Oberösterreich, 27. Jahrgang, Heft 2, 1977

Baierngräber an der Traun Manfred Pertlwieser Wir wissen bis heute erstaunlich wenig über die eigentlichen Begründer unseres Volkstums bayrisch-oberösterreichischer Art. Ihre wirkliche Herkunft und Stam mesbildung liegt in einem von Hypothe sen nur mühsam aufgehellten Dunkel. Nach den archäologischen Quellen er schienen sie kurz nach 600 an Inn und Salzach, ließen sich kaum später an der Traun nieder, verblieben aber offenbar südlich der Donau. Auch die oberöster reichische Seenplatte bot ihnen keinen Anreiz. Die ,,Landnahme" ging wohl we niger systematisch als raumgreifend vor sich. Mit der Einnahme der Traunlinie war ein Siediungsland umrissen, mit dessen innerer Aufschließung es weniger Eile hatte. Sicher waren es in dieser Phase keine politischen Ziele, welche zu solcher Gebietsabsteckung führten. Offenbar fand man nach den Wirren der Völkerwande rung eine stark entvölkerte Landschaft vor, nur spärlich besetzt von verunsicher ten romanisierten und germanischen Restgruppen, die sich an ruinöse Reste römischer Siedlung klammerten. Die neuen Siedler besetzten zuerst jene fruchtbaren und waldfreien Flußtäler und Beckenlagen, die schon in vorgeschicht licher Zeit bevorzugtes Siedlungsland waren. Deutlich erweisen sie sich so in erster Linie als bäuerliche Kolonisten. Die Landnahme war eben weniger Offensive als vielmehr ein „unter den Pflug nehmen" guter, brachliegender Bö den in einem Gebiet, dessen spärliche Bewohner nach dem Zerfall der römi schen Organisation ohne Zusammenhalt, ohne Führung, in dünngestreuten Split tergruppen vegetierten. Letztere gingen wohl auch alsbald als Hörige, Halbfreie und Knechte wie auch biologisch im Stamm der Neuankömmlinge auf. Man bediente sich zwar noch der einiger maßen erhaltenen römischen Straßen, doch die Höfe, Weiler und Dörfer der neuen Herren blieben abseits der römi schen Siedlungsstätten. Das Stein- und Ziegelwerk der ruinösen Anlagen war ih nen fremd und bot keinen Anreiz. Der baierischen Art entsprach die reine Holz architektur. Die genaue Lage der baierischen Höfe und Siedlungen kennen wir nicht. Auf Grund der Holzbauweise haben sich da von kaum merkbare Spuren erhalten. Es ist aber als sicher vorauszusetzen, daß diese Siedlungsstätten von noch beste henden Althöfen und Dörfern überlagert sind. Die einzige breitere Forschungs basis der Archäologie bieten also für die sen Abschnitt die Gräber. Sie liefern die Möglichkeit, über das Einzelindividuum zum Bild der Gemeinschaft und letztlich auch zum historischen Ereignis vorzusto ßen. Den Gräberfeldern an der Traun, den östlichsten des altbaierischen Traungaues, die hier gleichsam aneinander gereihte Glieder einer Postenkette bil den, kommt hierin ganz besondere Be deutung zu. Sie bergen ein nicht unwe sentliches Element aus dem Macht gebäude des baierischen Stammesher zogtums. Die 35 bis jetzt entdeckten baierischen Bestattungsplätze aus der Zeit von etwa 600 bis 740 n. Chr. iiegen ausnahmslos westlich der Linie Traun-Almtal, wobei vor allem das linke Traunufer zwischen Linz und Wels eine eindrucksvolle Reihe von Gräberfeldern aufweist. Nach der bis herigen Fundsituation existieren in dem Gebiet östlich der Traun-Alm-Linie keine baierischen Gräberfelder aus der Zeit vor der Mitte des 8. Jahrhunderts. Offenbar gab es hier noch keine feste baierische Siedlung. Noch ist nicht restlos geklärt, ob — und zu welcher Zeit — der Unter lauf der Traun oder der Enns tatsächlich Grenze gegen das östlich anschließende slawische Siedlungsgebiet war. Auch von einer Pufferzone wird gesprochen. Nach dem Bild, das die gegenwärtigen Befunde der Gräberarchäologie zeich nen, scheinen tatsächlich die Baiern bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts zahlenmä ßig zu schwach gewesen zu sein, um eine dauerhafte Ostgrenze am Unterlauf der Enns zu sichern, oder auch nur den Landstreifen zwischen Traun und Ennsfluß ausreichend mit stammeseigenen Siedlern zu besetzen. Für das Gebiet westlich der Linie TraunAlmtal bieten die baierischen Reihengrä berfelder — als archäologische Quelle be trachtet — für die Zeit bis zum vollende ten ersten Drittel des 8. Jahrhunderts die letzte breite Informationsbasis für die Frühmittelalterforschung. Ethnische Grundzüge, soziale und wirtschaftliche Verhältnisse, Fernbeziehungen und Fremdeinflüsse sind auf Grund der Bei gabensitte zum letztenmal ablesbar und bieten so letztlich auch die Möglichkeit für ereignisgeschichtliche Aussagen. Mit der „Vollchristianisierung" des Baiernstammes, mit dem Aufbau und Wirk samwerden der Kirchen- und Pfarrorga nisation, einhergehend mit der Abkehr vom Beigabenbrauch, endet für dieses Gebiet ein für allemal die unmißverständ liche Ouellenfähigkeit der Gräberarchäo logie. So wird eine „unpolitische WestOst-Grenze" entlang dem Unterlauf der Traun erkennbar. Ein ähnliches Verhält nis herrscht zu dem Gebiet nördlich der Donau und östlich der Redl. Hier kann die Gräberarchäologie bis in das fort geschrittene 9. Jahrhundert aus dem Vol len schöpfen: Am nördlichen Donauufer und an der Enns lebte der Beigaben brauch um mehr als ein Jahrhundert länger. Es ist aber nicht baierische Sitte, die sich in den dortigen Gräbern zeigt. Es kann also nicht an eine Verzögerung gedacht werden. Schon gar nicht im Einfluß bereich des inzwischen wirksamen Klosters Kremsmünster. Es sind Grenzen unterschiedlicher Auffassungen, anders gearteter Gepflogenheiten. — Eine frühe Brauchtumsgrenze gibt sich hier zu er kennen. Was sonst, wenn nicht eine ethnische Kluft, konnte hier Ursache sein? Hier, im Grenzbereich des Kernlandes der in fränkischer Abhängigkeit stehen den Baiern und des awarisch beherrsch ten ,,Slawenlandes", kam es aller dings auch zu einem Nebeneinander baierischer und slawischer Siedler. Nicht eigentlich sie waren ja die großen Ge genpole, sondern das fränkische Reich und der Awarenstaat. Als im Mai des Jahres 1938 der Bau der Reichswerke Hermann Göring (heute VÖEST) in Angriff genommen wurde, fand eine durch die Jahrhunderte gewachsene Kleinlandschaft — noch behaftet mit einem Hauch von biedermeierlicher Sonn tagsidylle — ihr urplötzliches, gewaltsa mes Ende. Die Bewohner der Ortschaften St. Peter und Zizlau wurden ausgesiedelt, die Häuser geschliffen. Konzentrierter Baggereinsatz verwandelte mehr als neun Quadratkilometer grünender Fläche in eine bewuchslose Kraterland schaft. Ein ehedem beliebtes Ziel behä biger Sonntagsausflüge wurde Sperr zone. Ein Stück Alt-Linz war Vergangen heit. — Aber ganz unvermutet trat hier zu gleicher Zeit ein bedeutsames Stück Vergangenheit ans Tagesiicht. Die Bauarbeiten waren bereits weit fort geschritten, als man Anfang Juli 1941 un weit der ehemaligen Ortschaft Zizlau beim Ausbaggern eines Wasserleitungs kanals auf ein menschliches Skelett stieß. Es war das erste Grab des Gräberfeldes ,,Linz-Zizlau I", des bis dahin größten und in seinen Funden bedeutendsten baierischen Bestattungsplatzes Ober österreichs. Immerhin bedeutend genug, um den Namen der ausradierten Ort schaft weit über die Landesgrenzen hin aus bekannt zu machen — zu einem Zeit-

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