Die Reise ,,Nun, wie haben Sie geschlafen?" fragte meine neue Zimmerwirtin in der Frühe. „Haben Sie geträumt? Sie wissen doch; Was man die er ste Nacht in einem fremden Bett träumt, geht in Erfüllung!" „Danke! Ich habe nichts geträumt." - Ich flüchtete mich ins Bad und war mir dabei bewußt, daß meine Zurückhaltung unerwünscht sei. Aber wieso kam ich dazu, meine Träume zu beichten? Miete zahlte ich in landesüblicher Währung. Ich war keine Träume schuldig. Noch dazu solche! Eigentlich wollte ich gar nicht verreisen. Keineswegs. Ich mußte! Lei der habe ich vergessen, warum. Es ist recht fragwürdig, ob übereilte Reisen dieser Art zu einem guten Ziele führen. Du lieber Himmel, wer denkt an das Ziel? Jetzt, wo ich noch nicht einmal im Zug sitze, der von der Reiseleitung für mich bestimmt worden ist; jetzt, wo ich eben erst den Bahnhof betreten habe. Ich möchte nur wissen, welches In teresse sie daran haben, mich auf die Wanderschaff zu schicken. Da bei weiß ich nicht einmal, wer sie sind, diese anderen. Vielleicht ist es nur einer. Ich kenne mich nicht aus. Und Grübelei führt zu nichts. Ich gehöre einfach zu den kleinen Leuten, über die verfügt wird. Deshalb muß ich verreisen, das ist es! Der Bahnhof ist altmodisch und finster. Ruß, Schmutz und Nacht schweiß haben die Mauern mit einer Schicht überzogen, die das Ganze zusammenklebt und offenbar vor dem Zerbröckeln bewahrt. Dunkel ist der Gang und endlos. Die Luft ist laüich, fad, staubig und riecht nach kaltem Rauch. Wahrscheinlich ist es der alte Nordbahnhof in Wien oder der Hauptbahnhof in München. Es kann freilich auch ir gendwo sein. Ein Bahnhof für Maulwürfe vielleicht. Seltsam, diese uralten Stationsgebäude . . ., man wird sie eines Tages bombardie ren und aufbrechen wie Gefängnisse. Ich weiß es bereits, obwohl es noch nicht so weit ist. Ich ahne es gewissermaßen von früher schon, daß es später dazu kommen wird. Der schreckliche Gang ist unmerklich auf den Bahnsteig gemündet. Auch hier ist das Licht grau und gleichsam vermodert. Es wimmelt um mich herum von Schattengestalten, Reisenden und Bahnperso nal. Plötzlich habe ich einen Menschen zur Seite, der sich bemüht, als Dienstmann und wohlmeinender Helfer zu erscheinen, obwohl ich längst fühle, daß er viel eher eine Art Polizist darstellt, der meine Ab fahrt überwacht und ihre Durchführung fördert wie ein Zeuge die Exekution. „Das ist ihr Zug!" sagt er und weist mich in einen schwarzen Wagen. Wenn ich nur wüßte, wohin die Reise geht . Ich möchte doch lie ber auf der Wiese bleiben vor dem Bahnhof oder dort, wo ich früher war. Wo war das eigentlich? Nicht ein Schimmer von Erinnerrmg erleuch tet mich. Hell und rein muß es gewesen sein, ganz anders als dieser Bahnhof, den ich sonst wohl kaum so schaudernd vor Ekel betreten hätte. Umkehren! Vielleicht wäre jetzt noch Gelegenheit dazu. Der Dienstmann muß mein inneres Zögern gespürt haben. Er packt mich plötzlich wie einen Koffer, steigt mit mir in den Wagen hinein und legt mich sorgfältig in das Gepäcknetz. ,,Angenehme Reise!" spricht er und zieht seine Mütze mit einem Tierkreiszeichen aus Mes sing über der Kokarde. Ich werfe ihm Geld hinein, das er mit geübter Hand verschwinden läßt. Freundlicher gestimmt bemerkt er: „Beach ten Sie stets, daß es IHR Zug ist!" Und auf einmal ist er verschwun den. — - m
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