Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 3, 1978

oder ein Güterslohsches Salzburger Aqua rell." Über die Abreise Doderers aus Weißenbach am Attersee erfährt der Leser nichts. Am 19. Mal beginnen die Tagebucheintragun gen In Wien. Erinnerung Wie bereits erwähnt, begann Doderer In Oberösterreich mit der Konzeption und der Niederschrift seines Romans ,,Dle Strudlhofstlege", wobei Ihm bereits vorhandene, frühere Tagebuchaufzeichnungen teilweise als Unterlagen dienten. In Wien wurde die Arbelt an dem Werk Intensiv fortgesetzt und die Tagebücher reflektieren vielfach Form und Inhaltsprobleme. Wirkten datiel die Eindrücke aus Oberöster reich nach? Sie beziehen sich zunächst auf die Konti nuität des Romans. Unter dem 29. Juni: ,,Dle Komposition-welche ursprünglich gar keine war, sondern sich erst In Weißenbach ergeben hat- scheint mir riskiert, durch das weite Ausholen in eine Vorvergangenheit, In die immer wieder zurückgegriffen wird und welche größere Flächen der Komposition bedeckt: das Ist für den Fluß der Erzählung von bedenklichem Nachteil." Unter dem 2. Juli: ,,Vor nichts zögere Ich so sehr als vor dem Schreiben, vor dem Textbeginn. Ist das Träghelt schlechthin? Ja, Ich habe nie daran gezweifelt, daß sie bei mir In hohem, ja Im höchsten Maße besteht, auf sich selbst be steht mit fundierter Gewalt. Aber sie müßte dann allgemein auftreten. In Weißenbach aber ging Ich an meine Holzarbelt - sei's die Zerkleinerung von 15 Kubikmetern Holz oder das felnplnsellge Bemalen kielner Do minosteine - frisch heran. Es Ist also eine spezifische Trägheit, jene vor dem Schrei ben, vor dem Beginn der ,Schrelbtlschfolter', wie Gütersloh unsere Tätigkeit be nennt." Diese Passagen sind merkwürdigerweise ohne Reminiszenz der so tief empfundenen Attersee-Landschaft. Am 17. Juli bemerken wir jedoch eine ganz andere Verarbeitung der Erinnerung. Doderer meditiert über das Imperfectum und erwähnt Beispiele: ,,Immerhin, es sind auch Passagen denk bar, In denen Dauerndes und zur Stunde noch so Seiendes durchaus perfektisch - Im Imperfektischen Gewände - gefaßt wird: ,Rechter Hand, hinter Burgau, stufte die Drachenmauer In den Mondsee ab' - und solches durchaus ohne das Medium der Person, am Beginne der Erzählung, wo etwa nur die Landschaft sichtbar Ist und noch gar keine Personen aufgetreten sind. Stifter al lerdings verwendet bei den ersten Takten von ,Der Hochwald' das Präsens, und mit machtvoller Wirkung, welche auf die Objek tivität zurückgehen mag. Denn eine Imper fektische Darstellung dauernder Sachen ohne Medium einer Person ersetzt dieses eben durch den Autor selbst, dessen Erleb nis eines Sommermorgens am Attersee etwa geschildert wird . . ." Wieso denkt Doderer am 17. Juli In Wien an einen Sommermorgen am Attersee, den er selbst nie erlebt hatte, da er doch Weißen bach Im Mal verließ? Und wer Ist der Autor, der ein Erlebnis an dem Sommermorgen ,,etwa" schildert? Man könnte sich In ein literarisches Rätselsplel verlleren. Vielleicht bringt eine genaue Sichtung des Gesamtwerks von Doderer einschließlich seines Nachlasses noch An haltspunkte darüber, auf welche Welse die Attersee-Impresslonen aufgearbeitet wur den. 1958 begann Doderer mit dem Roman ,,Dle Wasserfälle von Slunj", dessen Haupt figur ein Industrieller Ist, der eine Villa In Steinbach am Attersee besitzt. Der Hand lungsfaden führt nie In die Villa und den Ort. War keine der oberösterreichischen Im pressionen so stark, um Ins Erzählgeflecht einzudringen? Hielt Doderer die strenge Konzeption seiner Romane ab, oder eine andere Scheu? In dem Essay ,,Dle Wieder kehr der Drachen" wird eine urtümliche Landschaft geschildert, die durchaus Ähn lichkeiten mit den Stellhängen des Höllen gebirges und den dunklen Wäldern an Ihrem Fuß In Steinbach und Weißenbach hat. Aber ein Ortsname wird nicht genannt. So.bleiben zuletzt nur die Tagebuchstellen als schriftliches Zeugnis von Doderers Auf enthalt In Oberösterreich, ein paar Dutzend Zellen, skizzenhaft In den Gedankenfluß gestreut, Szenen einer Helmkehr nach dem zweiten Weltkrieg, deren Gefühle und Be dingungen unwiederholbar sind, wie die Er fahrungen vieler Zeltgenossen mit einem ähnlichen Schicksal bestätigen. Es geht damit wie mit den Stätten der Kindheit. Man vermeldet, sie wieder zu betreten, well man sich selbst später nicht mehr versteht. Literatur 1 Dietmar Grieser, ,,Schauplätze österreichi scher Dichtung", Verlag Langen-Müller, Mün chen 1975. 2 Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege, Biederstein-Verlag, München 1951. 3 Heimito von Doderer, ,,Tangenten". Tage buch eines Schriftstellers, 1940-1950, Bieder stein-Verlag, München 1964.

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