Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 1, 1979

Und auch in Nöten heiter Sie waren wohlgelaunt. Im Dorf hatten sie auf Vorrat geschmaust, Knödel und Kraut und warmen glasigen Speck, sie hatten nicht we nig Kannen mit Most dazu geleert, und in ihren Säcken klimperten trotzdem bei jedem Schritt ein paar Kreuzer für den künftigen Durst. Gott schütze die Kirnst! Und weil sie also gut aufgelegt waren und den Kleinen mit seiner be scheidenen Schalmei als einen schätzten, der nicht recht kann wie er möchte, ließen sie ihre Instrumente in der Sonne blitzen gleich großen Herren, die mit Leichtigkeit alles vermögen. ,,Da staunst!" sollte das heißen, und so wirkte es auch. Dann nickte ihr Erster, ein grauhaari ger Alter, auf eine gewisse Art nach rückwärts mit dem Kopf. Die Ge sellen hoben auf diesen stummen Befehl ihre Instrumente, daß die Lichter nur so über die Alm zuckten. Die Schafe hatten aufgehört zu rupfen. Den Buben durchrieselten Schauer der Erwartung. Es war qualvoll still. Die Männer bliesen ihre Backen auf wie Frösche. Der Alte nickte ein zweites Mal, und mit einem Schlage ging ein Marsch los wie ein hin terhältiger Kanonenschuß, und eine Lawine von Musik brauste her nieder. Es war wie ein Weltgericht. Die Posaune vor allem hätte Stadtmauern zum Wanken gebracht. Als den Schafen die Erstarrung des ersten Schreckens wich, ergriff sie eine sinnlose Furcht, und die Herde stob, gegen die Bergwände zu, über die Alm. Der Knabe sah das UnheU und vermochte doch keinen Finger zu rühren. Angst trieb ihm die Augen wie Kugeln aus ihren Höhlen. Da mußten die Männer ihre Lachlust bekämpfen. Sie bliesen und lachten in einem und sahen aus, als ob ihnen der Kopf platzen sollte. Was es heißt, Trompete blasen und lachen, das denke dir nur selbst richtig aus; den Männern jedenfalls stieg es über die Kraft, und sie hörten mit ihrer Musik einer nach dem anderen auf, wie es sich ge rade ergab. Und sie lachten sich frei, daß die Bergwelt erdröhnte. Dann schwenkten sie ihre Hüte, juchzten und wankten vom Spaße erschüttert davon. Der Hirtenbub war wie von einem Schlage berührt. Doch als er wie der zu sich kam, rief er voll Bangigkeit nach seinen Schafen. Die aber waren außer jeder Vernunft und verstiegen sich immer höher im Fels. Der Knabe wollte ihnen nachklettern und den Leithammel holen, doch die Tiere erkannten ihn nicht und wichen zitternd vor ihm zu rück, bereit eher in den Abgrund zu springen. Der Knabe setzte sich erschöpft und traurig auf einen Stein und über ließ sich der Wohltat erlösender Tränen. Als er gefaßter wurde, fühlte er das Holz der Schalmei in seinen Händen, und er widerstrebte die ser Verlockung nicht. Er blies, schmerzlich und sanft wie der Abend wind, wehmütig mild wie Mondschein im Nebel. Er sang und sang das übervolle Herz sich leer. Die Schafe hoben ihre Köpfe. Sie beruhigten sich wie unter dem Strei cheln einer gütigen Hand und näherten sich dem Spieler behutsam Schritt für Schritt. Der Knabe aber gewahrte die Macht der Musik, und er beschwor seine Herde mit des Liedes zarter Gewalt. Als die Tiere um ihn versammelt waren, ließ er die Schalmei sinken, faßte ein altes Mutterschaf um den Hals, schmiegte sich in seine wol lige Wärme und seufzte sich aus. Eine lang ersehnte Landschaft, die in unseren Träumen und Hoff nungen eigenwillige und wunderbare Farben empfangen hat, ent täuscht oftmals jenen ersten Blick, der ihre Wirklichkeit mit begehrli cher Hast überstreift. Alles Müdsein wird uns plötzlich spürbar, Ge fühle innerer Leere und Trauer breiten sich aus, und wir fragen uns bitter, warum wir die Lasten einer Reise auf uns genommen haben. Fast meinen wir, betrogen zu sein; und die Bilder von daheim gewin nen die verlockenden Reize alles Entrückten. In solcher Stimmung stand Coeslin am Bodensee. Er war gegen Abend in Bregenz eingetroffen, hatte das Handgepäck ins Hotel ge bracht und war mit seiner Frau, die wohl lieber erst ein wenig geruht hätte, sogleich aufgebrochen, das Seeufer zu besuchen. Nun hielt er vor einer grauen, bleistumpfen Fläche, die sich ohne Übergang in ei nen lichtlosen trüben Himmel verlor, und gedachte mit Wehmut der schneestrahlenden Berge Tirols, die ihm während seiner Fahrt hier her wie Verheißungen unermeßlicher Freude erschienen waren. Über dem See hing reglos und tiefeine rußbeladene, schwarzbraune Rauchwolke, die sich vom nahen Bahnhof hergequält hatte und nun wie gestrandet war.,,Solche Wolken liegen bei uns in der russischen Steppe mitunter tagelang am Horizont, ohne daß sich eine Verände rung an ihnen wahrnehmen läßt", erklärte Coeslin seiner Frau.,,Na türlich viel größer." ,,Du wolltest doch während deines Urlaubs nicht davon reden, Mein rad", erinnerte Barbara sanft und rührte begütigend an seine Hand. Nach einer stummen WeUe reichte er seiner Frau den Arm und führte sie vom Seeufer fort. Die Nacht wuchs rasch. Schwarz und beklemmend verengten sich die verdunkelten Straßen. Coeslin suchte zum Hotel zurück. ,,Eine häß liche, industrialisierte Provinzstadt!" grollte er.,,Schade um die Zeit! Was haben wir denn hier?" - ,,Uns!"antwortete sie. ,,Undwoich dichnurhabe, istniemals schade um die Zeit." „Wir hätten doch in den Bergen bleiben sollen", meinte er zögernd. Im Hotelzimmer störte ihn die aufdringliche Tapete mit violetten Blumen auf gelbem Grund. Auch waren die Betten zu weich. Wäh rend Barbara schon schlief, haderte er noch immer mit sich. ,,Zu Hause hätten wir unser vertrautes Behagen genossen. Ich hätte end lich wieder einmal in meinen Büchern schwelgen und wie früher halbe Nächte im Atelier verträumen dürfen . . . Vielleicht hätte ich sogar ein wenig gearbeitet. Nur eine kleine Leinwand natürlich. Ganz nach Lust und Laune ..." Allerdings hatte er diesen Reiseplan entwickelt. Barbara fand alles recht und gut, was er wünschte. Schon als Jüngling, während der letzten Jahre im Gymnasium, hatte er zum Bodensee gestrebt und sich Köstliches vom Land seiner Vorväter versprochen. Und nun er lebte er dies! Er bangte um seinen Urlaub, der ihm doch viel erfüllen sollte, wonach er draußen vierzehn harte Monate lang gedarbt hatte. Und Urlaubstage schmelzen wie Schnee im April! Am anderen Morgen eüte Coeslin noch vor dem Frühstück zum See, unter dem Vorwand, im Postamt rasch nach lagernden Briefen zu fra gen. Barbara kannte sich aus und ließ ihn gewähren. Der See verbarg sich hinter milchigem Nebel. Vor dem grauen Nichts des verhüllten Raumes standen die nüchternen Formen der Eisen bahnanlage, die am Ufer entlang führte, wie auf Zeichenpapier in häßlicher Härte. Die feuchte Luft schmeckte nach kalter Waschküche. Eine Möwe schrie irgendwoher aus dem Nebel. Der Maler schüttelte sich fröstelnd in der märzlichen Kühle. Er hatte dem Frühling entge genreisen wollen. Und hier hatte er gehofft, seine Vorboten zu füiden. Während des Kaffeetrinkens erzählte er Barbara aus den Jahren des Friedens, wie er die Monate März und April immer wieder mit Wonne im Süden verbracht habe, auf Korfu oder wenigstens im Inselgewirr

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