp fangen und mit Andacht verzehrt hatte. Am frühen Morgen kletterte er mit seinen Tieren wieder zur Schafalm hinauf. Einmal aber, mitten im Sommer, ereignete sich eine Überraschung. Vom Dorf herauf kam eine Gesellschaft Männer gestiegen, die wollte über den Paß in das Nachbartal. Es waren graue, verwitterte Kerle und junge, windige Burschen, die mit ihren Instrumenten von Ort zu Ort zogen, um bei Kindstauf wie Leichenschmaus, Hochzeit und Kirmestanz fest aufzuspielen und mitfeiern zu helfen, denn auf das Feiern verstanden sie sich alle miteinander gar trefflich; selbst wenn die Feste nicht gutwillig fallen wollten, so durfte man, ihrer Meinung nach, den Baum des Alltags jederzeit ordentlich schütteln, bis er gab, was nach dem papiernen Kalender noch nicht ausgereift war. Als diese Männer auf der Schafalm erschienen, blies der Hirtenbub gerade seine Schalmei, und das süße Heimweih troff wie in gold braunen Tropfen schwer aus dem Holz. Doch da er die Gesellschaft gewahrte, brach sein Lied ab. Wie glitzerte das gelbe Messing der In strumente in der hellen Sonne! Trompeten, Posaune, Kornett und die gewaltige Tuba! Der Bub riß Augen und Mund auf. Die Männer hiel ten an, schoben ihre abgegriffenen Filzhüte ins Genick und wischten sich mit den Ärmeln über die heißen, schweißglänzenden Schädel.

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