Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 3, 1978

ger Aquarelle seines Freundes Albert Paris Gütersloh. Im Gegensatz zu Gustav Mahler, den die selbe Berg-See-Landschaft musikalisch in spirierte (Äußerung zu Bruno Walter ,,Das hab ich schon alles wegkomponiert!"), ver hielt sich Doderer jedoch nach wie vor litera risch distanziert. Das Tagebuch registriert Formprobieme der ,,Strudlhofstiege". Not und Hunger Sehr üppig scheinen die ,,ländlich-familiä ren Nachmittagskaffees" auf der Veranda nicht gewesen zu sein. Der Leser des Tage buchs wird jäh aus der Ästhetik gerissen und mit der Wirklichkeit jener Nachkriegsmonate konfrontiert. ,,Heute (17. April) konnte ich eine bemer kenswerte Beobachtung in bezug auf den Hunger machen. Beim Hoizspalten, nach etwa einer und einer Viertelstunde - die Ar beit machte mir Spaß, ging gut von der Hand und ich bezwang die verdrehtesten und knorrigsten Blöcke - packte mich plötzlich, ohne geringste Ermüdung, ein Heißhunger wie mit Krallen in der Magengrube, derge stalt, daß meine Knie weich wurden und mir der Schweiß ausbrach. Hätf ich einen Keil Brot haben können in diesem Augenblick, die Arbeit wäre leicht noch eine oder die an dere Stunde ohne Ermüdung fortzusetzen gewesen. So aber klappte ich gleichsam über meinem leeren Magen zusammen und blieb stehn wie eine Maschine, der bei feh lerlosem Getriebe einfach das Feuer unter dem Kessel erlischt. Mir wurde vor Hunger übel. Glücklicherweise hatte ich zwei Sem meln gekauft von meinen letzten Marken der Zusatzkarte, eine hab' ich verschlungen, mir wurde etwas besser. Leicht versteh' ich jetzt so manches, was man in der Zeitung liest, von Leuten, die in Wien infolge Hungers zu sammenbrechen und dergleichen mehr. Was nützt mir bei der Arbeit meine gute Muskulatur, die keine Müdigkeit empfindet, wenn plötzlich sozusagen der Strom für die sen Motor abgeschaltet wird? Nein, bei der ganzen Kalorienwirtschaft und Kalorien weisheit werden wir hierzulande nicht weit kommen. In Wien gedenke ich so unbeweg lich zu leben wie nur immer möglich, in der Art eines Reptils." Doch am gleichen Tag noch ein Aufbiick ins Land; ,,Die Kirschblüte ist geplatzt. Wie Explo sionswolken stehn da und dort im dichteren Grün die zuckrig-weißen Baumkronen." Zur Erklärung der Hunger-Episode, die einer der seltenen Fälle ist, in denen Dode rer über körperliches Leid klagt, wäre zum 19. Februar zurückzubiättern, an dem das Elend jener Tage sehr realistisch, aber mit einem Anflug von Ironie, durchbricht; ,,lch bin natürlich hier vielfach gestört, ich drück' mich mit meiner Arbeit herum, wo ge rade ein wenig Ruhe herrscht oder Wärme oder wo ein Tisch frei ist, aber im großen und ganzen geht's mir doch recht gut. Der Man gel an Zigaretten ist ein empfindliches Lei den. Sonntags kann ich die hl. Messe in der süßen kleinen Dorfkirche besuchen. Was mich quält, ist der Umstand, daß ich keine Erwerbsarbeit ohne weiteres suchen kann; ich hab' nur ein Paar Halbschuhe, was fang ich mit denen im Freien an, bei Schnee und Nässe, wie sie jetzt herrschen - und meine Stiefel sind beim Schuster und werden dort wochenlang sein. Am Arbeitsamt läuft meine Freisteilung mit 10. März ab. Der Be amte dort, ein Herr Kammerhuber, als ich ihm sagte, ich sei Schriftsteiler, deutete mir "" ' if «

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