Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 3, 1978

Heimkehr nach Oberösterreich Die Attersee-Landschaft in den Tagebüchern Heimito von Doderers Eduard C. Heinisch Gibt es eine Wirkung von Landschaft und Architektur auf das Innere des Menschen, die über das hinausgeht, was heute als ,,Umwelteinfluß" geläufig Ist? Oder Ist es nur ein alter Aberglaube, ähnlich dem an das ,,Verschauen" von Schwangeren, der meint, daß die Innenwelt von der Außenwelt geprägt wird? Solche Fragen könnten eine ganze Reihe von Wissenschaften heraus fordern- und an Ihren Antworten wäre abzu lesen, ob sich etwa der Aufwand, den wir für Naturschutz oder Denkmalpflege betreiben, überhaupt lohnt. Die Kunst, so scheint es, gibt deutlichen Be scheid. Solange sie noch Abbilder erzeugte, verhielt sie sich zum Bild wie der Spiegel zum Objekt, wenn auch In mancherlei Licht brechung. Muslkstücke malten Landschaft und Architektur. Beethoven sei nicht denk bar ohne den Wienerwald und Bruckner nicht ohne oberösterreichische Dörfer. Und die Literatur? Gäbe es einen Stifter ohne das Mühlviertel? Es gehört längst zum Geblldetentourlsmus, der In England seine Wurzeln hat, daß sich, fachkundig kommentiert, ,,Schauplätze österreichischer Dichtung"^ aufsuchen las sen. Dies war Kafkas Schloß und dies das Schlachtfeld des Cornets von Rilke, hier war die Klosterschule der Frlschmuth und dort das Kalkwerk Bernhards. Der germanisti sche und nahezu kriminalistische Spürsinn hat seine Reize. Die Rückübersetzung des Wortes Ins Optische gelingt scheinbar so glatt wie Im Fernsehen. Der genlus locl wird konsumierbar. Das volksbildnerische Ver dienst der Bemühung Ist unbestritten. Aber es Ist natürlich ein Irrtum, zu meinen, künstlerische Innenwelt sei wie beim Photo eine Frage der richtigen Blende und Belich tungszelt. Der Dichter erwacht, schaut zum Fenster hinaus, ein herrlicher Sonnenauf gang, drei, vier, ein Gedicht! So Ist das be stimmt nicht. Der Zusammenhang Ist vielmehr ungemein kompliziert und vielschichtig. Ein ganzes Leben kann als Zeltraum, ein ganzer Konti nent als Entfernung zwischen dem Eindruck und seinem künstlerischen Reflex liegen. Kunst lebt von Erinnerung und Phantasie. Unter den Beispielen, die dafür heranzieh bar sind, gibt es ein für Oberösterreich be deutsames, welches hier vorgestellt werden soll. Die „Strudlhofstiege" am Attersee In Heimito von Doderers Roman ,,Dle Strudlhofstiege"^, dem zentralen und ruhm begründenden Werk des Schriftstellers, er lebt der Leser die dichte Atmosphäre der Stadt. Es mag ihn ernüchtern, zu erfahren, daß Doderer die komplizierte HandlungsA W::: Heimito von Doderer, Porträtzeichnung von Anton Wetzl, die der Künstler liebenswürdiger weise zur Verfügung stellte. und Figurenführung am Reißbrett entworfen und kontrolliert hat. Es mag Ihn aber auch verwundern, daß entscheidende Teile des Konzepts und der Niederschrift dieses Bu ches nicht etwa In Wien entstanden sind, sondern in Weißenbach am Attersee. Dabei Ist von den Eindrücken der oberösterrelchlschen Landschaft überhaupt nichts nach weisbar. War Doderer ein totaler Ignorant? Konnte gerade Ihn, der so viel über den Vor gang der,,Apperzeption" nachgedacht und geschrieben hat, der es als Aufgabe und Auszeichnung des Schriftstellers empfand, stets sensibel und genau zu reagieren, die Attersee-Landschaft gar nicht beelndrukken? Ist es denn möglich, eine Naturkullsse von so unvergleichlicher Lieblichkeit und Gewalt aus dem Bewußtsein zu verdrän gen? Und Ist es diese Fähigkeit, die wir als Disziplin an großen Autoren auch noch be wundern? Das Phänomen Ist fast unheimlich. Es findet seine Erklärung durch dieselbe Quelle, aus der wir einiges über die Entste hung der,,Strudlhofstiege" wissen. In Hei mito von Doderers Tagebüchern ,,Tangenten"3 wird über den Aufenthalt In Oberöster reich berichtet. Hier wird erwähnt, daß der Roman ,,Dle Strudlhofstiege" aus bereits mitgebrachten Entwürfen und Passagen In Weißenbach am Attersee Gestalt annahm und In Wien fertiggeschrieben wurde. Dode rer Heß sich bei dieser Arbelt nicht ablenken. Die Impression des Attersees ging andere Wege, die In den Tagebuchaufzeichnungen zu verfolgen sind. Ein Heimkehrerschicksal Heimito von Doderer geriet als Teilnehmer des zweiten Weltkriegs In Norwegen In ame rikanische Gefangenschaft und hauste je nach den damaligen Zufällen schlecht oder recht In einigen Lagern. Oberösterreich war ein begehrtes Ziel für Kriegs-Helmkehrer, well die Verhältnisse In der amerikanischen Besatzungszone verhältnismäßig erträglich waren. Es gelang Doderer, Im Jahre 1946 seine Entlassung in Richtung Oberöster reich zu lenken. Das ,,Grüne Buch" der ,,Tangenten" be ginnt am 3. Februar 1946 In Weißenbach am Attersee: ,,Der Januar, bis zum 28. des Monats noch Im Lager zu Darmstadt verbracht. Meß meine Kräfte In eine Art von Winterschlaf verslkkern. Es war ein von Innen her durchbre chendes Ruhebedürfnis, eine wirkliche Le thargie, was mich übermächtig umfing. Ich schien mit meinen Energien am Ende. Die Tatsache, einen ganzen Monat hindurch zu keiner schriftlichen Formulierung gelangt zu sein, berührt mich hintennach als unge wöhnlich und Ist doch unbestreitbar. Ich litt unter dem Zustande, aber zu brechen hab Ich Ihn nicht vermocht. Gegen Ende des Monates wurden wir aus unserem früher beschriebenen Quartiere geworfen und für ein paar Tage noch In Zel ten untergebracht. Am 28. ging's In die Waggons und, um's kurz zu machen, am Donnerstag, 31. Januar, wurde Ich zu Linz aus dem Gefangenenlager entlassen und habe fürs erste hier bei meinem Onkel, dem Bruder meines sei. Vaters, dem Herrn Ri chard Ritter von Doderer, In seinem schö nen Jagdhause zu Weißenbach am Attersee Zuflucht gefunden. (Ich hatte mich In We sermünde noch rechtzeitig In die von den Amerikanern besetzte Zone Österreichs umschreiben lassen, was sich Immer mehr als das Richtige erwies). Die Nacht vom 31. Januar auf den 1. Fe bruar schlief Ich zu Kammer beim Hofwirt erstmalig wieder seit 16. November In einem richtigen Bett, und In einem sehr guten so gar, für zehn Stunden kilometertief In den Schlaf versinkend. Und Freitag vormittags, während der zweistündigen Fahrt mit dem Dampfer von Kammer hierher, sah Ich zum ersten Male die herrliche Landschaft dieses Teiles von Österreich, der mir bis jetzt, wie durch eine merkwürdige Fügung, unbekannt und fremd geblieben war. . .

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