Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 1, 1979

vor Ragusa. „Dort blühen jetzt die hohe mittelmeerische Euphorbia und eine besondere Art Ginster. Von allen Felsen sticht das Gelb fan farengrell ins Blau des Himmels und des Meeres", schwärmte er. ,,Levkoj duftet in den Gärten, Lilien und verschiedene Nelken pran gen in reicher Pracht. Die Luft ist wie Honig und Milch. Aus dem dunkelglänzenden Laub der Orangenbäume glühen die goldenen Bälle. Zitronen sind reif, und im Park des italienischen Grafen gedei hen die Mandeln. An warmen, windstillen Tagen haben wir auch schon mit Genuß im Meer gebadet. Die Einheimischen freilich haben dazu den Kopf geschüttelt und uns für närrisch gehalten. - Einmal war ich in eine Ziegenhirtin verliebt. Wenn sie des Morgens mit ihrer Herde zu den Weidehügeln wanderte, ließ ich sie auf schmalen Steinpfaden gern an mir vorüberziehen. Sie war ein kindlich scheues Geschöpf, das ich niemals mit einem Wort berührte. Eines Abends fielen mir Verse an die Ziegenhirtin ein. Ich schrieb das Gedicht wie ein Primaner, aber ließ es nicht so versehentlich fallen vor ihr, son dern verbarg es, fast vor mir selbst, in meiner Brieftasche. Als ich das nächste Jahr wiederkehrte und meine heimliche Geliebte nicht mehr als Kind, sondern als eben aufblühendes Mädchen erwartete, fand ich sie auf der Steinstufe einer Haustür hocken mit einem Säugling an der Brust." - ,,Ja", flüsterte Barbara versonnen, ,,wenn doch bald Frieden wäre". ,,Wegen der Ziegenhirtin? Das Gedicht habe ich doch verloren." Coeslin lachte jungenhaft und erhob sich. Als sie gegen zehn Uhr das Haus verließen, war seine Laune etwas gebessert. Die Erinnerung an den Süden wirkte in ihm fort. Barbara mied den Weg zum See und lenkte behutsam gegen die Bergbahn. Wie sie es geplant hatte, ergab sich die Fahrt zum Pfänder hinauf als ein Stegreifeinfall von ihm, der ihn mit belebender Spannung erfüllte. Die Rundsicht vom Berg war nicht rein. Die Ferne schimmerte unter Schleiern hervor. Nur im Südosten stiegen die verschneiten Gipfel Tirols klar über jegliche Dunstschicht hinaus. Coeslin wies mit der Hand dahin, aber er schwieg. Barbara entdeckte Lindau, das sich als dunkler Inselfleck am Seerand zeigte. ,, Vielleicht ist es dort schöner? Wir wollen uns sobald als möglich um schauen." Meinrad wurde es wirklich leichter ums Herz, und Barbara begann aufzuatmen. Nach dem Mittagessen, das sie oben am Pfänder einnahmen, strebten sie gegen Norden die Hügelkette entlang, die das Seegestade so mächtig umsäumt. Im Schattenbereich der Wälder dehnten sich noch verharschte Schneeflächen. Auf feuchten Wegen schritten sie durch das kühle Halbdunkel alter Forste in heilsamer Stüle. Menschen be gegneten ihnen nicht. Nach einer guten Stunde senkte sich der Pfad allmählich. Die Schneeflecken wurden kleiner und seltener und ver schwanden wieder aus dem Antlitz der Landschaft. Dann trat der Wald zurück, und das freie Tal breitete sich in seidigem Sonnen schimmer geruhsam aus. Coeslin bückte sich nach Farnen, die unter Steinen hervorrollten, und freute sich an den bescheidenen Zeichen des neuen Lebens. Er fand Leberblümchen und Buschwindröschen, die über verrostetem Winterlaub im Vorfrühlingshauch bebten. Er brach für seine Frau die ersten gelben Himmelschlüssel und befestigte sie als zarte Huldigung an ihrer Bluse. ,,Der Schatten schwindet", fühlte Barbara und gab sich einer seligen Leichtigkeit hin. Ihr Schritt beschwingte sich. In ihren Augen glänzte die Sonne, spiegelten sich die heiteren weißen Wolken. Und wie im Traum sang sie ein wenig mit kaum vernehmbarer Stimme. ,,Jetzt hungert mich!" sagte sie plötzlich, und das klang fröhlich, rätselhaft und voller Verheißung. In den Dörfern an der Berglehne lockte kein Gasthaus zum Bleiben. Und als sie unten am Seeufer die Staatsstraße erreichten, fiel Coeslin zuerst ein Wegweiser nach Lindau auf.,,Gehen wir!" sagte er. ,,Dort haben wir die Auswahl. In einer Stunde sind wir am Ziel." Barbara fand ihn rücksichtslos, aber sie bemühte sich doch, ihre auf keimende Mißstimmung wenigstens zu verbergen. Natürlich dauerte der Marsch länger als eine Stunde, weil sie seinen Soldatenschritt nicht durchhalten konnte. Meinrad bestaunte sorgfältig gepflegte Obstbaumkulturen, wies auf stolze, schloßartige Besitzungen hin und auf freundliche Anwesen bürgerlichen Stils, die am Seeufer entlang sich ausbreiteten. Barbara antwortete freundlich und blieb doch einsilbig dabei. Die saubere Inselstadt entzückte Coeslin sogleich. Nach kurzem Gang zum Hafen führte er Barbara heiter und erwartungsvoll in ein annehmliches Gasthaus zum Nachtmahl. Ihre müde Spannung lokkerte sich dort bald, und als Meinrad den Wirt nach einem Zimmer fragte, lächelten ihre Augen in bestem Frieden. Der nächste Morgen schenkte frohes Erwachen. Sie blieben eine Weile genießend im Bett und hielten sich bei den Händen, glückselig wie ein Brautpaar. Er spürte ihren Puls schlagen, die stumme Musik des Blutes durchbebte ihn, und ein geheimnisvolles Saitenspiel schwang in ihm mit. Wer will ermessen, welche Schlummertiefen an gerührt wurden dabei? Aus dem Dunkel, in dem das Vergessene ruht, stieg etwas auf, und er hörte seine Stimme sanft und fern wie die eines anderen: Wir haben uns gefunden. Dem Himmel sei gedankt? Wir haben uns gebunden Und noch in allen Stunden Kein einzig Mal gewankt. Wir wolln in Liebe weiter Treu zueinander stehn Und auch in Nöten heiter Recht weltfroh, immer weiter Durch schwere Tage gehn. Barbara drückte ihm stumm die Hand. ,, Weißt du?" sprach er nach einer Weile zögernd, „wenn es so mit mir ist, dann möchte ich jedes mal Musiker sein und mich ganz ausströmen und hinschenken kön nen für alle. Das ist eine alte, wehmütige Sehnsucht, die mich hilflos klein und traurig werden läßt in meinem Unvermögen. Wir anderen, wir Maler und Dichter, mühen uns immer mit Krücken, selbst wenn wir trachten, unseren Mangel mit Kunst und Künstelei zu verbergen; der Musikschöpfer darf unbeschwert seine Träume durchschreiten wie ein göttlicher Tänzer und die sinnliche Welt der Büder und Dinge verlassen, ohne sich uns zu entfremden. Er ist der Geweihte, der ohne Umweg in unsere Seele eindringen kann." Barbara streichelte ihm mütterlich warm die kräftige Stirn und das dünne, seidige Haar. Die Stunde war so innig still und gut. Und Meinrad spürte, wie Lust und Leid in ihrem Kerne eines Wesens sind und sich schwebend die Waage halten auf der Schaukel der Notseligkeit unseres Seins. - Nach einer Weile entstieg er dem Bett wie einem heilkräftigen Bad. Bis zum Fenster braucht es nur einen Schritt. Meinrad öffnete es weit und nahm den Anblick, der sich ihm darbot, wie ein Geschenk. Der See ruhte in gleichmäßigem, überaus zartem Lichtgrau; das fremde Ufer ließ sich als ein dunklerer Schimmer eher ahnen als wahrneh men. Aus verhängter Himmelshöhe flössen Spuren von Milchblau unter das silberne Grau dieses Morgens. Auf der Wasserfläche aber leuchtete ein begrenzter Lichtkreis in den Farben des Regenbogens. Der Maler vermochte sich diese Erscheinung nicht sogleich zu erklä ren und empfing sie als Wunder. „Schnell, Barbara, sieh dir das an!" Und als sie neben ihm lehnte, sprach er: „Das wagt kein Maler! So etwas darf nur die Natur, und sie findet mit ihrem Bilde den geraden Weg zur erschauernden Seele - wie die erlauchte Musik -. Es ist, als ob das Wasser von innen heraus

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