Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 3, 1978

Es bleibt, indem es wiederkommt Tendenzen progressiver Literatur In Oberösterrelcti mit Helmrad Bäckers „gruppe" und „editlon neue texte" Von Peter Kraft 1978 werden es zehn Jahre, daß im oberösterreichischen Linz eine zunächst unauf fällig aufgemachte Zeitschrift, betitelt ,,neue texte" und herausgegeben von Dr. Helmrad Bäcker, damals noch Referent für Literatur und biidende Kunst an der Volkshochschule Linz, erschien. Das Kleid dieser Publikation ist seitdem von Jahr zu Jahr gediegener, das Auftreten von Herausgeber und Redak tionsteam selbstbewußter geworden; gleichgeblieben ist jedoch wie zu Beginn der Ernst des inhaitlichen Anspruches, die be sondere geistige Ausstrahlung. Und gerade dies hat bis zum heutigen Tag Literaturge schichte auch in einem überregionalen, in ternationalistischen Sinne gemacht. Dr. Heimrad Bäcker, Jahrgang 1925, aus Wien und von Kindheit an in Oberösterreich zu Hause, war seit den fünfziger Jahren be müht - sehr bald schon nach den Experi menten der,,wiener gruppe" in ihrer ersten Erscheinungsform und mit wachem Blick auf das Ausland - mit einem Literaturbegriff zu arbeiten, der sich entschieden und grund sätzlich vom bisherigen Strom oberösterrei chischer Überlieferung abhebt. Da auch die Literaturgeschichte keinen traditionslosen Raum kennt, knüpfte Bäcker bei Tendenzen des krassen Expressionismus und Dadais mus an, übrigens der literarischen Vorgän gerschaft einer Weltbewegung, die eben in den fünfziger und sechziger Jahren in Brasi lien, England, Frankreich, in der Schweiz und in der Tschechoslowakei Ihre vitalsten Zellen entwickelt hat. Joyce, Stramm, Raoul Hausmann und Alfred Ehrenstein wurden und werden immer wieder, neben Gertrude Stein, ais Vorbilder zitiert, deren Einflüsse in Österreich bei Ernst Jandi und Friederike Mayröcker zu einer echten, völlig eigen ständigen und unverfälschten Renaissance geführt haben, deren stille, aber umfas sende Sprachrevolution wiederum den un mittelbaren Anknüpfungspunkt für Heimrad Bäcker darstellte. Es begann nach außen hin, als erster öffent lich gesetzter Auftritt, mit der Gründung einer Jugendgruppe im Bereich der Volks hochschule Linz. Auf dem Programm stand die ganz konkrete Arbeit mit und an der Sprache ais einem sich zu spontaner Be arbeitung anbietenden Material, eine Wort-, Satz- und Grammatikwerkstätte also, die nicht (nur) inspirierte Dichter(innen), son dern unvoreingenommene, von Literatur studium noch nicht verbildete Hellhörige und Sensible befriedigen sollte. Die Gruppe gab sich selbst den Namen ,,0 4" nach der Abkürzung eines Vortragszimmers in der Volkshochschule, und phonetisch doppel sinnig, auch nach dem Wehen des Früh lingswindes ,,Zephyr". Aus ,,C 4" ging spä ter die ,,gruppe neue texte" neben der gleichnamigen Zeitschrift für neue, konkrete Literatur hervor. (Die Zeitschrift erreichte 1978 ihre mittlerweile 21. Folge!) Damit freilich noch lange nicht genug; 1976 begründete Heimrad Bäcker die ,,edition neue texte", ein Fast-Ein-Mann-Verfahren von Verlag, mit Gomposer im eigenen Urfahrer Heim, In der Stockwiesen 13, wo Autoren mitunter sich selber an der elektri schen Schreibmaschine ihre Manuskripte setzen. Die Ergebnisse in Buchform aller dings halten massivster professioneller Konkurrenz stand und haben bereits ihren berechtigten Piatz auf der Frankfurter Mes se. Man muß wieder zurückgreifen auf die frühe Gruppe ,,neue texte": Ihren Grundstock bil den teilweise von Anfang an, teilweise spä ter hinzugekommen außer Heimrad Bäcker selbst die Literaten Fritz Lichtenauer, Peter Krami, Josef Bauer, Gerhard Knogler, An selm Glück und Vaiie Export, die Experimentalmusiker und Aktionisten Alfred Peschek, Gerhard Schmidinger und Günter Kahowez sowie auch der Maler Willi Schwind waren in der ursprünglichen Kon stellation entweder mitinbegriffen oder wirk ten doch zumindest eine Zeitlang parallel mit der Gruppe ,,neue texte", berührten sich mit ihren Intentionen, wenn sie sich auch heute wieder aus dem unmittelbaren Zen trum konkreter Literatur-Praxis entfernt ha ben mögen. Von der ersten Modellgruppe ,,C 4", zu der auch echte Amateure, die erst am Anfang ih rer bewußten Begegnung mit der Sprache überhaupt standen, gehörten, sind automa tisch Namen auch wieder abgebröckelt und in die Anonymität zurückversunken. Dafür sind Namen aus dem weiteren Umraum, etwa der Wiener Werner Herbst oder die Welserin Elfriede Czurda, hinzugekommen. Und die tragende Verbindung mit der ,,neuen poesie" im Sinne Ernst Jandls und Friederike Mayröckers war bereits in den er sten Nummern der,,neuen texte" vollzogen worden. Sie hält bis heute. Die Verlagsgründung der,,editlon neue tex te" bedurfte ebenso massiver wie im Effekt dankenswerter Investitionshilfen von selten des Unterrichtsministeriums und der ober österreichischen Landesregierung. Heim rad Bäcker gab eigens dafür seinen Posten als langjähriger Spartenleiter für Literatur an der Volkshochschule Linz auf. Die Subven tionen für den mutigen Familienbetrieb (In dem auch die Gattin des Herausgebers tat kräftig mitarbeitet) fließen seitdem weiter, um nichtangepaßter, experimenteller und progressiver Literatur von Oberösterreich aus in ganz Osterreich zu helfen. Denn die bestehenden Verlage gehen die Risken be dingungsloser Avantgarde, ohne Rück sichtnahme auf pubiikumsfreundliche Vermarktbarkeit und, damit verbunden, auf den Geschmack des Konventionellen, Schabio nisierten, erst gar nicht ein. (In Wahrheit ar beiten freilich gerade auch die etablierten Verlage mit weitestgehenden Absicherun gen durch Aufiagenankäufe aus öffentlicher Hand, mit öffentlichen Druckkostenzu schüssen und mitunter Teilfinanzierung aus den privaten Mitteln der Autoren!) Die Gruppe wie die Edition der,,neuen tex te" versteht das Buch (und mit ihm die Zeit schrift) als universelle Konzentrationsform divergierender, Grenzen überschreitender künstlerischer Einzeldisziplinen. Biidende Künstler, Schrift- und Druckgraphiker, Mu siker graphischer Notationen, Phonetiker, Lettristen, Video-Künstier, Photo-Collagisten, Performance- und Aktionskünstier bringen ihre verwirrend vielschichtige Bil derwelt auf den einzelnen Seiten ein. Dies scheint das Grundkonzept der neuen Edition zu sein. Die Aufiagenhöhe pro Band hält sich bei 1000. Die Stückpreise schwan ken zwischen 100 und 350 Schilling. Die Au toren erhalten ihr Honorar ,,in der üblichen Höhe, sobald der ungedeckte Kostenrest durch den Verkauf eingebracht ist". Tatsache bleibt, daß in dieser Kompromißiosigkeit bisher noch nie etwas Vergleichba res in Oberösterreich auf die Beine gestellt worden ist. Das Programm ist Ausdruck eines ,,Literarischen Forums", an dessen Spitze als Primus inter pares Heimrad Bäkker die Mitarbeit eines von ihm eingelade nen Herausgeberbeirates koordiniert. Dem Beirat gehören an: Friedrich Achleitner, El friede Czurda, Reinhard Frießnitz und Ger hard Rühm. Diese Namen erweitern und verstärken auch die personelle Zusammen setzung der Autorengruppe ,,neue texte", ihre literarischen Arbeiten sind Teile der Zeitschriften- und Verlagsproduktion. Neun Bände sind bisher erschienen: ,,Comic" von Gerhard Rühm, eine Serie von hintergründigen Zeichnungen im Stil einer raffiniert verfremdeten Bildgeschichte; ,,fassadentexte" von Waltraud Seidlhofer, in denen es sowohl um die Fassaden von Straßenzügen, Häuerzeiien und Städten ais auch um das Äußere, die Außenhaut von Gesichtern und Existenzen geht; ,,Stumm" von Anselm Glück, ein Roman, der nach des Autors persönlicher Ansicht gar kein Roman ist, sondern ein sich durch viele verschie dene Gestaltungsraster zwängender Erinnerungs- und Beschreibungsfluß. ,,Dom Mischabel Hochjoch", innerer dreigeteilter Monolog als unmittelbares Freiwerden von Sprache und Sprachbewegung aus dem

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