Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 2, 1978

Die Erschließung des Dachsteins Rudolf Lehr 11 c ■ : Sepp Seethaler, Aufnahme aus dem Jahre 1968, der seit 1929 die Dachsteinwartehütte, 2740 m, bewirtschaftet. Sein Vater war Erbauer dieser hochaipinen Bergsteigerunterkunft. ,,Heut' ist's ja gemütlich!" Mit dieser knap pen Feststellung faßt der Seethaler Sepp zusammen, was sich in den letzten fünfzig Jahren verändert hat bei ihm in 2700 Meter Höhe, auf der höchstgelegenen Hütte im Dachsteingebiet. Seit dem Jahr 1929 ist der Seethaler Sepp auf der Dachsteinwarte, wo sein Vater die erste Hütte gebaut hat. im Mai kommt der Sepp, bis Oktober bleibt er. in einer Gegend, in der es außer Schnee und Steinen nichts gibt. Kein Blümchen, keinen Strauch, kein Stück Holz, keine Quelle, kein elektrisches Licht. Wer die Geschichte des Dachsteins be trachtet, muß in den Bibliotheken und Archi ven stöbern. Das kann sehr aufregend sein und niemand wird auf die spärlichen schrift lichen Zeugnisse der ersten Dachstein-Pio niere verzichten wollen. Beginnen sollte ein solcher Bück in die Vergangenheit aber doch besser dort, wo diese Vergangenheit lebendig ist. Als den Sepp vom Tal noch acht Stunden Fußmarsch trennten, versorgten ihn die Bergsteiger mit Brennholz. Wer auf die Hütte wollte, brachte als Geschenk ein Scheit mit. Ende der zwanziger Jahre hatten einige Halistätter Burschen die Dachstein wartehütte errichtet. Das Baumaterial, aus schließlich Holz, war von Hallstatt aus bis zu jener Steile getragen worden, wo der Ost grat des Hohen Dachsteins aus dem Hali stätter Gletscher herauswächst. Die Erinnerung an diese Pionierzeiten der Dachsteinfreunde hat den 71jährigen Sepp nicht verklärt. So weit herauf ist die Nostal giewelle nicht gedrungen. Er freut sich, daß er heute mit öi heizen kann, daß es Gas gibt für die Beleuchtung. ,,Heut' ist's ja gemüt lich", konstatiert der Sepp und ein Lächein huscht über das von tiefen Furchen durch zogene Gesicht. Ein kerniges Mannsbild, dieser Sepp, das sieht man auf den ersten Bück. Wind und Wetter haben seine Haut gegerbt. Er kennt jeden Stein hier und jede Felszacke, auch jede Gefahr. Wenn er auf seiner Hütte aliein ist mit ein paar Menschen, bei denen er spürt, daß sie eine Herzensbeziehung haben zu seinem Lebensberg, dann beginnt er auch von alten Zeiten zu erzählen. Von der Hütte konnte er natürlich nicht leben, also verdingte er sich als Bergführer. Einmai, so erinnert sich der Sepp, hat er an einem Tag drei Bergsteiger gruppen von der Simonyhütte über den Dachsteingipfei zur Adamekhütte geführt. Von zwei Uhr früh bis neun Uhr abends war er unterwegs. Wenn das Wetter es nur eini germaßen erlaubte, stieg er täglich zur Si monyhütte ab, um Proviant auf seine Warte zu tragen. Nicht selten wog dann seine ,,Kraxen" 70 bis 80 Kilogramm. Reich wird man hier heroben nicht. Ein paar Skiwasser, einige Glaseri Tee, hie und da eine Suppe. Wie oft er sein Leben eingesetzt hat, um verunglückte Bergsteiger zu retten? ,,i woaß net, vielleicht fufzgmail" Was ein Bergführer für so eine Lebensret tung bekomme, wird der Seethaler Sepp manchmal gefragt. ,,Die meisten ham ma de Hand gebn und habn Dankeschön gsagtl Manche ham a auf das vergessen!" Erstbesteigungen im 20. Jahrundert Geschichte des Alpinismus in Oberöster reich, da denkt jeder zuerst an das 19. Jahr hundert, an Erzherzog Johann, der im Jahr 1811 ,,mit der größten Aufmerksamkeit die sen höchst interessanten Gebirgsstock" besah und damit den Anstoß für die Erobe rung des Dachsteins gab, da denkt der Dachsteinfreund an Friedrich Simony, des sen Leben untrennbar mit der aipinistischen und wissenschaftlichen Erschließung des Dachsteins verbunden ist. Wer will, kann den Zeitpunkt der Eroberung des Dach steins noch viel früher ansetzen: Zwischen Däumeikogei und Krippenstein fand man eine bronzene Lappenaxt, die beweist, daß bereits die Menschen der Bronzezeit, die in den Jahren 1800 bis 700 vor Christus lebten, auf dem Dachstein waren. Das alles ist verhältnismäßig bekannt. We nige aber wissen, daß die Pionierzeit des Aipinismus bis in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts reicht. Erstbesteigungen im Dachsteingebiet hält man heute doch nicht mehr für möglich. Wenn wir den Geschichtsfilm der Eroberung des Dachsteins umgekehrt ablaufen lassen, müßten wir beim Jahr 1967 beginnen, als das aipinistische Gianzstück der Dachstein-Südwand-Direttissima gelang. Die Direttissima - das ist das aipinistische Schönheitsideal von heute. Die Kletterroute richtet sich nach dem Weg ,,des fallenden Tropfens", die senkrechte Linie vom Gipfel zum Fuß der Wand. Leider ist es gerade die ser Direttissima-Ehrgeiz, der heute vielen Bergsteigern zum Verhängnis wird. Was dem Ramsauer Bergführer Leo Schiömmer und seinem Gefährten Peter Perner 1967 gelang, endete beim ersten, der es den bei den nachmachen wollte, tödlich, im Sep tember 1974 hatte ein Elektrikeriehriing aus Saaifelden die Dachstein-Südwand-Direttissima im Alleingang versucht. Hundert Me ter vor dem Ziel scheiterte er. Gab ein Haken nach? Brach ein Griff aus? Traf ihn ein Stein? Niemand weiß das. Es gibt keine

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