Diese Verzweiflung veränderte sein Gesicht. Einmal, dachte Wieser, wird sie es zerstören. Er wußte, daß er den alten Flußfischer mit keinem Wort von dieser Verzweiflung befreien konnte. Die ses Wort gab es nicht. Wieser saß, von ungezählten, weil unzählbaren inneren und äußeren Beschäftigun gen oft unnützester Art abgenützt, und spürte, wie die Verzweiflung des Flußfischers seine eigene Ver zweiflung zu werden begann. Er schaute über den Tisch und versuchte, das Gesicht des alten Flußfischers wiederzuerkennen. Der saß ihm regungslos gegenüber. Wie ein morscher Baum in E. Wie ein bereits durch den Tod zum Tod verurteilter Baum in Eberschwang. Nichts mehr von dem, was mir einfallen könnte, wäre imstande, ungeschehen zu machen, daß der Fluß kein Fluß mehr ist, sagte der Flußfischer nach einer Pause. Dabei ist dieser Fluß nur ein Beispiel von vielen Bei spielen, sagte er auch. Während der alte Mann redete, zeichnete er mit dem Zeigefinger seiner linken Hand — er war Links händer — große Fische auf die Tischplatte. Dabei nickte er in ungleichmäßigen Abständen mit dem Kopf. Er tat es so, als habe er im nachhinein jedes seiner Worte zu bestätigen. Er unterließ es. Wieser dabei anzuschauen. Wieser saß hilflos auf seinem Stuhl und versuchte, sich von dem Fluß, der ihn deshalb, weil er kein Fluß mehr war, immer mehr belastete, ihn immer mehr in eine ihm bis dahin fremde Ver zweiflung trieb, freizudenken. Er versuchte, auch die Bilder zu löschen, die er sich, ohne es zu wollen, von dem Fluß machte, und die in ununterbrochener Reihenfolge vor seinen Augen ab rollten wie ein Film, der ihn immer mehr erschreckte. Auch von den Fischen, die in diesem Fluß nicht mehr zu finden waren, wohl überhaupt nie mehr gefunden werden konnten, wollte er sich wegdenken. Wieser versuchte festzustellen, daß ihm die Fische, gleichgültig, wo sie sich oder wo sie sich nicht be finden würden, gleichgültig waren. Es gelang ihm nicht! Mit ständig wachsender Aufmerksamkeit verfolgte er, wie der alte Flußfischer immer wieder neue große Fische auf die Tischplatte zeichnete. Er sah immer größere und auch unförmigere Fische. Die Phantasie des Flußfischers füllte den ganzen Raum, drohte ihn auf unsinnigste Art und Weise zu sprengen. Diese Phantasie beschäftigte ohne Unter brechung seinen linken Zeigefinger. Was für Fische, sagte der alte Flußfischer, als er die Fische auf die Tischplatte zeichnete. Fische für große, starke Netze, die nur kräftige Arme bändigen können. Das ist keine Beschäftigung für einen Hergelaufenen, für einen Zufälligen, wie es sie überall gibt, sagte er. Nichts für Geschäftemacher, die jeden Fisch nur nach dem Gewicht beurteilen und nach seinem Marktpreis. Der Flußfischer zeichnete seine Fische immer schnel ler, aber auch immer ungenauer. Er schien sie nach einem unbekannten, von Zeit zu Zeit wechselnden Rhythmus zu zeichnen. Sind das prächtige Fische, fragte er Wieser. Es ge schah plötzlich, und er tat es, ohne auf eine Antwort zu warten. Das sind freilich auch Fische, für die man erst ebenso prächtige Namen erfinden müßte. Namen, die es aber wahrscheinlich nie gegeben hat. Die es nie geben wird. Dann sagte er, und seine Stimme wurde dabei im mer leiser, das sind Fische, die Aufsehen erregen würden. Überall und bei jedem, der sie zu sehen be käme. Die Menschen, ich kann es mir nicht anders vorstel len, sagte er auch, würden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Ein einziges großes Staunen würde sie gefangenhalten. Lange Zeit! Wieser sah nur mehr die Fische, die der Flußfischer auf den Tisch zeichnete. Ununterbrochen. Fische mit verwirrenden, unbegreiflichen Konturen. Er hatte vergessen, warum er in dieses Haus am Fluß gekommen war. Ob es dafür überhaupt einen Grund gegeben hat. Ob es dafür einen Grund geben müßte. Wieser hielt alles für möglich. Nur an den reinen Zu fall glaubte er nicht. Der alte Flußfischer zeichnete immer wieder Fische auf die Tischplatte. Mit hochrotem Kopf zeichnete er sie. Einen Augenblick lang wollte ihn Wieser fragen, warum er das machte. Warum quälst du dich so, wollte er ihn fragen. Warum beginne ich mich selbst zu quälen, hätte er aber dann auch sich selbst fragen müssen. Es waren doch Fische, die es nicht mehr, die es nie mehr geben würde. Ob das der Flußfischer wußte, fragte sich Wieser. Ob er es wissen konnte? Er wußte es sehr genau. In seinem Gesicht war diese Genauigkeit, die immer deutlicher wurde, ausweglos zu erkennen. Und plötzlich, ohne vorher etwas anderes. Erklären des, zu sagen, sagte der alte Flußfischer: Es sind Fische für Träume! Nach diesen Worten spürte es Wieser: Die Ausweg losigkeit des alten Flußfischers war jetzt auch ein Teil seines Gesichtes geworden.
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