Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 3, 1978

Im Entwurf zu einem Selbstporträt des Dich ters schildert dieser, wie er die Inspiration zur eben gehörten Ballade erlebte: ,,Erleb nisse und Stimmungen müssen vorüberge hen, vergessen werden; dann tauchen sie, etwa einmai nach Jahren oder Jahrzehnten, plötzlich heraus; richtiger: ein sinnfäiliges Ding, das mit ihnen zu tun gehabt hat, steht plötzlich da und bringt unaufgefordert das Wort mit, einen Satz, eine Wendung, die sein Gesicht so überleuchten, daß es, ob wohl das alte, doch wieder ein neues ist. Dieses Wort ergreift, macht trunken und träumerisch, zugleich seltsam aktiv, näm lich eindringend in das Ding und seinen Be ziehungskreis, um es - das klingt so unsin nig! - nach Worten zu durchsuchen wie nach Tropfen unsäglichen Wohltranks. Diese Worte sprühen einem nur so entge gen, samt den Reimen, samt dem Rhyth mus ... In ganz fremder Gegend gehe ich an einem vernachlässigten Kieinbauernhof vorüber, ohne ihn viel zu beachten. Nur die roten und gelben Georginen des Gartens nehme ich einige Schritte lang unabsichtlich in den Augen mit. Kein besonderes Erlebnis. Aber nach Wochen einmal (es könnten auch Monate und Jahre sein) sehe ich, einsam in meiner Stadtwohnung am Tische sitzend, jene Blumen seltsam stark vor mir. Sie erwecken ein grausig-angenehmes Ge fühl. Zugleich sagen sie, nicht ich, den Vers: ,Blumen stehen rot und gelb ums Haus, se hen wie Brocken Bluts und Elters aus.' Der Rhythmus dieser Worte erhält mich in einer wohligen passiven inneren Bewegung, wäh rend ich die Erscheinung anstarre und - es klingt ja so unsinnig! - nach weiteren Worten absuche. Diese kommen, wenn nicht früher, zugleich mit dem Erschauen des Bauern, der eine schmähliche Krankheit leidet. Er hat sie aus der Stadt mitgebracht, sagen die Blumen, aber schon mit den Worten des künftigen Gedichts, und gleichzeitg er scheint das Bild des Mannes, wie er ,scheuen Schrittes' heimkehrt. Daß an sei ner Krankheit alles verderben muß, er selbst, die Bäuerin, Kind und Hof, das wird mir nicht gesagt, aber ich weiß es plötzlich wie etwas aus der Erinnerung Aufgetauch tes, längst Geschehenes. Es zerlegt sich in Begebenheiten, die schwach und flüchtig sind, während die Bilder von Gegenstand und Ort, an die sie geknüpft waren, sehr klar und langsamer vorübergehen. Diese sind alle Gegenwart: der Brunnen, in dem die Bäuerin aus Scham und Ekel sich ertränkt hat, der Baum, an dem der Bauer sich er hängt hat, der Karren, der die Leiche des Selbstmörders geholt hat. Hier aber weicht plötzlich, durch die sehr starke Hörvorstel lung des rumpelnden Karrens verdrängt. das Gefühl des Gewesenen und alles rückt in die Gegenwart, wodurch die endgültige Wendung ins Epische vermieden wird und die lyrische Beschreibung in ihr altes Recht tritt. Man merkt im Gedicht genau den Ein schnitt; denn unvermittelt steht eine Zeile da, die mit denselben Worten beginnt wie die allererste: ,Dies ist Martins Haus' und fortsetzt: ,den sie heute verscharren' also zu dem von Anfang an als Gegenwart Gesehe nen zurückführt. Die Blumen als die Mütter alier Vorstellun gen und Worte sindNmmer noch da, sehen aber schon ziemlich erschöpft aus, weshalb ihr Nachbar, der Zaun, zu Hilfe kommt. Er zeigt mir - ich möchte sagen: schon durch fertige Worte - an seiner zerrütteten Latten reihe die zwei blödsinnigen kleinen Kinder des Bauern, die Hälse nach dem Hoftor ge dreht, in das der Totenkarren rollt. Warum es nicht Knaben, sondern gerade Mädchen sind, weiß ich nicht; erst im nachhinein emp finde ich, daß sie es sein müssen. Auch, daß hier das Gedicht sein Ende haben muß, fühle ich ohne jede Überlegung. Alles ist sehr leicht vor sich gegangen, selbst der Reim hat sich mehr angeboten, als er ge sucht wurde. Rhythmus und Versmaß wur den nicht überlegt, nicht gewähit. Die Schwierigkeit beginnt erst mit der Titelgebung. Wie unglaublich dumm hier die ersten Versuche ausfallen können, die ich immer erst im Zustand der Ernüchterung anstellen kann, weil ich früher an einen Titel gar nicht denke, weiß zum Glück nur ich aliein." (Aus: Heinrich Suso Waldeck, Balladen. Rex-Verlag Luzern, Rex-Kleinbücherei Nr. 28. Zur Einführung. Franz Ser. Brenner) Seit dem 13. März 1938 war für Heinrich Suso Waldeck am Mikrophon kein Platz mehr. An Angina pectoris, Diabetes und Wassersucht leidend, führten die in der Fol gezeit ausgelösten Erschütterungen seines Gemüts schließlich einen völligen gesund heitlichen Zusammenbruch herbei. Im Klo ster des Ordens der,,Töchter des göttlichen Heilands" zu St. Veit i. M. fand Heinrich Suso Waideck im Sommer 1939 Herberge und Pflege. Es sollte auch zur letzten Station seines reich bewegten Lebens werden. Zwi schen den beiden an der vorderen Haus front des Klosters (heute ein Gasthof) gele genen Fenstern des Wohn- und Sterbezim mers Heinrich Suso Waidecks erinnert eine vom Oberösterreichischen Volksbildungs werk gestiftete Gedenktafel (enthüllt am 26. April 1973) an die vier Jahre, die Hein rich Suso Waldeck zu St. Veit, treu umsorgt von der Ordensfrau Sr. Lioba (Pauline Hlinka), einer gebürtigen Linzerin, verbrachte. m^m ÖGR PRieSTGR ONtlbidlTeP. mwmsuso COÄLÖGCK. veRBRAdire m biesecn dxusg SGFIsG'; LGBGNSXBGNÖ Gedenktafel für Heinrich Suso Waldeck an seinem Wohn- und Sterbehaus In St. Veit im Mühlkreis, gestiftet vom Oberösterreichischen Volksbildungswerk. Foto: Fr. Gang! Hier wuchs er, durch tiefes Leid geläutert, irdischer Vollendung entgegen. In St. Veit gewann sich Heinrich Suso Wald eck einen Kreis neuer Freunde, so die Lyri ker Johannes Würtz und Bruno Ammering aus Riedl. I., als Leutnant-erst 21 Jahre alt - fand er am 26. Oktober 1944 in der Ardennen-Schlacht den Tod, der dem Dichter brü derlich verbundene Florianer Chorherr und Komponist Franz Xaver Müller, die Familie des Arztes Dr. Dejaco, der akademische Maier August Steininger und eine Reihe von Persönlichkeiten des oberösterreichischen Kulturlebens, wie z. B. Dr. August Zöhrer, damals Leiter des Linzer Kulturamtes. Er hat Heinrich Suso Waldeck zur Mitarbeit am Linzer Jahrbuch 1942 eingeladen und darin die Gedichte ,,Rast im Dunkel", ,,Wasser spuk" und ,,Dle Stare" veröffentlicht. Besuche kamen, Briefe wechselten hin und her mit den neuen wie mit altvertrauten Freunden, so mit den stets hilfsbereiten Priesterfreunden F. X. Müller und dem Wie ner Religionsprofessor Johannes Klement, mit Johannes Würtz und Ernst Scheibelreiter. Aber auch vertrauliche Gespräche

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