Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 1, 1979

sehen Wald. Die alten Kirchenrechnungen zählen Posten um Posten her für geistliche Spiele und Prozessionen, für Weihnachts krippen und ,,Heilige Gräber", für ,,Maibü sche" und Johanneswein. Die Dankgaben aber, die man zu den Wallfahrten brachte, zeigten, wie man noch einmal,,wunderbare Hilf erlangt hatte": gemalte Tafeln, getrie bene Siibervotive, die vielen großen, reich gezierten Kerzen. Säkularisation und Tradition Natürlich hat das Rokoko etwas mit dem großen europäischen Vorgang der Aufklä rung zu tun. Der Aufklärung, die gerade in Bayern von den alten Klöstern getragen wurde und ihre gemäßigte, sozusagen ,,ka tholische" Spielart hatte. Noch waren die Glaubenskraft und die Frömmigkeit des Ba rockjahrhunderts nicht vertan, aber das Pa thos, der Ernst, die Schwere, die iösten sich und in die dunklen Schatten fiel die erste ra tionale Helle. Die bayerische Rokoko-Kir che als ein Aufleuchten auf der Schneide, genau vor dem Absturz! Schon 1796 überrannten die französischen Revolutionstruppen ganz Süddeutschland; seit 1799 regierte der alimächtige Minister Montgelas, der den modernen Staat aus formte und dem neuen Königreich seine schwäbischen und fränkischen Provinzen erwarb; 1803 kam die große Säkularisation, die nicht nur die Klöster wegfegte, sondern auch den ganzen alten Kirchenbarock aus löschen wollte. Aber das Volk hielt zäh am Hergebrachten fest, rettete ein Stück Ba rock, seine Feste, Bräuche, Gottesdienste, Prozessionen und Aufzüge, hinein ins windstiiie Jahrhundert der bayerischen Könige. Zwar noch Ludwig I. war ein halber Roman tiker und ein halber Klassizist, aber bereits Ludwig II., der unvergessene, baute mit seiW .(i. 1 ^ 1, ..m. £ i.ii. fiJll nem Linderhof eines der schönsten Schlös ser des ,,Zweiten Rokoko". Unter der Rege ntschaft des Prinzen Luitpold dann, 1886-1912, mit dem Wirken von Architekten wie Gabriel Seidi oder Friedrich Thiersch, wurde ein großzügiger, malerisch empfun dener Neubarock ohnedies zum Stil des ganzen Landes. Ein Neubarock, der auf seine Weise Einschläge des Münchener ,,Jugendstiles" in sich aufnahm. Noch lebt Barockes Gewiß, 1918 mußte das Haus Wittelsbach die Krone niederlegen; nach 1933 wollte Hit ler den bayerischen Staat überhaupt in ,,Reichsgaue" auflösen; 1945 stürzte auch unser Land in die deutsche Katastrophe. Der Wiederaufbau dann, mit zwei Millionen Kriegsflüchtlingen und Heimatvertriebenen auf der Straße, bedeutete das bewußte Zu schreiten auf die moderne Welt. Bayern, das auch ein Industriestaat sein wollte, nicht bloß die pittoreske Aipenrepublik der Bau ern, Handwerker und kleinen Gewerbetrei benden! Im kirchlichen Bereich aber kam das Zweite Vatikanische Konzil zum Tragen wie einst das von Trient, löste die alte latei nische Liturgie ab durch die Landessprache, machte viel Irrationales einsichtiger, aber auch karger. Trotzdem, noch liegt das barocke Tempe rament in der Luft, und wer offenen Auges übers Land fährt, spürt immer wieder die ur alten Unterströme: heimliches Romanentum, baiwarische Bauernkraft, das Wesen eines Stammes, der von allen Deutschen für das Kultische am empfänglichsten ist. Die Schotten, die Bayern, die Georgier, die Montenegriner, die Basken - irgendwie sind isie einander ähnlich. Sie alle haben ein f Selbstbewußtsein, das sich auf Selbstge nügen gründet und deswegen nicht leicht aus der Welt zu schaffen ist. Bezeichnenderweise wurde das Innviertel-Ge denkjahr mit der schon erwähnten Krippenaus stellung im Stift Reichersberg, Eröffnung am 11. November 1978, eingeleitet. Starker Besuch bewies den lebendigen Geist der Tradition. Im Bild das köstliche ,,Prager Jesulein" aus der Pestkapelle In Weng - ein typisches Beispiel für barocke Volksfrömmigkeit. Foto: Fr. Gangl

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