Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 4, 1978

Verkaufte Ewigkeit Eduard C. Heinisch „Wir müssen", sagte Raimund Kühler, ,,eben etwas verkaufen." Er sagte es mit demselben Bedauern, mit dem ihm die Ebentaler Glashütte AG. mitteilte, daß sie ihn gekündigt hatte, das heißt leider freizu setzen gezwungen war, zu unserem größten Be dauern. Kühler strich mit dem Handrücken über das Papier, ehe er es zusammenfaltete. ,,Was sollen wir verkaufen?" fragte Marianne Küh ler. Sie wischte sich dabei nicht mit der Schürze übers Gesicht. Das Leben ist kein Theater. Sie hat ten einander vor achtundzwanzig Jahren kennen gelernt, beim Theaterspielen in einem Wirtshaus, Angehörige einer Laienspielgruppe, wenn Ma rianne damals in die Schürze schluchzte, heulte das Publikum, und hinter der Schürze blinzelte sie zu Raimund, der den Gerichtsvollzieher spielte. Das Leben war kein Theater. Zehn Jahre in der Kan tine, drei Kinder, das Grundstück, die Ziegel, die Erde, der Beton, die Mauern, das Dach, das Haus. Die Mansarde ist noch nicht ausgebaut. Siedler gasse 35. Das verbindet. Was Gott zusammengefügt hat mit Lust und Fluch, Mörtel und Beton. Mit Zaun und fünf Obstbäumen. Das Leben sollte schön werden, wenn die Schulden abgezahlt sind. Und jetzt:,, Wir müssen eben etwas verkaufen!" Das Moped vielleicht? Den Fernsehapparat? Den Rasenmäher? Marianne zählte auf, Raimund lachte, ein unfreies Lachen, dachte er auch an den Gerichtsvollzieher? Sie wußten nicht, was sie tun sollten. In solchen Stunden kommen einem die merkwür digsten Ideen. Raimund war kein Phantast, aber ein Mensch mit praktischem Optimismus. ,,Das Wertvollste, was wir entbehren können", meinte er schmunzelnd, ,,ist mein ewiges Leben." Raimund war einige Jahre Funktionär, Fraktion Christlicher Gewerkschafter, ein Schwarzer, Stim menanteil bei 25 Prozent, eher sinkend, kein Fanati ker und mit den Sozialisten gut freund, am Sonntag meistens in der Kirche, aber skeptisch, übers ewige Leben hatten sie zuletzt nach der Geburt des zwei ten Kindes geredet, damals war's schlecht um sie bestellt, später ging er unregelmäßiger in die Kirche, sie erinnerteihn der Kinder wegen. Ob er ans ewige Leben glaubte? Sie hatte nicht viel darüber nachgedacht, auch nicht für sich selbst. Ein anständiger Mensch sein, das Haus in Ordnung, halten, die Kinder fleißig erzie hen, in der Kirche ändert sich auch manches. ,,Wenn du meinst?" sagte sie. Sie nahm das natür lich nicht ernst. Drei Tage später stand in der regionalen Zeitung unter ,,Zu verkaufen": Ewiges Leben, umständeh. abzugeb. gegen Hypothekarablöse u. Leibr. Anfr. Raimund Kübler, Siedlerg. 35, Fbental. Fr hätte seinen Namen und die Anschrift nicht angeben, sondern lieber eine Chiffre verwenden sollen. Die höheren Gebühren hatten ihn davon ab gehalten. Die Reaktion der Nachbarn und Bekannten, die die Annonce gelesen hatten, war verhältnismäßig harmlos. Im Supermarkt wurde Marianne von zwei Frauen gefragt, ob es ihren Mann so tief getroffen habe, sie würden ihn jetzt nicht allein lassen. Der Schuldirektor, dem sie begegnete, sagte, das sei ein dummer Skandal, der Ort sei durch die Entlassun gen ohnehin in der Öffentlichkeit diskriminiert, man müsse Rücksicht nehmen, das Image. Herbert Klapper in der Siedlergasse 31 schüttelte den Kopf, jetzt hat's den Raimund erwischt. Der Betriebsrats obmann meinte, na ausgerechnet ein Schwarzer, ob der keine anderen Sorgen hätte. Der Pfarrer hatte die provokante Anzeige nicht gelesen, er wäre im merhin am ehesten berufen gewesen, aufklärend einzugreifen, aber die lokale Nachrichtenübermitt lung zur kirchlichen Instanz klappte auch nicht mehr so wie früher. Marianne war froh, an diesem Tag nach Hause zu kommen. Raimund ging erst gar nicht aus dem Haus. Sie kamen sich beide recht eigenartig vor, vielleicht wie Exhibitionisten. Der Nachmittag war trüb, in vielen Häusern sorgten sie sich jetzt, rechneten und redeten, die Gewerkschaf ter verhandelten und faßten Beschlüsse, mit denen sie bei der Landesregierung vorstellig werden wür den. Die Handelskammer billigte das Vorgehen der Fbentaler Glashütte AG. nicht vorbehaltlos, wie aus der gleichen Zeitung, in der Kühlers Inserat er schien, zu entnehmen war.

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