Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 3, 1978

^rTfl Links: „Hier bin ich wie ein Sohn aufgenom men worden" - Viila der Familien Doderer/ Veranemann in der Ortschaft Forstamt, Wei ßenbach am Attersee. .T Rechts: ,,Noch herrschen Grau und Blau zwi schen den Bäumen, Strichzeichnung überwiegt die Farbe ..." - Blick auf den spätwinteriichen Aftersee von Weißenbach aus. Aber damit ist die Chronik nachgeholt und die Ordnung meiner Aufzeichnungen, de nen ja eine andere Absicht eignet, wieder hergestellt. Auf der Landungsbrücke ist mir mein Onkel entgegengekommen, gealtert (wie einst mein Vater, 1920, als ich ihn am Riegeihof wiedergesehen habe nach der Rückkehr aus Sibirien) - gealtert, aber immer noch schön; und das erste, was ich von ihm erfah ren habe, war das allerbeste: meine Mutter, gesund nach allem Schweren, mit meinen Schwestern auf dem Hofe in der Prein. Hier bin ich wie ein Sohn aufgenommen worden. Meine winterliche Heimkehr hat sich günsti ger gestaitet als ich zu hoffen wagte." Das Landschaftserlebnis Doderers umfangreiche Tagebuch-Medita tionen wenden sich nach einem Zitat Pius XII. (,,Die Gemeinschaft sollte nicht aufge rufen werden, etwas zu leisten, was Sache des Individuums ist!") politisch-philosophi schen Themen zu. Er berichtet über den Entschluß, die in Südfrankreich 1941 be gonnenen Aufzeichnungen in einen großen Roman einzubringen. Und dazwischen iugt plötzlich die Land schaft herein: ,,Der See schwappt und schlappt in seinem tiefen Becken, allenthalben um den Fuß des Berges sich wendend. Die Straße folgt in geduldigen Biegungen seinem Ufer. Dahin ter steigt das Terrain an, erst noch flacher. und da sitzen die schönen Bauernhöfe, nicht weit davon beginnt der Wald, mit einem stei len Anlauf bis zum Fuß der Wände, diese schießen fast unvermittelt (so sieht's von hier aus) ohne längere Geröilhalden in brei tem, mächtigem Schilde daraus hervor. Es ist ein Teil des Höllengebirges. Das Haus ist ein sehr bequemes, großes Jagdhaus, das aber heute mehrere Familien beherbergen muß." Einige Tage später: ,,Ein Wintertag hier an dem See zeigt schon im kleinen Ausschnitt meines Kammerfen sters eine ungeheuer weiträumige Welt der Nuancen - so in Strichzeichnung wie in Farbe innerhalb von Schwarz, Blau und Weiß." Nach diesen Impressionen vom Februar 1946 schiebt sich nach vielen, sprunghaft in ihrer Thematik angesetzten, aber stets tief durchdachten sprach- und staatsphiloso phischen Meditationen, mit denen Doderer seinen geistigen Standort gewann und absi cherte, anfangs April plötzlich wieder die Landschaft ins innere Erlebnisfeld. Am Attersee war es Frühling geworden. ,,Wir haben Frühling hier, der Zug um Zug das Explosive dieser Jahreszeit ins Treffen führt. Die hohen Berge, noch tief im Zucker, stechen in lackreine Himmel. Noch herr schen Grau und Blau zwischen den Bäu men, Strichzeichnung überwiegt die Farbe, nur am Boden tritt Gewächs dichter neben Gewächs, und am Bach herrscht mannigfal tiges Leben. Der See sieht tiefer aus, grün diger, dunkelfarbiger, dann und wann ein ultramariner Abgrund. Die Sonne greift Im Garten am späteren Nachmittage grüngold über den Rasen. Schon genießt man den Frieden und Reiz ländlich-familiären Nach mittagskaffees auf geräumiger Veranda. Das alles eben Ist's, wonach Ich mich den Winter über gesehnt habe aus Dunkel und Kälte der Massenquartiere In der Gefangen schaft. Wenn das dichter werdende Licht gegen Mittag den Garten erfüllt und die Sonne auf den geradezu heiß werdenden Veranden zur hauptspürbaren Wirklichkeit geworden ist, gleitet unten, kurz nach zwöl fe, der gemütlich tutende Dampfer vorbei und zum Landungsstege. Dies eben skiz zierte Bild stand durch sonnig-windlose Tage und Wochen." Dann die Schilderung des ersten Frühlings gewitters: ,,Heute abends fernes Gewitter hinter den Bergen und kurzer Regen. Wenn morgen die Sonne scheint, wird das Grün wuchern. Vom Himmel kam eine fächerförmige Strah len-Gloriole, zwischen die Wolkenkulissen einfallend und auf den im Winde wandern den See, der gegen das andere Ufer zu ei nem schmalen, gleißenden Streifen wies." Im Wahrnehmen von Farbnuancen, im zweimaligen Erwähnen einer ,,Strichzeich nung", in der ganzen Art der Betrachtung of fenbart sich hier beinahe das Auge eines Malers. Doderer nahm die Attersee-Landschaft wie ein Bild auf, er dachte in anderem Zusammenhang dabei auch an die Salzbur-

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