Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 3, 1978

Franz Josef Heinrich ... Rudoif Weiihartner... Der Stein Ich habe mir in einem Tibetfilm einen Stein, einen ganz gewöhnlichen kleinen Stein am Wegrand, gemerkt. Nie, nie werde ich ihn je in Wirklichkeit sehen Ansturm ,,Wie voll ist die Welt von Bildern? Wohin rette ich mich vor ihrem Ansturm?" Ich habe meiner Interpretation des Gedich tes „Der Stein" von Franz Pühringer einen Titel vorangestellt, der eigentlich auf alle Gedichte des Autors anwendbar ist: Die la konische Sentenz. Wie jede Lyrik besteht auch die Franz Pühringers aus Kürzeln, Formeln, Symbolen, die ein Ungesagtes, manchmal Unsagbares verschlüsseln. Der Leser, einem Rutengänger vergleichbar, betritt diesen Sprachboden, um seine ihm ganz eigenen Funde zu machen. In fast al len Gedichten Franz Pühringers spieit die Natur, spielen die kleinen, gewöhnlichen Gegenstände des einfachen Lebens eine große, immer wiederkehrende Rolle. Es Ist ein Ziel in diesen nach Wirklichkeit suchen den Versen, und je entfernter dieses Ziel Ist, umso verlockender erscheint es: Ein Stein, verschlossen, unnahbar, rund, hart, Symbol der Welt, weggewischt in die Ferne, nach Tibet, ins Ungreifbare. Er wird nicht einmal wirklich, das heißt gegenständlich gesehen, sondern nur als Abbild, im Film. Das ,,lch" des Gedichts, der Sprecher, merkt sich die sen Stein, er wird ihn nie mehr vergessen, er trägt ihn mit sich im Bewußtsein, das wiegt schwerer als die tatsächliche Last. Die Welt liegt auf ihm. Beiläufig wird ein Wegrand er wähnt Vielleicht haben Füße beim Gehen den Stein beiseitegeschoben. Aber welcher Weg Ist gemeint? Ist es der Pfad der Händ ler, die ihre Ballen zum Verkauf in die ein zige und geheimnisvolle Stadt Tibets (Lhasa) bringen? Ist es der Pfad der Mönche auf ihren lebenslangen Wanderungen? Oder der der Pilger, die auf Erlösung aus dem schmerzhaften Rad der Wiedergebur ten hoffen? Ist es unser aller Lebensweg, wobei ja jeder Weg bereits Lebensweg ist. Weg zum Leben, Weg zum Tode? Der Vers bleibt offen, für jede Deutung bereit, und die scheinbare Banalität, das ohne pretiösen Aufwand Hingesagte des ganzen Gedichts gewinnt einen neuen Stellenwert. Der Schluß zeigt schließlich das, was ich als lakonische Sentenz bezeichnet habe, die Wahrheit, die den Inhalt des Gedichts sinn fällig macht: ,,Nie, nie werde ich ihn in Wirk lichkeit sehen." Hier erfolgt der Umschlag der Wirklichkeit in ihre Gegenwirklichkeit. Das doppelte ,,nie" drückt über die Versa gung Schmerz aus, aber der Vers verdeut licht auch die Verweigerung als Welter kenntnis, Nichthaben als eine andere, im materielle Form des Besitzens. Oder anders gesagt, was gewonnen wird, ist Verlust, im Nichthaben aber liegt der wirkliche Besitz der Welt. Bei der Beschäftigung mit der Lyrik Franz Pühringers ist meine Wahl auf den vorlie genden Text gefallen, well mich sein Dunkel zu beschäftigen begann. Der Text ist kurz; er besteht nur aus zwei Sätzen; und es sind zwei Fragen. Die erste Frage iautet: ,,Wie voll ist die Welt von Bildern?" und könnte soviel heißen wie: Ich möchte gerne wissen, wie voll die Welt von Bildern ist. Aber handelt es sich hier überhaupt um eine echte Frage? Ich meine, haben wir es hier nicht eher mit einem Ausruf zu tun? Dann wäre der Satz wie folgt zu lesen: Wie voll Ist die Welt von Bildern! Es könnte ein Ausruf des Erstau nens, der Verwunderung, ja, vielleicht sogar eines Entzückens über die Fülle der Bilder (welcher Bilder auch immer) sein, würde uns nicht der darauffolgende Satz in eine ganz andere Richtung weisen, wenn es da heißt: ,,Wohin rette ich mich vor ihrem Ansturm?" Nein, die Bilder werden hier ganz offensicht lich nicht als etwas Beglückendes erfahren, sondern ganz im Gegenteil als etwas Be ängstigendes, Bedrohliches, ja. Anfeinden des, sonst würde sich der Sprecher des Tex tes nicht um ein Rettendes umsehen wollen. Und die Vokabel,,Ansturm", womit der Text überschrieben ist und auch endet, scheint uns in dieser Auffassung noch bestärken zu wollen, denn Ist es nicht so, daß dieses Wort allein schon Unruhe, Gefahr, ja, in irgendei nem Sinne Aggression signalisiert? Und das Feindliche ginge in diesem Fall von Bildern aus. Aber von welchen Bildern, das ist die Frage. Denn soviel steht fest, sie könnten ein Schlüssel zu unserem Text sein. Handelt es sich um Bilder der äußeren Wahrneh mung? Die profane Variante. Oder handelt es sich um solche einer inneren Sicht? Die sublime Variante. Akademische Fragen. Befragen wir einmal das lyrische Werk un seres Autors. Was steigt da nicht alles vor dem Auge des lyrischen Ichs auf: eine Märzlandschaft z. B., ein Frühlingsspaziergang, ein Berg dorfsonntag, ein Wiesensommer, ein schö ner Herbsttag, Winter, ein Land, eine Stadt,

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