Baiernzeit in Oberösterreich Franz C. Lipp In einer Ausstellung „Balernzelt In Oberösterrelcti" hat es das Oberösterreichische Landes museum In Zusammenarbeit aller kulturge schichtlichen Abteilungen dieses Institutes unternommen, den historischen und kulturel len Hintergrund der „dunklen Jahrhunderte" zwischen dem Ausgang der Antike, markiert mit dem Abzug der Römer Im Jahre 488 und dem Beginn des neuen christlich-abendländi schen Reiches Im Jahre 800, aufzuhellen. Erst mals werden nicht nur das ,,Nachleben der Römer" bis In das 6. Jahrhundert hinein, son dern die gesamte Balernzelt mit Ihren ca. 70 Fundplätzen In Oberösterreich, darunter so berühmten wie ZIzlau und Rudelsdorf, ausge stellt. Die Volkskunde wartet mit Rekonstruk tionen des Gehöftes und der Kleidung zur Zelt der Agilolfinger auf. Auch das sehr kräf tige Welterleben frühbalrischer Gesittung wird anschaulich demonstriert. Die kostbarsten Ex ponate befinden sich In der Abteilung ,,Kunst der Agilolfingerzelt". Hier Ist es gelungen, das persönliche Gebetbuch des Herzogs Tas silo, den berühmten Psalter von Montpellier, eine Handschrift aus Mondsee vor 778, aus Frankreich und den bescheideneren Bruder des Tassilo-Bechers, den Gundpald-Kelch aus Ödenburg, Ungarn, als Leihgabe zu erhalten. Zu der Ausstellung, die an die 700 Exponate enthält, Ist ein umfangreicher Katalog (ca. 400 Selten) mit Beiträgen In- und ausländischer Fachwissenschafter erschienen. Im Folgenden berichtet der Planer und Leiter, Franz 0. Lipp, über das Ausstellungsthema. Das Jahr der Tassilostiftung fällt In jene dunkle Periode der europäischen Ge schichte zwischen dem Ende der römi schen Herrschaft und dem Beginn des abendländischen Reiches Karls des Gro ßen, die noch immer das größte Vakuum im Geschichtsbewußtsein unserer Zeit genossen darstellt. In Oberösterreich sind das die Jahre vom Tode Severins bis zum Awarenzug Karls des Großen, der ihn 791 an dem Castrum, dem Schloß zu Linz, und an der Martinskirche vorbei führt. Als der Feldzug 805 siegreich be endet wird, ist er bereits zum Kaiser ge krönt, In dessen Reich auch das Land zwischen Enns und Inn voll integriert ist. Die Nachantike Oberösterreichs ist mit den Begriffen Severin und Lorch untrenn bar verbunden. In Favianis (Mautern) empfing Severin den nach Italien drän genden Skirenfürsten Odoaker und weis sagte ihm den Sieg über den letzten Rö merkaiser. Gleichsam eine Dankesschuld abstattend, ließ der neue Herr Italiens durch seinen Bruder Hunimunt die römi schen, an die Donau versetzten Soldaten, Verwaltungsbeamten und Kaufleute nach Italien geleiten. Von dieser Möglichkeit eines gesicherten Geleites machte kaum auch die romanisch sprechende Bevölke rung, ursprünglich keltischer Herkunft, die als „Walchen" später In einigen Land strichen Oberösterreichs, gehäuft im At tergau, in Erscheinung treten, Gebrauch. Es gilt als sicher, daß sich an einigen Orten, so in Lorch und in Passau, viel leicht aber auch noch anderwärts christ liche Zellen bis in die bairische Zeit hin überretteten. Lothar Eckhart hat die Kult kontinuität nicht nur für Lorch, sondern das Weiterleben römischer Grabdenk malbräuche auch noch für das erste, viel leicht sogar 2. Viertel des 6. Jahrhunderts In St. Georgen im Attergau nachweisen können. Erst unlängst hat eine Grabung in Schlatt bei Schwanenstadt innerhalb eines bairischen Reihengräberfeldes des 7. Jahrhunderts die Reste eines römi schen, vermutlich christlichen Zentral baues zutage gefördert. Den Vorgang der bairischen ,,Landnahme" stellt man sich seit einigen Jahren anders vor als früher. Glaubte man noch bis vor kurzem, daß die Baiern als geschlossene Heeres macht, ähnlich wie die Langobarden in Italien oder die Westgoten in Spanien einrückten, nach Noricum und Rätien ka men, so berücksichtigt man heute vor al lem die Tatsache, daß das Gebiet nörd lich und südlich der Donau seit dem 4. Jahrhundert schon Aufmarschgelände und auch Siedlungsraum germanischer Stämme war, wie die Vita SeverinI ein dringlich zu berichten weiß. Genannt werden Markomannen, Sueven, Aleman nen, Rugler, Heruler, Skiren, Quaden und Narlsten, die am Beginn des 7. Jahrhun derts an der Grenze zu Burgund auch als Warasken bezeugt werden. Es war nicht nur ein Kommen und Gehen, son dern auch ein Warten und Bleiben, wie wir z. B. durch die Grabungen am Zie gelfeld in Enns wissen, bei der schon für das 5. Jahrhundert eine germanische Bevölkerungskomponente nachgewiesen werden konnte. Schon früher hatten sich germanische Menschen bemerkbar ge macht, so wenn sie von dem weißen Gold, dem Salz Hallstatts, angezogen wurden. Auf dem Weg dorthin wurde eine Germanin In der 2. Hälfte des 4. Jahr hunderts vom Tode — ob gewaltsam oder natürlich - ereilt. Ihr verdanken wir den berühmten ,,Goldfund von Steeg", der aus einem goldenen Halsschmuck und Armreif sowie aus zwei Fingerringen (Gold und Silber) besteht. Nach der Be seitigung der römischen Kaisermacht durch Odoaker und nach dem Abzug des römischen Militärs und der römischen Verwaltung trat zwar in Noricum ripense ein gewisses politisches, nicht aber ein vollständig ethnisches Vakuum ein. Die ses Vakuum füllten die bedrängten und Die St.-Laurentius-Kirche (Basilika) von Lorch-Lauriacum (Enns), Ansicht von Südosten, Dokument eines Kulturkontinuums vom späten 4. Jahrhundert bis in die Gegenwart. — Aufnahme: Eiersebner um ihre ursprüngliche Heimat gekom menen Scharen der Skiren, Sueven, Restheruler, Rugler und Narlsten, die schon früher Erwähnung fanden. Es muß aber offensichtlich eine nach ihrer alten Baja-Heimat, die man nun nicht mehr nur in Böhmen, sondern auch am Fuß der Karpaten, in der Slowakei, sucht, be nannte Gruppe den namengebenden Kern in jenem Prozeß der Stammesbil dung (Ethnogenese) gebildet haben, dem auch sämtliche andere deutschen Stämme, die einen früher, die anderen später, einmal unterlegen sind. Daß die nachmaligen Baiern als letzte zu einem polltisch und strukturell einheitlichen Stammeskörper zusammenschmolzen, hat Ihnen die Bezeichnung ,,Findelkinder der Völkerwanderung" eingebracht. Als einziges der österreichischen Bun desländer befand sich das heutige Ober österreich In seiner ganzen Ausdehnung vom Inn bis an die Enns und vom Nord wald bis zu den ,,toten" Gebirgen im Süden, wozu auch das schlechthin ,,Stein" genannte unwegsame Felsgebiet südlich Hallstatt gehörte, innerhalb des seit der Mitte des 6. Jahrhunderts von den Agilolfingern regierten bairischen Stammesherzogtumes, das zeitweise auch als regnum und dessen Herzog mit-
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