Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 3, 1978

V ^ ungetrennt, und aus dem Reichtum an Bil dern zu schöpfen, der in ihr lebt, ist ihr Schauder und Freude und Erprobung in ei nem. Alles hat Atem und lebt aus glühender Mitte. Auch Vernichtung ist ihr Verwand lung, Übergang in ein Neues, Werden und Vergehen sind eins. Die Aggregate der Sub stanz gehen ineinander über; Kraft und Stoff sind austauschbar. In jedem Augenblick ist Weltauf- und Unter gang. Die Materie seibst enthält für Helga Aichinger schon das Mysterium, dem sie nachspürt. Das Alphabet ihrer Formen könnte auch wie eine Zeichenschrift gele sen werden. Es gewinnt wesenhafte Bedeu tung und umschreibt den Raum, in den es einzutreten gilt. Auch wo sie illustriert, wird der Beschauer nicht auf das Thema fest gelegt. Das Bild nimmt ihn auf, es trifft ihn, bestürzt ihn, gibt ihm Raum. Es kommt auf ihn an, was es in ihm bewirkt. Jede Gestalt enthält eine Formel für den Kosmos. Der Raum um sie ist Fülle anderer Art. Auch was nicht gesagt wird, spricht, und das Ausgesparte ist ein Teil der Form. ,,Der Schatten macht erst die Figur." Die Wirklichkeit ergründen heißt Helga Aichinger mitschaffen an ihr. Die Welt der Kunst als Möglichkeit der Selbstentfaltung und des Austausches - Sprache im weite sten Sinn, einschließlich der Einsicht, daß das Letzte immer ungesagt bleibt, und daß wir nur versuchen können, das Du zu errei chen, indem wir eins werden mit ihm, ohne uns selbst zu verlieren; versuchen können, trotz allem das Unsägliche - zu sagen. Im mer wieder, immer vergebens. Doch auch das Vergebliche ist vielleicht nicht verge bens. Unserer Künstlerin ist das Gleichnis von dem chinesischen Maler sehr lieb, das sagt, er sei in sein Bild eingegangen, sei darin verschwunden, und zuletzt sei auch das Bild verschwunden.

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