Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 1, 1979

Bücherecke Eine interessante Neuerscheinung aus Bay ern Der Süddeutsche Verlag in München hat mit der Herausgabe von Band 1 seiner „Bayerischen Bibiiothek" die Verwirkiichung eines Veriagsprojektes begonnen, das für die gesamte deutsch sprachige Literatur- und Kulturgeschichte von höchstem Interesse ist. in fünf Bänden soii eine Anthologie der bayerischen Literatur aus 12 Jahrhunderten - vom 8. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts - dargeboten werden: eine im ponierende Planung. Wissenschaftliche Heraus geber sind die Universitätslehrer Hans Pörnbacher und Benno Hubensteiner. Benno Huben steiner, Ordinarius für bayerische Kirchenge schichte an der Universität München, ist uns Österreichern bestens bekannt; er wird auch den Festvortrag zum heurigen Innviertei-Gedenkjahr halten. Hans Pörnbacher, Ordinarius für Deut sche Sprache und Literatur an der Universität Nijmwegen in den Niederlanden, ist für uns ein neuer Name. Nachdem ihm auch die Herausgabe einer,,Geschichte der Literatur in Bayern" anver traut worden ist, werden wir uns gerne diesen Namen merken. Bayern wird in diesem Werk als Kulturlandschaft in den Grenzen verstanden, die historisch ge wachsen sind, nämlich Altbayern und Neubayern mit Franken und dem bayerischen Schwaben. Osterreichische Landesteile sind aufgenommen, solange sie staatspoiitisch zu Bayern gehörten, also die Ostmark bis zur Verselbständigung als eigenes mittelalterliches Territorium (Herzog tum), das innviertel bis zu seiner endgültigen Loslösung von Bayern 1816 und das geistliche Fürstentum Salzburg. Der Begriff bayerische Literatur ist weit gespannt und man spürt die Auffassung von Kulturhistori kern, für die Dichtung nicht eine losgelöste Kunstgattung darstellt, sondern Bestandteil der Gesamtkuitur eines Landes ist. Somit umfaßt die Auswahl neben den Zeugnissen hoher Dichtung ebenso Gebrauchsiiteratur bis zu Urkunden, Briefen und Kochrezepten. Das Programm sieht vor: Band 1: Mittelalter und Humanismus Band 2: Die Literatur des Barock Band 3: Das Zeitalter der Aufklärung Band 4: Von der Romantik bis zum Naturalismus Band 5: Die Literatur im 20. Jahrhundert. Der soeben erschienene Band 1, den Hans Pörn bacher bearbeitet hat, umfaßt den wohl ausge dehntesten Zeitraum dieser Anthologie vom 8. Jahrhundert - erster Text der Abrogans - bis ins 16. Jahrhundert - letzter Text ein Schreibvers des Nürnberger Dramatikers Jakob Ayrer (1544-1605), der köstlich lautet: ,,Dis het ein end, / des frowt sich hercz und hend." Dem Her ausgeber dürfte dieser Vers wie ein Stoßseufzer erschienen sein, als er die 1120 Druckseiten sei nes Buches fertig vor sich sah. Der inhaltliche Reichtum dieses Buches kann nicht beschrieben werden. Es ist ein großartiges Lesebuch, bei dessen Durchblättern das ganze bayerische Früh-, Hoch- und Spätmitteiaiter vor unserem geistigen Auge lebendig wird. Wir kön nen Einsicht nehmen in das Wessobrunner Ge bet, in den Prolog und ein Kapitel des Volksrech tes der Bayern, der Lex Baiuvariorum, in das Hiidebrandsiied. Ais Österreicher können wir end lich in ausgezeichneter Textwiedergabe die Verse des Kürnbergers und von Dietmar von Eist auf uns wirken lassen, ebenso natürlich gut aus gewählte Lieder Walthers von der Vogelweide. Uns begegnen Wernher der Gartenaere mit sei nem ,,Helmbrecht" und der oft boshafte Neidhart von Reuentai. Nach den ,,Oarmina Burana" lesen wir mit Interesse die Gründungsurkunde Herzog Tassilos für Innichen oder den liebevollen und besorgten Brief Herzog Emsts von Bayern an seine Tochter Herzogin Elisabeth von Jülich und Berg. Lehrdichtung, Fachprosa und Reisebe richte scheinen auf, selbstverständlich auch das Heldenlied und die Ritterepik des 13. Jahrhun derts mit Auszügen aus dem Nibelungenlied, der Kudrun und aus Wolfram von Eschenbachs Parzival als zentralem Literaturblock dieser Epoche. Völliges Neuland wird dem Leser mit den Litera turbeispielen aus dem 15. und 16. Jahrhundert erschlossen. Chroniken, Meistergesang, Schrift tum des Humanismus vermittein eine lebendige Vorstellung von Alltag und Festtag, vom Denken dieser Zeit. Wer hatte z. B. schon einmal Gele genheit, Aibrecht Dürer als Briefschreiber und Li terat kennenzulernen? Diese inhaltlichen Hinweise sind nur Andeutun gen. Es liegt vor uns ein Buch, das unsere ganze Aufmerksamkeit und Neigung verdient. Es kann durch die vorzügliche Textgestaltung und gut les bare Übertragung lateinischer Texte in die deut sche Sprache der Gegenwart auch von Laien mit Genuß gelesen werden. Band 1 dieser groß an gelegten Anthologie macht auf die Foigebände neugierig. Wir erwarten sie mit Vorfreude. Bayerische Bibliothek. Texte aus 12 Jahrhun derten. Band 1: Mittelalter und Humanismus. Ausgewählt und eingeleitet von Hans Pörnba cher. - München: Süddeutscher Verlag 1978, XXXIV, 1120 Seiten, Leinen, Ladenpreis DM 148.-, S 1169.-. Endlich ein Fachbuch über den gotischen Flügelaltar Mit berechtigtem Stolz kann der Verlag Friedrich Pustet in der Ankündigung seines Veriagswerkes ,,Der Schnitzaitar" von Herbert Schindler darauf hinweisen, daß ,,dieses Werk die erste umfas sende Darstellung des Schnitzaltares - dieser großartigen Sonderieistung der deutsch-spätgo tischen Kunst-von seinen Anfängen um 1400 bis zu seinem Auskiingen um 1530" ist. Diese Tatsache ist an sich verwunderlich, denn der spätgoti sche Fiügelaltar stellt ein Hauptphänomen der abendländischen Kunst dar. Er ist Ausdruck einer tiefen Gläubigkeit und einer in Qualität, wie auch in Quantität überragenden Kunstbiüte. Allein für Oberösterreich können wir für diesen Zeitraum die Aufstellung von rund 1500 Flügelal tären annehmen. Dieser Werkreichtum setzt eine Fülle von Werkstätten, aber auch ein intensives, breit in der Bevölkerung verankertes Kunstwoiien voraus. Die Wertung und Betrachtung dieser Kunstdenkmaie hat viel Einzeluntersuchungen und Bildbände hervorgebracht, es fehlte bisher jedoch, wie der Verfasser in seinem Vorwort rich tig vermerkt, ,,Literatur, die einen Überblick ver mittelt". Entstehungsort war Passau, wo Robert Schindler -er ist in Oberösterreich als Freund und Forscher gut bekannt-eine Vorlesungsreihe an der Hoch schule hielt und von dem Regensburger Verleger Dr. Friedrich Pustet zu diesem Buchprojekt er muntert wurde. Das Ergebnis liegt nun vor, eine Zusammenschau der,,Meisterwerke und Meister in Süddeutschiand, Österreich und Südtirol", die sich auf den ,,Schnitzaltar", ,,Flügelaltar" oder ,,Flügelretabel" beziehen. Nach einer methodisch einprägsamen Darstel lung des Schnitzaitares als ,,Gesamtkunstwerk" mit Erläuterung der Begriffe, der Grundformen und des kuiturgeschichtiichen Hintergrundes von ,,Stiftung und Gemeinschaftsieistung" wird die Stiientwickiung mit ,,Weichem Stil" (um 1400), ,,Festem Stil" (um 1430 bis 1465/70),,,Strengem Stil" (Frühklassik, um 1465/70 bis um 1490), ,,Hochkiassik" (um 1490 bis 1515/20) und ,,Spätkiassik" (Expressiver Stil, um 1515/20 bis um 1530) aufgezeigt. Sehr instruktiv ist die Dar stellung des,, Verhältnisses von Skulptur und Ma lerei", wie auch die Einbeziehung des Isenheimer Altares in den süddeutschen Betrachtungsraum. Nach einer Beschreibung der romantischen und wissenschaftlichen ,,Versuche zur Wiederher stellung der verlorenen Gesamtheit" - hier wäre die Forschungsarbeit von Franz Winzinger in sei ner Gesamtausgabe der Gemälde Albrecht Altdorfers, erschienen 1975, die schon bei der Donauschui-Aussteiiung in St. Florian im Jahre 1965 anschaulich zu betrachten war, zu erwarten gewesen - folgt eine ,,Einzeibetrachtung" der 16 Hauptwerke im süddeutschen Raum, wozu vom Autor der Pacher-Aitar in St. Woifgang, der Kefermarkter Altar und der Altar in Mauer bei Melk gezählt werden, wodurch Osterreich re präsentativ in diesem Buch vertreten ist. Sehr verdienstvoll ist die Zusammenfassung der vielen kleineren Altäre in dem umfangreichen Kapitel ,,Werkstattbetrachtungen". Dem Verfasser ist dankbar zuzustimmen, daß , .diese Werke oft den Reiz des Besonderen und Charakteristischen, den der Kunstfreund mit Entdeckerfreude nach empfinden mag", an sich haben. Oberösterreich ist mit allen wesentlichen Werken vertreten, lei der sind einige geographische Flüchtigkeiten an zumerken, die bei einer Neuauflage vermieden werden sollten. So gehört Haiistatt niemals der ,,Seeniandschaft des Ausseer Landes" an (wenn ein Haiistätter in das benachbarte Aussee fährt, sagt er eindeutig, daß er in die Steiermark fahre, und umgekehrt sprechen heute noch die Ausseer von einer Fahrt ,,lns Österreich", wenn sie den Pötschenpaß überschreiten). St. Woifgang und Haiistatt liegen auch nicht in Salzburg, sondern in Oberösterreich. Daß der große Fiügeiaitar von Gampern dem Lienhart Asti aberkannt wird, mag angehen, doch ist eine Verbindung nach Braunau kaum verstellbar. Vorzüglich sind die Beschrei bungen der Altäre in Oberrauhenödt, Waidburg und Pasenbach. Dem Haiistätter Altar hätte mehr Beachtung eingeräumt werden sollen, umsomehr als er gut erforscht ist. Von diesen Kleinigkeiten abgesehen, ein ver dienstvolles Fachbuch, das lesbar geschrieben ist! Wie sehr der Autor neue Denkweisen verfolgt, beweisen u. a. die Kapitel über,,Werkstattbetrieb und Zunftwesen" sowie ,,Soziale Verhältnisse

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