Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 1, 1979

leuchte. Vielleicht schlummert dort unten ein kostbarer, strahlender Schatz?" ,,Ja, Meinrad. Ein getreues Herz." Nun war das Licht mit einem Male heilig geworden. Und die beiden Menschen gaben sich ihm in sanfter Verzauberung feierlich hin, bis es verschummerte und erlosch. Gleich nach der Rückkehr hatte CoesUn in Bregenz die Übersiedlung nach Lindau betrieben, so daß sie bereits am nächsten Tag wieder ihr altes, durch das Morgenerlebnis vertraut gewordenes Zimmer be wohnten. Sie waren gewissermaßen jetzt erst am Ziel ihrer Reise und richteten sich umso erleichteter für die Dauer nun ein. Sämtliche Kof fer wurden entleert. Kästen und Schränke füllten sich mit Kleidern und Wäsche. Die Post ward umgeleitet. Und als Coeslin aus einer Gärtnerei zwei blühende Stöcke - ein blaues Primel und ein wachs glattes, weißes Alpenveilchen - besorgte, erhielt die neue Wohnstatt einen Hauch von persönlicher Wesensart, die das Wohlbefinden der Bewohner auf das angenehmste steigerte. Als alles nach Möglichkeit bereitet war, wurden die Nachmittags stunden der Ruhe gewidmet. Coeslin hatte, wie es seiner guten Frie densgewohnheit entsprach, einige Bücher mit auf die Reise genom men. Nun lag er im Bett und las in der alten Hirtengeschichte von Daphnis und Chloe, die ihm lieb war, wie die Wonne einer geträum ten arkadischen Erde unter blauem südlichen Himmel. Barbara war über Andersens Märchen ein wenig entschlummert, und ihre gleich mäßigen Atemzüge klangen dem Lesenden innig und trostreich im Ohr. Später, gegen Sonnenuntergang, entschlossen sich Meinrad und Barbara noch zu einem kurzen Abendbummel, um sich mit frischer Luft ihr Nachtmahl zu würzen. Der See lag wie ein großer Schmetterlingsflügel im scheidenden Licht. Die Pastelltöne seiner Farben mischten sich ohne Grenzen. Es war ein Glimmern in rosaroten, bläulichen, gelben und grünlichen Schauern. Der Sonnenuntergang überschwemmte den Himmel mit wollüstigen Farben und Meinrad musterte diesen Rausch in Purpur, Lila, Gelb und Blaugrün mit fachmännischer Sachlichkeit. „Warum nennt ihr Maler so etwas eigentlich Kitsch?" fragte Barbara. ,,Die Natur", antwortete der Künstler,,,produziert keinen BCitsch, sie bietet den Menschen nur verführenden Rohstoff dazu. - Einer menschlichen Schöpfung fehlt das Selbstverständliche der absichts losen Natürlichkeit. Es fehlt ihr auch an Autorität. Und eben deshalb muß der Mensch auf jene äußersten Gewagtheiten verzichten, wel che die Natur in ihrer Unschuld bisweilen erzeugt. Der wahrhaft bahnbrechende Künstler freilich wird gerade auch in diesem Sinne ein Mann der kühnen Wagnisse sein!" - Im Weiterschlendern entdeckte Coeslin bei den Uferanlagen neben dem Hafen ein kleines Fernrohr, das drehbar auf einem Sockel befe stigt war und einlud, für zehn Pfennige einige Minuten lang nach Be lieben in die Weite zu dringen. Meinrad ließ Barbara hindurchschau en. Sie war schnell fertig damit, da sich ihr Wesentliches an Einzelhei ten auch mit dem Fernrohr nicht mehr enthüllte, und das Gesamtbild, welches dem freien Auge sich darbot, ungleich reizvoller war. Dann benutzte Meinrad das Glas. Er wanderte mit seinem Blick bedächtig das gegenüberliegende Ufer entlang. Bäume und ländliche Häuser dämmerten traumfern hinter dem in leichte Abendnebel gehüllten Gestade. Das ansteigende Bergland in der Tiefe des Raumes blaute schon im Schatten der Nacht. Als das Uhrwerk im Fernrohr abgelau fen war und eine Scheibe die Aussicht verdeckte, fischte Meinrad ein neues Geldstück aus der Hosentasche und steckte es in den Apparat, ohne das Auge vom Ocular zu nehmen. „Es wird zu dunkel", meinte Barbara. „Was siehst du denn eigentlich noch?" - Barbara wollte ihm einen Wink geben, denn eine Dame, die auf laut losen Korksohlen an die Brüstung getreten war, mußte wenigstens einen Teil seiner Worte vernommen haben. Aber Meinrad bemerkte nichts. „Außerdem", fuhr er fort, ,,möchte ich beobachten, ob die Bürger da drüben verdunkeln, oder ob sie ihren Frieden ungehindert mit Stubenlicht feiern". Die fremde Dame lauschte merkbar. Sie hatte sich auch umgedreht und betrachtete Coeslin und seine Frau ohne Scheu, so daß sich Bar bara sehr bald unangenehm berührt, ja geradezu schamlos gemustert fühlte und sich durch einige Schritte seitwärts unauffällig der lästigen Lage entzog. Die Fremde aber trat auf das Fernrohr zu und sagte leichthin: ,,Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis sich die Verdunklungspro bleme der Schweiz durch Augenschein begutachten lassen. Ist es vielleicht gestattet, das Fernrohr vorher einmal in Anspruch zu neh men?" - Meinrad fuhr auf, als er die Stimme hörte und starrte der Sprecherin in das lächelnde Gesicht.,,Bitte!" entschied er dann trocken und gab das Fernrohr frei, wandte sich Barbara zu, reichte ihr den Arm und führte sie weg. ,,Es wird kühl am Wasser", meinte er besorgt. ,,Du hättest deine Wolljacke unterziehen sollen!" - Barbara beteuerte, daß sie nicht frie re, aber er strebte trotzdem auf geradem Wege ins Hotel zurück. Der Abend wurde nicht so befriedigend, wie es der angenehme Tag wohl versprochen hatte. Coeslin zeigte am Nachtmahl nur geringes Vergnügen. Er schob seinen Teller halbgeleert fort und blätterte, während Barbara noch aß, in der Zeitung. Oben im Bett versuchte er verschiedene Bücher. Auch ,,Daphnis und Chloe" vermochte ihn nicht zu fesseln. Die Zeilen verschwammen vor seinen Augen; der Blick drang durch die Seiten hindurch und belebte verblichene Bilder. „Meinrad?" Barbaras Spürsinn war wach geworden. „Ja." ,,Von wem war eigentlich das Gedicht?" - ,,Welches Gedicht?" - ,,Vorgestern früh, du weißt es doch!" ,,Ach so ." Coeslin überlegte. Dann meinte er langsam und ein wenig nachlässig: „Vielleicht habe ich es von einem Kalenderblatt." Und obwohl ihm jetzt einfiel, daß es draußen ein Kamerad auf eine Feldpostkarte für eine Frau geschrieben hatte, bestätigte er doch:,,Si cher stammt es von einem Abreißkalender!" Nach einer Weile begann Barbara wieder:,,Möchtest du es mir nicht noch einmal sagen? Bitte!" ,,Aber liebes Kind, man kann doch nicht jederzeit auf Befehl solche Sprüche herbeten. Ich bin dazu überhaupt ungeeignet. Und nun laß mich lesen!" Barbara blieb hartnäckig. Nach einigen Minuten bemerkte sie: ,,Du liest ja gar nicht!" Er brummte nur. ,,Willst du mir rüchts erzählen, Meinrad?" ,,Du kannst keine Ruhe geben! Du kennst doch unsere Abmachung, im Urlaub nichts von der Front zu reden und hast mich selbst schon daran erinnert." ,,Es hätte ja nichts vom Krieg zu sein brauchen!" fuhr Barbara dazwi schen, drehte sich auf die andere Seite und versuchte es nun mit Verschließung und Schmollen. Aber auch das blieb ohne Erfolg. Voll Be kümmerung und Bitternis dachte sie, wie unsinnig es sei, sich von den wenigen Urlaubstagen kostbare Stunden so zu verderben, sie achtlos verwelken zu lassen, anstatt sich jede Minute zu lieben und sich die Herzen zu öffnen ohne Besinnung. Eine heimliche Träne der Rührung ward vom Kopfkissen aufgesaugt, dann schlief Barbara über ihrem Wehleid ein. Am nächsten Morgen weckte Coeslin seine Frau mit einem Kuß.

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