Oberösterreich, 27. Jahrgang, Heft 4, 1977

zeigte. Wir traten in die Stube. Die Frau war ver ständigt, sie brachte die flache Kiste herbei, in der die besten Fundstücke lagen. Der Vater hatte am Tische Platz genommen, ich drängte mich an seine Seite, ich schaute und schaute. War das ein ,Schwert'? Eine schwarze Kruste war es, vom Rost zerschartet, wo einstmals die scharfe Schneide sein mochte, die eine schwimmende Feder durchschlug! Wie alt, wie ungeheuer alt mußte es sein! Da waren die Stücke, von denen mir Franzi berichtet hatte. Schwer jedes einzelne, wie man sich's gegenseitig versicherte. Metall. Aber was für eines? Bronze? Gab es das noch? Alles so schwarz, als ob es im Feuer gelegen wäre. Aber es war nur die Erde; sie verwandelt das Glänzende, wenn es nicht reines Gold ist. Und sie macht das Tierbild auf den durch brochenen Schmuckteilen noch bösartiger und wil der. „Was ist es denn, Erni", fragt der Vater und schaut mich an; „was glaubst du, was es sein soll?" Ich drehe es jetzt in der Hand, ich halte es gegen das Licht am Fenster, ich ziehe sogar mit dem Finger die Formen nach. „Ein Drache", rufe ich aus; „Sieg frieds Drache — es muß aus dem Nibelungenschatz verlorengegangen sein!" Sie schütteln alle den Kopf: „Es hat einen Schnabel — es hat Krallen — und der Körper ist wie ein springender Hund!" — „Eher ein Löwe", berichtigt der Vater. Wir erkannten es nicht, das Fabeltier, auch ich mußte es zugeben, — meine Sagenweisheit war zu Ende. Das große, breite, am besten gearbeitete Bronzestück — einer Messer scheide ähnlich — zeigte dasselbe abschreckende Bild. War es ein Wappen? Und so gingen die Dinge von Hand zu Hand, auch Franzi schloß sich dabei nicht aus und wagte sich davon zu überzeugen, daß es wenigstens kein ,Teufel' war. Ich wurde ganz still. Ich fühlte mich beschämt. Und ich wurde nachdenklich. Ich stand vor einer Wirk lichkeit, die den Zauber der Dichtung verloren hatte, dafür aber andere Sichtweiten aufschloß. Vielleicht hatte auf den Feldern, bis zur Bauernhube hin, vor langer, langer Zeit wirklich einmal ein Kampf statt gefunden — zwischen, wer weiß, was für Völkern. Waren es Römer und Germanen? An etwas anderes dachte noch niemand. Wie lange ist es her? Tausend Jahre?? Und war es denn eine jauchzende Heerfahrt, wild vor Kampfeslust und Begierde nach Ruhm? Ein Heldengeschrei nach Blut und Ehre? Nein, ganz an ders muß es gewesen sein. So ein Schwert — hatte es nicht zugeschlagen aus bitterer Notwendigkeit, zur Erhaltung des eigenen, ohnehin nicht leichten Le bens? Und wenn alles vorüber war, die Toten um herlagen, wenn es auch den ,Riesen' getroffen hatte, wurde das versagende Schwert mit hineingelegt in die sandige Grube, das Schwert und dieses Flunker werk, auf das man so stolz gewesen war. Vielleicht lagen noch viele im Ackerland, das sich hinter dem Häusel des Danner hinzog. Es waren keine Sagen helden gewesen mit aufwendigen Abenteuern. Men schen waren es, über die der Schattenflügel der Ver gänglichkeit rauschte . . . Aber so hätte es ein kleines Mädchen wohl nicht gesagt. Es war nur ein wortloses erstes Begreifen. — Den Abendzug hatten wir versäumt, wir mußten mit den Rädern zurück. Keine leichte und fröhliche Sache, wenn es zu dunkeln anfängt. Wir hatten die Land straße zur Heimfahrt gewählt. Seitwärtshin, an den Büschen vorüber, flogen noch leuchtende Sonnwend boten in den Wiesen, da und dort lagen zündende Funken im Gras. Ihr Geleucht' half uns nur wenig. Wir brauchten den Mond. An der Weinzierler Bruck überkam mich noch einmal das Schaudergefühl des Gewesenen. Wimmert und klagt es wirklich unter der Brücke? Die Großmutter sagt, es wären die armen Seelen der Kaufleute, die von den Raubrittern auf Altpernstein einst überfallen und erschlagen wurden. „Denk nicht immer an solche Geschich ten", sagt der Vater beruhigend, „es ist nicht alles wahr!" Etwas Helles ist unweit der Straße auf ein gezäuntem Grund zu sehen! Es ist das Vogelhaus, dem ,Gradn' gehörig, dem Sengsschmied, dem rei chen Gewerken. Nein, jetzt fangen sie keine Sing vögel mehr mit Leimruten und Netzen — das Häu sel steht leer — nur Gerümpel wird es enthalten. — Gottseidank, daß der Kirchturm auftaucht im Mond licht, das heimatliche Wahrzeichen! Der Tag ist zu Ende.— „Ihr seid ja dann öfter herausgekommen", sagt der ,junge' Danner, den ich im letzten Sommer besuche, — auch er schon uralt wie ich selber. „Und dann ha ben wir zwei auf eigene Faust wo gegraben, wo sie uns in Ruhe ließen," setze ich fort. „Na, ein paar Scherben habt ihr doch immer gefunden", erinnert er sich. „Und du hast einmal das schwarze Messer für mich herausgekratzt", ergänze ich. „So habt ihr gleich einen richtigen Hausrat zusammengebracht", lacht er mit dem ganzen bartlosen Gesicht. „Ich hab' ihn noch, — ich hab' ihn noch", kann ich triumphie ren. — Dann sind wir wieder ernsthafte, alte Leute. „Wie kommt es denn", frage ich, „daß mir immer ein grüner Kürbiskopf einfällt, wenn ich an die Schottergrube denke?" „Das ist leicht zu verstehen", gibt er zur Antwort: „euer Vater war ja so wirt schaftlich, der hat uns die Erde aufhäufeln lassen, die noch zu gebrauchen war. Kürbiskerne mußten wir einlegen, die ohne viel Arbeit von selber wachsen. Es sind solche Köpfe daraus geworden" — und er zeigt mir ein mächtiges Luftgebild zwischen den Händen. Wir erinnern uns an dies und das auf der Garten bank des Danner vor der Fliederlaube. — Von der Falkenmauer weht es kühl. Es ist Abend — es ist Abend.

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